Alisson Becker:Die Garantie auf der Linie

Alisson Becker: Alles im Blick: Alisson fixiert den Ball nach einem Elfmeter von Paraguays Gustavo Gomez, kurz danach wehrt der brasilianische Torwart den Ball ab.

Alles im Blick: Alisson fixiert den Ball nach einem Elfmeter von Paraguays Gustavo Gomez, kurz danach wehrt der brasilianische Torwart den Ball ab.

(Foto: Luis Acosta/AFP)
  • Am Sonntagabend spielt Brasilien gegen Peru um den Titel bei der Copa América.
  • Sollte die Seleção erfolgreich sein, hätte Torwart Alisson Becker daran einen nicht unerheblichen Anteil. Wie schon am Champions-League-Sieg mit dem FC Liverpool.
  • Bisher hat der Torhüter alle Spiele der Copa zu Null bestritten.

Von Javier Cáceres, Rio de Janeiro

In der zweiten Halbzeit des Copa-América-Halbfinales zwischen Brasilien und Argentinien gab es eine Szene, die vielleicht spielentscheidend war, hinterher aber kaum eine Rolle spielte. Argentinien hatte einen Freistoß zugesprochen bekommen, Argentiniens Kapitän Lionel Messi, fünfmaliger Weltfußballer und zudem begnadeter Freistoßschütze, trat an gegen Alisson Becker, Brasiliens Torwart. Mann gegen Mann.

Das Duell hatte es schon einmal gegeben: Vor wenigen Wochen im Camp Nou, im Halbfinal-Hinspiel der Champions League zwischen Messis FC Barcelona und Alissons FC Liverpool. Messi traf aus rund 30 Metern Entfernung in den Winkel; Allison streckte sich vergeblich. Diesmal schoss Messi aus 20 Metern, höchstens, und zielte den Ball wieder dorthin, wo er kaum erreichbar ist für einen Torwart: in den Torwinkel.

Diesmal aber flog Allison nicht durchs Tor, schon gar nicht vergeblich. Er machte ein paar Schritte zur Seite und hielt den Ball mit beiden Händen fest. Als wollte er nicht bloß ein Tor verhindern, sondern ein Statement liefern. Als wollte er den Beweis für die Theorie antreten, dass es keine unhaltbaren Bälle gibt, sondern nur gutes oder schlechtes Stellungsspiel. So groß ist ein Tor auch nicht, wenn man 1,97 Meter misst wie Alisson Becker.

Die Legende vom unfähigen brasilianischen Torhüter ist lange widerlegt

Ja, er habe den Ball auf einfache Weise gehalten, "the easy way", wie er es nach jener Partie formulierte, die seiner Mannschaft einen 2:0-Sieg und den Finaleinzug bei der Copa América beschert hatte. Am Sonntag spielt Brasilien im Maracanã-Stadion von Rio de Janeiro gegen Peru um den Titel. Mit Alisson Becker im Tor, und damit mit einer Garantie auf der Linie, die Brasiliens Favoritenrolle potenziert.

Jahrzehntelang war Brasilien ein Land, das mit dem Stigma lebte, grandiose Fußballer zu produzieren, aber keine guten Torhüter. Dafür steht auch das Maracanã, in das Brasilien am Sonntag nach sechsjähriger Abstinenz zurückkehrt (das erträumte WM-Finale 2014 wurde bekanntlich verpasst durch ein 1:7 gegen Deutschland in Belo Horizonte im Halbfinale). Nach dem letzten Spiel der WM 1950 wurde Barbosa, dem damaligen Torwart, die Verantwortung für den 2:1-Sieg Uruguays angelastet, Alcides Ghiggia überwand ihn mit einem Schuss ins kurze Ecke. "In Brasilien ist die Höchststrafe 30 Jahre, doch ich zahle 40 Jahre für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe", sagte Barbosa Jahrzehnte später, er starb einsam und geknickt.

Die Legende vom unfähigen brasilianischen Torhüter ist lange widerlegt, mit Alisson hat der Respekt vor Keepern aus dem Land des fünfmaligen Weltmeisters aber neue Höhen erreicht. Das drückt sich auch in den Kennzahlen des überhitzten Markts aus. 73 Millionen Euro überwies der FC Liverpool im Sommer 2018 an Alissons damaligen Klub AS Roma - damals ein Rekordpreis für ein Torhüter. Das Geld saß nach dem verlorenen Champions-League-Finale von Kiew 2018 bei Liverpool etwas lockerer; gegen Real Madrid hatte man das Endspiel in der ukrainischen Hauptstadt auch deshalb verloren, weil Allisons deutscher Vorgänger Loris Karius beim 1:3 danebengegriffen hatte. Ein Jahr später, beim Champions-League-Finale von Madrid, stand Allison im Tor Liverpools. Dass er derjenige war, der in der Finalnacht von Madrid den Pokal wegtrug, hatte etwas Sinnbildliches. Denn Alisson hatte im Endspiel gegen Tottenham Hotspur herausragend gehalten. Wie zuvor gegen Barça und nun bei der Copa América.

