Copa América in Brasilien:Angekündigte Katastrophe

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Wütende Proteste: Auch indigene Einwohner Brasiliens versuchten, die Ausrichtung der Copa América in ihrem Land zu verhindern - vergeblich. (Foto: Ailton de Freitas/AP)

Ausgerechnet Brasilien richtet nun die Copa América aus, in kaum einer anderen Region der Welt wütet Covid-19 so wie hier. Selbst juristische Mittel konnten das Turnier nicht stoppen - zum Start gab es gleich mal 50 positive Corona-Fälle.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Brasilien hat dem Fußball schon viel gegeben, große Spiele, noch größere Spieler. Nun aber sorgt das Land auch dafür, dass das Wörtchen "Fußballfieber" eine neue, tragische Bedeutung bekommt.

Derzeit findet in Brasilien die Copa América statt, im Prinzip so etwas wie das südamerikanische Pendant zur Europameisterschaft. Mannschaften aus zehn Nationen spielen gegeneinander, erst am Sonntag war Anpfiff, schon aber gab es mehr als 50 Infektionen mit Covid-19. Allein aus der venezolanischen Mannschaft haben sich zwölf Spieler angesteckt, das Team musste das Eröffnungsspiel gegen Brasilien ohne einige seiner besten Fußballer bestreiten. Längst sind auch andere Mannschaften betroffen und Mitarbeiter der Veranstaltung.

Diese geht dennoch unvermindert weiter, aber die Kritik wächst. "Vielen Dank Conmebol", schrieb der selbst infizierte bolivianische Nationalspieler Marcelo Moreno Martins auf Instagram an den südamerikanischen Fußballverband. "Nur ihr seid an all dem Schuld. Was werdet ihr machen, wenn jemand stirbt? Alles, was euch interessiert, ist Geld."

Freudentanz: Auf dem Spielfeld gab es für Brasilien tatsächlich etwas zum Jubeln - im Auftaktspiel wurde Venezuela 3:0 besiegt. (Foto: Adalberto Marques via www.imago-images.de/Pressinphoto/Imago)

Tatsächlich ist die Copa América so etwas wie eine angekündigte Katastrophe: Eigentlich hätte sie schon letztes Jahr stattfinden sollen, wurde dann aber wegen der Pandemie auf dieses Jahr verschoben, in der Hoffnung auf ein bisschen Normalität. Während diese aber in Europa und den USA bis zu einem gewissen Grade wieder eingekehrt ist, wird Südamerika derzeit wie kaum eine andere Region der Welt von Covid-19 heimgesucht. Nirgendwo sterben mehr Menschen an dem Erreger als hier. Impfkampagnen stocken, dazu steht der Winter ins Haus.

Dennoch hielt der südamerikanische Fußballverband mit aller Macht an der Veranstaltung des Turniers fest. Sogar eine eigene Impfkampagne startete er, mit 50 000 gespendeten Dosen des chinesischen Unternehmens Sinovac. In der ganzen Region wurden Top-Spieler immunisiert, zu einem Zeitpunkt, als in manchen Ländern noch nicht einmal die Ärzte eine Impfung bekommen hatten.

Ursprünglich war geplant, die Copa in zwei Ländern stattfinden zu lassen, Kolumbien und Argentinien. Doch inmitten von Massenprotesten sagte ein paar Wochen vor Anpfiff erst Kolumbien wegen der sanitären Situation im Land ab, kurz darauf sprang auch Argentinien ab, ebenfalls mit dem Verweis auf die Pandemie.

Vor den Stadien fordern die Menschen "Impfungen statt Copa"

Brasilien übernahm statt ihnen die Austragung, das Land also, das in Südamerika die meisten Covid-Toten zu beklagen hat, insgesamt fast eine halbe Million Menschen; dazu kommen mehr als 17 Millionen Infizierte, und schon rollt die nächste Welle an. Kann man in so einer Situation ein Fußballturnier ausrichten? Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro meint: auf jeden Fall!

Für den rechten Politiker ist die Copa eine Möglichkeit, sein angeknackstes Image zu reparieren. Immer mehr Brasilianer geben dem Staatsoberhaupt die Schuld für das miserable Pandemie-Management. Die Wirtschaft sackt ab, Armut, Hunger und Unzufriedenheit steigen. Es gibt riesige Demos, und vor den Stadien fordern die Menschen "Impfungen statt Copa". Selbst juristische Mittel, eingelegt von Parteien und Gewerkschaften, konnten das Turnier nicht stoppen. Und auch die Spieler machen mit, wenn auch unter Protest.

Ausgerechnet die Mitglieder der brasilianischen Nationalmannschaft waren es, die als erste ihren Unmut öffentlich zeigten. "Jeder weiß, wie wir zur Copa stehen", erklärte der Kapitän der Mannschaft, Casemiro, eineinhalb Wochen vor Anpfiff. Bald schlossen sich auch andere Mannschaften an, es gab eine Krisensitzung, zu der auch die Kapitäne eingeladen waren, aber nicht teilnahmen. Brasiliens Präsident höchstpersönlich machte dafür Druck. Brasilianische Medien berichteten davon, dass Bolsonaro den brasilianischen Fußballverband sogar gebeten habe, Trainer Tite zu entlassen, sollte es wirklich einen Boykott der Spieler geben.

Doch so weit kam es nicht. Man sei "unzufrieden" mit der Durchführung des Turniers, erklärte das brasilianische Team in einer öffentlichen Stellungnahme vor dem Wettbewerb, aber Fußball verpflichte eben auch: "Niemals würden wir nein sagen zur Selecão".

Weil einige Gouverneure von brasilianischen Bundesstaaten keine Partien in ihren Stadien erlaubt haben, findet das Turnier nur in wenigen Austragungsorten statt, in Rio, Goiana, Brasília und Cuiabá. Sportlich ist der Wettbewerb für das brasilianische Team eine Chance, abermals in der Heimat zu gewinnen (zum Auftakt wurde Venezuela 3:0 besiegt), für Argentinien dagegen die Möglichkeit, nach 28 Jahren ohne Sieg endlich einen Titel zu holen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das Turnier weitergeht - bis zum Finale am 10. Juli sind es noch mehr als drei Wochen. Bleibt zu hoffen, dass das Fußballfieber bis dahin nicht weiter um sich greift.

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