Ronaldo bei Juventus Turin:"Diese Ungleichheit ist nicht akzeptabel"

  • Cristiano Ronaldo wechselt zu Juventus Turin - und die Vorfreude auf den Weltfußballer ist in ganz Italien groß.
  • In ganz Italien? Die Belegschaft des Autobauers Fiat protestiert gegen das hohe Gehalt von CR7 - und will sogar streiken.
  • "Wir sind alle Angestellten desselben Arbeitgebers", heißt es.

Von Birgit Schönau, Rom

Zu behaupten, dass Italien ausflippe über den Wechsel von Cristiano Ronaldo zur Juventus in Turin, wäre sträflich untertrieben. Es herrscht schlicht ein kollektives Delirium, egal, ob bei den angeblich 13 Millionen Juventini oder bei den sicherlich ebenso vielen Antijuventini im Land. Letztere bemühen sich immerhin tapfer, das Ganze herunter zu spielen: Der ist doch auch schon 33! Alles nur, um die grauenvolle Vorstellung zu konterkarieren, dass die Juve nach sieben Meistertiteln in Serie ohne Ronaldo jetzt die nächsten vier mit Ronaldo vermutlich schon im Dezember einfahren kann. Nicht alle sind so tapfer und so selbstironisch wie der Aufsteiger FC Frosinone, der, kaum dass die Nachricht die Runde machte, der übermächtigen Konkurrenz per Twitter gratulierte: "Schade, liebe Juve, mit Ronaldo hatten wir nämlich auch gerade verhandelt ... Aber gut, wir heißen ihn willkommen in der Serie A."

Ja, herzlich willkommen in jener Liga, die einst als die beste der Welt galt, um nach Jahren der Krisen, Pleiten und Skandale just mal wieder einen Tiefpunkt zu erreichen, weil sich Italiens Nationalteam nicht für die WM qualifizieren konnte, erstmals seit 1958. Willkommen, Fußballgott, in Turin, aber auch in Neapel und Sassuolo. Und natürlich in Frosinone, wo die Fans ihre Erstligaspiele gern von den Terrassen jener Häuser sehen, die das Stadion umsäumen. Die Eigentümer dieser Fernseh-Balkone werden die Eintrittspreise jetzt in die Höhe treiben können wie sämtliche Klubs, die die Juve empfangen. Wie sagte Andrea Monti, der Chefredakteur der Gazzetta dello Sport in seiner Videobotschaft: "Grazie, Juventus. Du hast dem gesamten italienischen Fußball ein Geschenk gemacht."

"Gratulation zu diesem Treffer", schreibt Turins Bürgermeisterin

Eintrittskarten, Fernsehgebühren, zudem neue Fans in jedem Winkel der Welt: Von Ronaldo, hofft Fußballitalien, profitieren am Ende alle. "Fiat Lux", titelte der Corriere dello Sport, ein Wortspiel aus dem biblischen "es werde Licht" und dem Autokonzern Fiat Chrysler, der mitsamt seiner Gründerfamilie Agnelli hinter Juve steht. Vom "Coup des Jahrhunderts" schwärmen die Leitartikler, und die linke Repubblica verkündete gar: "Es ist, als habe man Beatrice aus dem Paradies geholt." Bei dieser Beatrice handelt es sich eigentlich um die Liebste eines gewissen Dante, der vor 700 Jahren jene "Göttliche Komödie" schrieb, die offenbar immer noch eine Pflichtlektüre für italienische Sportreporter darstellt.

Ein lang entbehrter Enthusiasmus hat ein Land erfasst, das in diesen Tagen nicht nur Panama, Schweden oder Nigeria bei der WM zusehen musste, sondern auch den Wegzug des ewigen Azzurri-und Juve-Kapitäns Gianluigi Buffon zu Paris Saint-Germain erlebte, sowie einen neuerlichen Eigentümerwechsel beim AC Mailand. Nach 450 Tagen musste der mysteriöse chinesische Investor Yonghong Li den ehemaligen Berlusconi-Klub an den US-amerikanischen Hedgefonds Elliott abgeben. Milan ist zum Spekulationsobjekt verkommen.

Parallel zu dieser Nachricht landet dann Juventus seinen Coup. "Gratulation zu diesem Treffer", schreibt Turins Bürgermeisterin, die der Fünf-Sterne-Bewegung angehört. Die Fünf Sterne regieren auch in Rom, zusammen mit der rechtsextremen Lega, mit Fußball haben die Digital-Populisten eigentlich nichts am Hut. Täglich hört man von der neuen Regierung, dass man die Grenzen vor weiteren Einwanderungen dicht machen muss, aber den Arbeitsmigranten (und Steuersünder) Ronaldo, den die Old-Money-Dynastie der Agnelli angeheuert hat, muss selbst die Anti-Establishment-Politik bejubeln.

"Es gibt gute Gründe, nach Turin zu kommen", lockt die Bürgermeisterin. Und Antonio Tajani, der zu Berlusconis "Forza Italia" zählende Präsident des Europaparlaments, gratuliert Juve-Trainer Massimiliano Allegri auf einer gemeinsamen Veranstaltung sogar persönlich. Tajani ist aber auch Juve-Fan.

Nur bei Fiat gibt es Proteste

Kaum hatten Juventus-Präsident Andrea Agnelli und Ronaldo ihren Pakt in Griechenland mit Champagner begossen, brach der Internet-Server des Online-Shops von Juventus zusammen: zu viele Anfragen nach dem Trikot mit der Nummer "7", das bislang der Kolumbianer Juan Cuadrado trug. Aber es geht natürlich nicht nur um ein paar Hemden. "Eine große Firma übernimmt eine zweite", stellte La Repubblica fest. Seine Firma produziere Tore, hatte Andrea Agnelli einmal in schöner Bescheidenheit erklärt. Was Ronaldo, Branchenkürzel: CR7, angeht, waren es 451 Treffer in 438 Einsätzen für Real Madrid, eine irre, einmalige Zahl. Aber es sind nicht nur Tore. Beide, der Klub und der Spieler, verkaufen Träume und Emotionen. Agnelli wittert, dass er mit CR7 den Umsatz um ein Fünftel steigern könne durch neue Märkte und Sponsoren.

Ronaldo wird sich in Turin nicht der Verfolgung durch Spaniens Fiskus entziehen können, aber so viel verdienen, wie keiner vor oder neben ihm: 31 Millionen Euro netto pro Saison sollen es sein. Das ist ein Sprung für die Agnelli, die bislang peinlich darauf achteten, dass das kickende Personal nicht beschämend viel mehr verdient als die Arbeiter in den Autofabriken.

Die Gewerkschaft ruft zum Streik auf

Und tatsächlich wird der Wechsel, der Italien beflügelt, von der eigenen Belegschaft nicht goutiert. "Es ist nicht hinnehmbar, dass Fiat seinen Arbeitern seit Jahren enorme Opfer abverlangt, und dann Hunderte Millionen für einen Fußballer ausgibt", protestierten am Mittwoch Betriebsräte des Fiat-Werks im süditalienischen Melfi, wo auch die Dienstwägen der Juve-Chefetage produziert werden. "Wir sind alle Angestellten desselben Arbeitgebers. Diese Ungleichheit ist nicht akzeptabel."

Für Montag hat die Gewerkschaft in Melfi zum Streik aufgerufen. Ausgerechnet am CR7-Tag, wenn in Turin die Ankunft Ronaldos groß gefeiert werden soll, werden im tausend Kilometer entfernten Melfi die Räder still stehen.

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