Copa America:Mit argentinischem Akzent

Paraguay's head coach Ramon Diaz and his son and assistant coach Emiliano  arrive to a training session at El Romeral sports center in La Serena

Zum Training mit Hund: Ramon Diaz' Team aus Paraguay sorgt mit dem Sieg gegen Brasilien für eine kuriose Trainer-Situation bei der Copa América.

(Foto: Mariana Bazo/Reuters)

Alle Halbfinalisten werden von Trainern aus dem Land des WM-Zweiten betreut. Trotz nationalen Argwohns hat sich die Schule Argentiniens in Südamerika mehr und mehr durchgesetzt.

Von JAVIER CÁCERES, Santiago de Chile

Die Reputation ist intakt. Mag Argentinien seit 1993 keinen Titel mehr auf Nationalmannschaftsebene gewonnen haben - auf dem amerikanischen Subkontinent bleiben die Argentinier die führenden Exporteure der Fußballweisheit, wie eine unerhörte Begebenheit belegt: Bei der 99. Copa América, der Südamerika-Meisterschaft, die in Chile ausgetragen wird, haben vier von vier Halbfinalisten einen argentinischen Trainer. "Wir können stolz darauf sein", sagt Ramón Díaz, der am Dienstag als Trainer Paraguays auf seine von Gerardo "Tata" Martino trainierten argentinischen Landsleute trifft. Das andere Halbfinale war ein Duell zwischen Jorge Sampaoli (Chile) und Ricardo Gareca (Peru).

Dass die argentinischen Trainer bei der Copa América die Halbfinalrunde dominieren würden, war von vorneherein nicht völlig ausgeschlossen. Zu Turnierbeginn waren noch sechs Trainer aus Argentinien dabei; die Hälfte der Mannschaften hatte damit einen Coach aus dem Land des WM-Zweiten.

Paraguay engagierte schon 1930 einen argentinischen Trainer

Neben José Pékerman (Kolumbien/Viertelfinale) ist auch Gustavo Quinteros (Ecuador/1. Runde) bereits ausgeschieden. "Das zeigt, dass wir Trainer mit Qualitäten haben", sagt River-Plate-Legende Díaz, der 2014 nach einer katastrophalen WM-Qualifikation in Paraguay anheuerte.

Die Argentinier können vor allem dort auf eine gewisse Tradition bei der Entsendung von Trainern zurückblicken. Paraguay war das erste Land, das bei einer Weltmeisterschaft (1930 in Uruguay) auf einen argentinischen Nationaltrainer namens José Manuel Durand setzte. Ein überraschendes Phänomen bleibt es dennoch, dass der argentinische Akzent einen solchen Siegeszug antreten konnte. Nicht zuletzt, weil dieser sich in einem Kontinent abspielt, dessen Fußball-Sound von ultrachauvinistischen Basslinien geprägt ist. Immer wieder opponieren mehr oder weniger gut organisierte Trainerverbände dagegen, die Auswahl einem Ausländer anzuvertrauen.

Gleichzeitig liegt das Prestige der Trainer in Argentinien darnieder. An den ersten 15 Spieltagen dieser Saison sind in Argentinien gleich 13 Trainer gefeuert worden. "In Argentiniens Fußball-Umfeld zu überleben, ist eine permanente Feuerprobe", schrieb Carlos Bianchi, der als Trainer unter anderem drei Mal Weltpokalsieger wurde und vier Libertadores-Pokale holte, in einer Kolumne: "Dieses enorme Anforderungsniveau bringt mit sich, dass man, wenn man dieses Examen übersteht, alle Beglaubigungen hat, um überall auf der Welt zu arbeiten." Argentiniens Nationalcoach Martino, der von 2007 bis 2011 in Paraguay tätig war und danach beim FC Barcelona grandios scheiterte, fügte bei der Copa América eine weitere Mutmaßung hinzu: Vielleicht liege die Fähigkeit, in Feindesland zu überleben, "daran, dass wir uns immer mit Dingen beschäftigen müssen, die übers Fußballerische hinausgehen. Etwa darum, unsere Spieler vor Pfefferspray zu schützen", sagte er. Er spielte damit auf den Einsatz chemischer Waffen durch radikale Boca-Juniors-Fans beim Clásico gegen River Plate an. Ironisch, versteht sich.

Zumindest scheinen emotionale und psychologische Komponenten und das Schüren von Selbstbewusstsein den argentinischen Trainern eine besondere Note zu verleihen. Es gibt einen sehr elaborierten argentinischen Fußballdiskurs, der durch länderübergreifend operierenden Spartensender internationalen Einfluss ausübt. So etwas wie eine geschlossene argentinische Fußball-Schule allerdings gibt es nicht, auch die Trainerausbildung gilt als antiquiert und profillos; um den Trainerschein zu erhalten, muss man nicht mal einer Präsenzpflicht nachkommen. Entsprechend unterschiedlich waren die Wege, auf denen Argentinien zu seinen beiden Weltmeistertiteln gekommen ist: Hier der Anspruch von César Luis Menotti, der einen kulturell wertvollen Angriffsfußball propagiert und 1978 den Weltpokal holte. Da der rücksichtlose Pragmatismus von Carlos Bilardo, der 1986 in Mexiko triumphierte. Dazwischen liegt eine große Bandbreite, die man auch bei der Copa beobachten kann.

Nationalspieler gewesen zu sein, ist keine Job-Voraussetzung

Gemeinsam ist den sechs argentinischen Copa-Trainern kaum mehr als das Alter - alle sind in ihren 50ern - und der kuriose Umstand, dass sie bis auf Díaz und Gareca nie Nationalspieler waren. Ihr Fußball könnte unterschiedlicher kaum sein. Gareca hat mit Peru ein beeindruckendes Konterspiel aufgezogen; der Kamikaze-Fußball von Sampaolis Chile basiert auf dem Fundament, das sein Landsmann Marcelo Bielsa von 2007 bis 2010 legte. Martino versucht mit Argentinien zumindest tendenziell, Ballbesitzfußall zu spielen, Díaz hat die paraguayischen Tugenden belebt: Kampfgeist und Freistöße. Dass Díaz so etwas wie ein fußballerisches Erbe hinterlässt, muss nicht befürchtet werden.

Wobei: Nicht überall scheint man darauf erpicht zu sein, die Kenntnisse der argentinischen Kollegen zu verinnerlichen. Ehe der als Theoretiker hochgeachtete Bielsa Chile verließ, lud er die Trainer der 32 Profiteams zu einem einwöchigen Intensivkurs zu Trainingsmethodik und Coaching ein, der dann abgesagt wurde: Es gab nur acht Anmeldungen.

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