Alisson Becker spielt eine überragende Saison

Fünf Spiele hat Brasilien bei der Südamerikameisterschaft bestritten, stets spielte die Seleção zu Null. Alisson hatte diese Abende, die ruhig erscheinen, obwohl sie für Torhüter reiner Stress sind, weil sie aus der kühlen Teilnahmslosigkeit heraus plötzlich gegenwärtig sein müssen, im wörtlichen und übertragenen Sinn. Beim Auftaktspiel gegen Bolivien zum Beispiel wurde Alisson erst gefordert, als das Spiel schon gelaufen war. "Wenn die Mannschaft ihn braucht, ist er da", sagte Cláudio Taffarel, Weltmeister von 1994, seit Jahren Torwarttrainer der Seleção und noch länger wichtige Bezugsperson Allisons: "Wir haben gemeinsam in der gleichen Stadt gewohnt und sind über die Jahre zu Freunden geworden, auch jenseits des Fußballs."

Taffarel, 53, sagt, Alisson habe sich in der Premier League kaum verändert. "Ihm wird nun größere Aufmerksamkeit zuteil, weil er in England in der ersten Linie des Weltfußballs steht. Aber ein sehr guter Torwart war er auch schon bei Internacional Porto Alegre, bei der Seleção und bei der Roma, wo er eine schwierige Zeit hatte, weil er erst auf der Bank saß. Im Grunde ist nur aufgeschienen, was er immer war: ein Torwart mit großer Persönlichkeit und großer Ruhe." Weiterentwickelt habe er sich aber schon, er sei als Torwart gewachsen. Und fürwahr: Es gibt absurdere Gedanken als jene, dass Alisson bei der Weltfußballer-Wahl am Jahresende zu den Kandidaten auf den Ballon D'Or zählt oder der erste Torwart nach dem Sowjet-Keeper Lew Jaschin werden könnte (1963), der Europas Fußballer des Jahres wird. Denn Alisson spielt eine überragende Saison.

"Manchmal ist eine einfache Parade schöner als eine plastische"

Alisson wurde 1992 in Novo Hamburgo geboren, in der Nähe von Porto Alegre; seine Vorfahren stammen aus dem Hunsrück und wanderten Mitte des 19. Jahrhunderts nach Brasilien aus. Es hieß immer, dass er selbst kein Deutsch spricht. Aber: Wer weiß, ob er von seinem Trainer Jürgen Klopp beim FC Liverpool ein paar Wörter gelernt hat. "Allison schwärmt in höchsten Tönen von Klopp", sagt Taffarel, der weiß, dass Allison am Sonntag vor einem Spiel steht, in dem es auf seinen Kopf ankommt.

Die Gegner bei der Copa América neigen dazu, Brasilien Ball und Spiel zu überlassen. Gegen Peru dürfte es kaum anders werden. Zumal die Peruaner, die vom früheren Bundesligaprofi Paulo Guerrero angeführt werden, im Vorrundenspiel gegen Brasilien mit 0:5 untergingen und nun ein noch größeres Augenmerk auf die Defensive legen dürften als etwa beim 3:0-Halbfinalsieg gegen den entthronten Titelverteidiger Chile (der am Samstag gegen Argentinien um den dritten Platz spielt).

Alisson träumt davon, so wie einst in Madrid einen Pokal wegzutragen. Es wäre die neunte Copa América Brasiliens und der erste Titel seit 2007. "Wir müssen gewinnen. Für unser Land, unseren Coach, unseren Trainerstab." Sein Beitrag dazu würde sich nicht an der Ästhetik bemessen. Sondern daran, ob er wieder eine "weiße Weste" behält. Egal wie. Denn "manchmal ist eine einfache Parade schöner als eine plastische", sagt Allison.

Zur SZ-Startseite

Copa América
:Messi wütet wie Maradona

Im Spiel um Platz drei sieht Lionel Messi eine absurde rote Karte, boykottiert die Medaillenzeremonie - und überzieht den südamerikanischen Verband Conmebol mit Vorwürfen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: