Schach:Das Ende einer Farce

Schach-WM: Kandidatenturnier in Jekaterinburg

Ding Liren, Schachgroßmeister aus China.

(Foto: dpa)

Die Pandemie beendet mit dem Kandidatenturnier auch das letzte internationale Sportereignis. Viel zu viele Funktionäre haben im Umgang mit dem Virus unverantwortlich gehandelt.

Kommentar von Johannes Aumüller

Fast anderthalb Wochen lang war ein Luxushotel in der sibirischen Millionenstadt Jekaterinburg der Schauplatz einer absurden Sportveranstaltung. Trotz der grassierenden Corona-Pandemie saßen dort Tag für Tag acht der weltbesten Schachspieler, um in einem langen Turnier den nächsten Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen zu ermitteln. Der Weltverband Fide wollte das gegen alle Kritik einfach durchziehen - bis er die Farce am Donnerstagmorgen nach sieben von 14 gespielten Runden endlich stoppen musste.

Denn Russlands Regierung hatte beschlossen, dass künftig keine Flüge ins Ausland mehr möglich sind. Also konnte der Weltverband den ausländischen Sportlern und Offiziellen keine sichere Heimreise mehr garantieren; alle mussten sehen, dass sie es bis Mitternacht noch irgendwie außer Landes schafften.

So endete also die Geschichte des Turniers, das die Verantwortlichen als letzte Bastion des Sportgeschehens zelebrierten. Irgendwo in Nicaragua und beim weißrussischen Despoten Lukaschenko laufen zwar noch Fußballspiele. Aber der internationale Sport ruht nun endgültig, und niemand weiß, wann es weitergeht. Die großen Fußballligen sind bis auf Weiteres gestoppt, die Fußball-EM und die Olympischen Sommerspiele aufs nächste Jahr vertagt, Hunderte Events quer durch alle Disziplinen abgesagt.

2020 ist auch das Jahr, das die Hybris des Sports entlarvt hat, über allem zu stehen. Aber viel zu viele Funktionäre haben in ihrem Umgang mit der Corona-Pandemie und deren Folgen gezeigt, dass sie das nicht verstehen (wollen). Neben den Vertretern des Internationalen Olympischen Komitees gebührt den Schach-Verantwortlichen dabei ein Spitzenplatz.

Dabei ist es das eine, welche skurrilen Bilder sie in die Welt sandten, als die Welt schon auf sozialen Abstand voneinander ging; etwa das von 2000 dicht gedrängten Gästen bei der Eröffnungsfeier. Das andere ist, welchen Einfluss die Haltung auch auf den Sport und die Spieler hatte.

Favorit Caruana sagte: "Hier sind alle extrem Paranoid"

Der Aserbaidschaner Teymur Radjabov verzichtete wegen der Gefahren ganz auf eine Teilnahme. Der Chinese Ding Liren musste nach der Einreise erst mal zwei Wochen in ein Sanatorium, was sicher ein Mitgrund war für seinen unerwartet schwachen Auftritt. Die Spieler kamen sich vor wie einkaserniert, die meisten wohnten oben im Hotel und fuhren nur runter in den Spielsaal. Zweimal am Tag stand ein Fieber-Check an. Die nach den Denkstunden so notwendige Ablenkung gab es kaum. Und so war es kein Wunder, dass vielen Aktiven unwohl war.

Der amerikanische Favorit Fabiano Caruana etwa sagte: "Hier sind alle extrem paranoid." Der Russe Alexander Grischtschuk: "Die gesamte Atmosphäre ist feindlich." Der Chinese Ding: "Ich will eigentlich nicht spielen oder hier sein."

Das alles kümmerte die Fide nicht. Es ist klar, dass die sieben Runden, nach denen überraschend der Franzose Maxime Vachier-Lagrave und der Russe Jan Nepomnjaschtschi vorne liegen, nicht unter regulären Bedingungen liefen. Aber als sich die Organisatoren am Donnerstag zum Abbruch gedrängt sahen, war das für sie kein Thema. Irgendwann später soll das Turnier fortgesetzt werden, sagten sie, mit dem Spielstand nach Runde sieben, und am besten am gleichen Ort. Am Trotz des Sports ändert Corona nichts.

Zur SZ-Startseite
Boxen: Olympia-Qualifikation Europa

IOC in der Kritik
:Anstecken für Olympia

Trotz Corona-Krise bestand das IOC auf einer Box-Qualifikation in London - nun sind mehrere Personen positiv getestet. In Tokio sind kaum die Spiele verschoben, schon steigen die offiziellen Infektionszahlen rasant. Alles nur Zufall?

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: