Argentinien bei der Copa:Versunken in einem Meer voller Zweifel

Argentinien bei der Copa: Lionel Messi schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Lionel Messi schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

(Foto: AP)
  • Argentinien verliert das erste Gruppenspiel bei der Copa América gegen Kolumbien mit 0:2.
  • Erneut gelingt es der Mannschaft nicht, die Ballkunst ihres Ausnahmespielers Lionel Messi zu nutzen.
  • Durch den Turniermodus, bei dem die beiden besten Gruppendritten auch weiterkommen, besteht aber immer noch Hoffnung.

Von Javier Cáceres, Belo Horizonte

Wer weiß, ob das schon die Macht der Gewohnheit war, die Lionel Messi übermannte. Das Unabwendbare, das in den Köpfen Resignation erzeugt. 0:2 hatte Argentiniens Nationalelf in Salvador de Bahia ihr Auftaktspiel bei der Copa América gegen Kolumbien verloren, und Messi stand auf dem Rasen, die Hände in die Hüften gestemmt, ohne entzifferbare Regung im Gesicht, als sich die Fernsehkameras auf ihn richteten. Die Südamerikameisterschaft hat noch nicht richtig begonnen, und Argentinien steht vor den kommenden Gruppenspielen gegen Paraguay und Katar bereits mit dem Rücken zur Wand.

Das weckt Erinnerungen: an das enttäuschende Unentschieden gegen Island bei der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland etwa, als Messi einen Elfmeter vergab. Oder an die beiden einzigen Turniere, in die Argentinien mit Niederlagen startete: die Copa América 1979, die in einem anderen Format ausgetragen wurde und keinen festen Austragungsort hatte, und die WM 1990 in Italien, als Kamerun den damaligen Titelverteidiger um Diego Maradona verblüffte.

Im Land des zweimaligen Weltmeisters gibt es keine Geduld

Damals aber war Argentinien lange nicht so von Unsicherheit zersetzt wie zurzeit, und diese Verunsicherung ergibt sich Jahr um Jahr aus dem gleichen unfassbaren Phänomen: Die Argentinier haben seit mehr als einem Jahrzehnt einen epochalen Spieler in ihren Reihen - und doch warten sie seit der Copa América 1993 auf einen internationalen Titel. Zuletzt gab es bei der WM 2014 und bei den Südamerikameisterschaften von 2015 und 2016 drei Finalniederlagen in Serie. Sein Team reise nicht als Favorit zur Copa América 2019, hatte Messi gewarnt. Doch nicht einmal er hätte ahnen können, dass das Spiel gegen Kolumbien dies gewissermaßen in Technicolor und Spielfilmlänge bestätigen würde. "Es wird ein Zeitchen dauern, das zu verarbeiten", sagte Messi nach der 0:2-Pleite.

Die wohlwollende Interpretation der Partie von Bahia war, dass Argentiniens Auswahl eine Mannschaft im Umbruch ist, die Geduld verdient. Doch Geduld hat niemand im Land des zweimaligen Weltmeisters und 14-maligen Copa-América-Gewinners. Dem Selbstverständnis nach ist Argentinien eine fußballerische Weltmacht.

Die weniger freundliche und vermutlich realistischere Auslegung der Niederlage lautet, dass Argentinien nicht einmal mehr auf kontinentaler Ebene zu den besten Fußballmannschaften gehört. Angeleitet wird das Team von einem Trainerlehrling, Lionel Scaloni. Kolumbien hingegen vertraut auf den erfahrenen Coach Carlos Queiroz, der unter anderem mit seinem Heimatland Portugal und mit Iran bei Weltmeisterschaften angetreten war. Auch das erklärt, warum Kolumbien sogar in den schlechteren Phasen des Spiels Solidität ausstrahlte, während die Argentinier in einem Meer voller Zweifel versanken, das größer war als der Atlantik, der an den Strand von Salvador schlägt.

Wie so oft im Nationalteam geht Lionel Messi in struktureller Einsamkeit unter

"Ich weiß nicht, ob unsere erste Halbzeit so schlecht war", erklärte Messi allerdings, als er nach der Partie zu den ersten 45 Minuten befragt wurde. Sein Team habe sich wohl etwas mehr zurückgezogen und darauf gewartet, dass Kolumbien die Initiative ergreift. "Aber auch wenn sie den Ball hatten - zu klaren Chancen kamen sie nicht", fügte Argentiniens Kapitän hinzu.

Was er nicht sagte: dass er selbst, wie so oft, wenn er im Dress der Argentinier auftritt, in einer strukturellen Einsamkeit unterging. Vor dem Turnier basierten die Hoffnungen darauf, dass er auf dem Platz mit Spielern wie Giovani Lo Celso, Angel Di María und Sergio Kun Agüero hinreichend Allianzen würde schmieden können. Davon war erst nach der Pause etwas zu sehen, als die Argentinier, wie Trainer Scaloni sagte, sich dazu entschlossen hatten, "zwei, drei Dinge umzustellen". Sie kamen zu Chancen durch Leandro Paredes von Paris St.-Germain und durch Messi (65. Minute), der nach einer Glanzparade von Kolumbiens Keeper David Ospina den Ball aus kurzer Distanz per Kopf knapp neben das Tor setzte. Doch just in die beste Phase der Argentinier, die Scaloni mit skurrilen Wechseln torpedierte, platzte der in München nicht länger gewünschte James Rodríguez mit einer Genialität, die Roger Martínez (71.) mit einem Traumtor veredelte.

Noch nicht in völliger Resignation versinken

James nahm den Ball rechts auf Höhe der Mittellinie an und setzte Martínez, ganz links, mit einem grandiosen Flankenwechsel ein. Der Stürmer zog nach innen, war von seinem Bewacher nicht zu halten und zog mit rechts von der Strafraumgrenze ab: Argentiniens Torwart Armani hatte keine Chance, der Ball schlug am linken Pfosten ein. Den ersten kolumbianischen Sieg gegen Argentinien seit zwölf Jahren machte der für Radamel Falcao eingewechselte Duván Zapata (86.) perfekt.

Immerhin: Der Turniermodus erlaubt den Argentiniern, nicht schon jetzt in völliger Resignation zu versinken. Es kommen nicht nur die jeweils zwei besten Teams der drei Gruppen weiter, sondern auch die beiden besten Gruppendritten. "Wir haben es noch in der eigenen Hand", sagte Messi, der als Kapitän immer wieder bei den Journalisten stehen blieb - und dennoch alle mit einer unbeantworteten Frage zurückließ. Mit der Frage, ob er allein alle Probleme lösen könne. "Die Antwort wurde schon zu oft gegeben", schrieb die Sportzeitung Olé. Wie unter den Argentiniern nun voller Sarkasmus gewitzelt wird, scheint sich anzudeuten, dass Scaloni noch einige Zeit in seinem Traineramt verweilen wird. "Wenn ich den Pokal hole, höre ich auf", hatte er gesagt.

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