Philippe Coutinho:Der mit dem Wind spielt

Torjubel Philippe COUTINHO (Bayern Muenchen) nach Tor zum 3-1, Jubel,Freude,Begeisterung, Aktion. Fussball 1. Bundesliga; Coutinho

Spiel der Saison: Philippe Coutinho jubelt nach dem 6:1 gegen Bremen.

(Foto: imago images/Sven Simon)
  • Philippe Coutinho ist mit drei Toren und zwei Vorlagen der Mann des Spieltages.
  • Nach seinem grauen Herbst spielt er sich wieder in den Fokus von Trainer Hansi Flick - der hatte ihn zunächst auf die Bank gesetzt.
  • Die Frage nach einer festen Verpflichtung für 120 Millionen Euro wird nun wieder lauter gestellt.

Von Benedikt Warmbrunn

Manuel Neuer hat keinen Scorerpunkt erhalten, aber am Samstag hat ihm auch das Wissen gereicht, dass mindestens ein Tor ohne ihn womöglich nicht gefallen wäre. In der Halbzeitpause am Samstag hatte sich Neuer, der Torwart des FC Bayern, mit David Alaba und Philippe Coutinho unterhalten, er wollte ihnen exklusive Insiderinformationen nicht vorenthalten. Mit den beiden habe er "darüber gesprochen, dass der Wind ein bisschen steht, wenn man in Richtung Südkurve spielt", in Richtung des Tores also, vor dem Neuer in der ersten Halbzeit gestanden war. Bei seinem Rat dachte er wohl an Freistöße, doch davon bekam der FC Bayern nur wenige zugesprochen, was nicht überraschend war bei dem körperlosen Spiel des Gegners Werder Bremen. In der 78. Minute aber wusste Neuer, dass sein Tipp nicht vergessen worden war an diesem windigen Münchner Nachmittag.

Am anderen Ende des Spielfeldes bekam Coutinho den Ball am linken Strafraumeck zugespielt, mit dem ersten Ballkontakt verschaffte er sich Abstand zu seinem Gegenspieler, Nuri Sahin. Mit dem zweiten Kontakt legte er sich den Ball vor. Mit dem dritten Kontakt schickte Coutinho den Ball in Richtung Südkurve, durch die Windstille hindurch also. Erst als der Ball schon auf das Tor zuflog, blickte Coutinho nach oben, er sah, wie der Ball sich um sich selbst drehte, wie er gegen den Innenpfosten prallte, und von dort ins Tor. Es war ein Treffer, der dafür stand, mit wie viel Leichtigkeit Coutinho Fußball spielen kann, wenn er weiß, dass andere an ihn und an seine Fähigkeiten glauben, auch an die Fähigkeit also, die komplexe physikalische Formel aus dem Zusammenspiel von Wind/Windstille, Ball und eigenem Fuß richtig berechnen zu können.

Acht Mal hat der Brasilianer am Samstag aufs Tor geschossen, vier weitere Torschüsse hatte er vorbereitet. Drei seiner Schüsse landeten im Tor, zwei seiner Vorlagen wurden verwertet, Coutinho war "der Spieler des Spiels", wie es sein Trainer Hansi Flick korrekt zusammenfasste.

So erleichtert wie am Samstagabend waren die Spieler und Verantwortlichen des FC Bayern lange nicht mehr, durch das 6:1 (2:1) gegen Bremen haben sie sich in der Liga nach zwei 1:2 in Serie zurückgemeldet und sich von einem ernüchternden siebten Tabellenplatz ein bisschen nach oben gearbeitet. Fast noch erleichterter waren alle aber darüber, dass Coutinho all das erkennen ließ, was sie sich im Klub im Sommer von ihm versprochen hatten.

Eine knappe Woche vor dem Ende der Wechselfrist hatte der FC Bayern Coutinho für ein Jahr ausgeliehen, es war ein Geschäft, das dem Verein die Transferbilanz gerettet hatte. Monatelang hatten die Klubbosse getönt, dass noch wuchtige Verstärkungen kommen würden. Wochenlang hatte sich der Verein um Leroy Sané bemüht, der sich dann das Kreuzband gerissen hatte - und so stand der FC Bayern zum Bundesliga-Start plötzlich ohne nennenswerte Verstärkung für die Offensive da. Sportdirektor Hasan Salihamidzic hatte jedoch einen Kontakt zu Coutinhos Berater, Vorstandsboss Karl-Heinz Rummenigge zu den Chefs von Barça, und auf einmal stand da dieser Deal: 8,5 Millionen Euro an Leihgebühr für ein Jahr mit einem der besten Techniker der Welt. Es war ein fast schon unverschämtes Schnäppchen.

Nach einem Monat in München schien sich Coutinho wunderbar integriert zu haben, Mitte September schoss er ein Tor gegen Köln und bereitete eins vor, in der Woche danach schoss er ein Tor in Paderborn und bereitete ein weiteres vor. Die vertraglich fixierten 120 Millionen Euro, die der FC Bayern zahlen müsste, um Coutinho langfristig an sich zu binden, sie wirkten in diesen Tagen fast nur noch wie eine Formsache für den Finanzvorstand. Dann aber passierte das, was keiner erwartet hatte: Coutinho durchlebte einen grauen Herbst.

Er spielte regelmäßig, aber er, der als Fixstern in der Offensive der Bayern vorgesehen war, fiel nicht auf. In den ersten Spielen unter Flick saß er zunächst nur auf der Bank; der neue Trainer wollte Stabilität im Spiel, und dafür war Coutinho, der Trickser und Fummler, nicht der richtige Mann. Gegen Dortmund zum Beispiel, hat Flick erklärt, habe er Spieler gewollt, "die gegen den Ball einen Tick besser sind". Doch inzwischen scheint das Team das hohe, offensive Verteidigen verinnerlicht zu haben, und so könnte Coutinho nun doch der Spieler werden, als der er geholt wurde: der, der den Unterschied ausmachen kann.

Schon unter der Woche gegen Tottenham war er präsenter, forderte den Ball, suchte den Weg zum Tor; einmal traf er. Gegen Bremen ersetzte er zunächst den verletzten Kingsley Coman auf dem linken Flügel, in der 45. Minute spitzelte er den Ball ins leere Tor, in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit bereitete er mit einem frechen Lupfer das 2:1 durch Robert Lewandowski vor. Zu glänzen fing er jedoch erst in der zweiten Halbzeit an. Dann, als er auf seiner Lieblingsposition spielen durfte, auf der hinter der Sturmspitze Lewandowski. Mit einem Lupfer erzielte er das 3:1 (63.), vor dem 5:1 durch Thomas Müller hatte er an der Grundlinie den Blick für den Passweg durch das Gewusel (75.). Und drei Minuten später, beim Schlenzer zum Endstand, führte er vor, dass er nicht nur ein einzigartiges Gespür für den Wind hat, sondern auch für den Raum auf dem Fußballplatz und überhaupt für alles, was dort passiert.

"Das war sein Spiel heute. Mit dem Ball, mit seinen Bewegungen, wie er das gemacht hat, war überragend", lobte Lewandowski. "Wir brauchen so einen Spieler." Salihamidzic sah das ähnlich: "Da sieht man, was in ihm steckt. Das ist heute wirklich hervorragend gewesen, wie er gespielt hat, wie er sich bewegt hat, wie er auch körperlich gespielt hat." Er fügte hinzu: "Ich freue mich unheimlich für ihn, dass der Knoten geplatzt ist." (Ein bisschen freute sich der Sportdirektor dabei womöglich auch für sich selbst und seinen Transfer.) Alaba sagte: "Weltklasse." Allein Coutinho gab sich so bescheiden, wie sie ihn im Verein oft beschreiben. Er sagte: "Das war eine starke Leistung von jedem Einzelnen. Jeder ist ein Teil des Spiels."

Natürlich ging es am Samstag dann auch darum, ob der FC Bayern nun Coutinho fest verpflichten sollte, darum wird es wohl bis zum Sommer nach jedem Spiel gehen, egal ob der Brasilianer besonders gut oder besonders unauffällig war. "Ich weiß nicht, was passieren wird", sagte Coutinho selbst, "wir werden es zusammen entscheiden. Aber jetzt ist nicht die Zeit dafür." Alaba aber sagte: "Wenn man sich das Spiel heute angeschaut hat, dann muss man ihn holen, oder?"

Zur SZ-Startseite
Sport Bilder des Tages Lucien FAVRE (Trainer Borussia Dortmund), gratuliert Hans Dieter Flick (Hansi ,Trainer Bayern Mue; Flick Favre

MeinungBayern und Dortmund
:Trainerwechsel vs. Systemwechsel

Die beiden großen deutschen Klubs haben in der Trainerfrage unterschiedliche Lösungen gewählt - und mittlerweile zeigt sich, dass offenbar beide richtig entschieden haben.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: