Copa América:Brasilien verliert die Lust an der Seleção

Copa América: Einer der wenigen mit klangvollem Namen im aktuellen brasilianischen Team: Willian vom FC Chelsea (rechts) beim 0:0 gegen Ecuador.

Einer der wenigen mit klangvollem Namen im aktuellen brasilianischen Team: Willian vom FC Chelsea (rechts) beim 0:0 gegen Ecuador.

(Foto: Jae C. Hong/AP)
  • Die brasilianische Nationalmannschaft stand früher für glanzvollen, schönen Fußball.
  • Beim müden 0:0 gegen Ecuador bei der Copa América zeigt die Seleção ihr neues Gesicht - und was ihr ohne ihren besten Spieler Neymar fehlt.
  • Trainer Carlos Dunga wirkt wenig hoffnungsvoll, auch weil es ihm nicht gelingt, seine Stärke durchzusetzen.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

Es ist ein über Jahrzehnte gepflegter Mythos, dass Brasilianer das Fußballspielen ganz besonders lieben. In Wahrheit lieben sie es so wie die meisten Menschen auf der Welt. Das mit der Liebe in guten wie in schlechten Tagen kam nur deshalb auf, weil die Brasilianer sehr oft gewonnen und ihre Gegner dabei meist auch noch schwindelig gespielt haben. Was sie, so wie die meisten Menschen auf der Welt, aber überhaupt nicht mögen, sind Niederlagen - noch dazu gegen schwächere Nationen. Und wenn sie dabei auch noch selbst schwindelig gespielt werden, dann sind sie beleidigt wie betrogene Eheleute.

Das Verhältnis der Brasilianer zum Fußball ist angespannt seit jenem 1:7 gegen die deutsche Nationalelf bei der Heim-WM 2014, weil der Spruch "Tor für Deutschland" noch immer als Synonym für einen schlimmen Tag gilt. Auch in den vergangenen zwei Jahren wurde bei Partien der Brasilianer sehr oft geseufzt: Bei der Copa América 2015 sind sie im Viertelfinale ausgeschieden, in der Qualifikation für die WM 2018 liegen sie nach nur zwei Siegen in sechs Partien auf einem Tabellenplatz, der sie nicht nach Russland ließe.

Ecuador wird ein reguläres Tor nicht gegeben

Zum Auftakt der Copa América Centenario in den USA gab es jetzt ein maues 0:0 gegen Ecuador, über das die Brasilianer sogar froh sein mussten, weil dem Gegner ein gültiges Tor nicht zuerkannt worden war: Der Ball hatte nach Ansicht des Linienrichters vor der scharfen, vom brasilianischen Torwart Alisson ins eigene Tor getölpelten Hereingabe von Miller Bolaños die Auslinie bereits überschritten. Hatte er jedoch nicht, wie TV-Aufnahmen zeigten.

Nullnull. Das ist in diesem Fall nicht nur ein Ergebnis, sondern auch eine treffende Beschreibung des Spielverlaufs. Die Ecuadorianer warteten geduldig, dass der Gegner angreifen würde, doch der quälte sich eher lustlos nach vorne.

Bei Brasilien dribbelte einzig Flügelspieler Willian und wollte mit seinen Mitspielern kombinieren, doch er musste feststellen, dass er da im Sturmzentrum nicht Garrincha oder Romario oder Ronaldinho anspielte - sondern Jonas. Der Angreifer brachte beim Versuch, den Ball zu stoppen, Mit- und Gegenspieler in Gefahr und rammte ein Mal beim Ball-unter-Kontrolle-Bringen seinen Mitspieler Filipe Luís bis in die Bewusstlosigkeit. Mit gutem Willen kann man einige der nach vorne geprügelten Bälle der Ecuadorianer als "Konter" bezeichnen, dennoch reichte eine Hand, um alle Torchancen der Partie zu zählen.

Neymar soll lieber Gold bei Olympia sichern

Nullnull. Das beschreibt auch den Zustand der Beziehung der Brasilianer zum Fußball. Der Fußball hat diese Nation ja meist geliebt, warum sonst ließ er die besten Spieler des Erdballs häufig dort auf die Welt kommen? Die Namen derer, die sich am Samstag gegen Ecuador mühten, hatte allerdings kaum einer der 53 000 Zuschauer auf sein Trikot gedruckt. "Neymar jr." war stattdessen häufig zu lesen, doch der Angreifer vom FC Barcelona amüsierte sich in einer Loge mit Justin Bieber und Jamie Foxx. Er darf nicht mitspielen, weil der brasilianische Fußballverband lieber bei den Olympischen Spielen in Rio gewinnen möchte als bei der Copa América.

Neben Neymar fehlen verletzte Kollegen wie Luiz Gustavo, Douglas Costa, Rafinha, Ederson oder Ricardo Oliveira, zudem hat Trainer Carlos Dunga einige Akteure mit klangvollen Namen (David Luiz, Thiago Silva, Oscar, Roberto Firmino) nicht nominiert. Von der Startelf, die von Deutschland vor zwei Jahren schwindelig gespielt wurde, ist nur Hulk im Kader für dieses Turnier. Ein gutes Zeichen, sollte man meinen, wenn der neue Trainer mit jungen Talenten eine neue Ära einleiten möchte. Doch so einfach ist es nicht. Im Kader stehen vor allem deshalb zahlreiche unbekannte Spieler, weil es außer Neymar keinen gibt, den die Brasilianer als "Weltklasse" bezeichnen würden.

"Die Brasilianer spielen eben nicht mehr den schönen Fußball"

"Im Training wirkt immer alles entspannt", sagt Dunga: "Aber wenn sie dann dieses Trikot überstreifen, dann sind plötzlich die Haare verwurstelt oder der Arm tut weh oder ein anderes Körperteil. Und ich muss dann dafür geradestehen und weiter-arbeiten." So klingt keiner, der das Ende der schlimmen Zeit und eine hoffnungsfrohe Zukunft verkündet. So klingt einer, der vom gegnerischen Trainer Quinteros gesagt bekommt: "Dieser Sport entwickelt sich weiter. Die Brasilianer spielen eben nicht mehr den schönen Fußball. Wir waren die bessere Mannschaft, wir haben ein reguläres Tor erzielt, wir hätten verdient gewonnen. Bei uns hebt der Linienrichter leider die Fahne. Ich bin sicher, dass er sie bei Brasilien unten gelassen hätte."

Dunga selbst sagte nur, dass er beim nächsten Spiel gegen Haiti eine bessere Leistung erwarte und auch ein anderes Ergebnis. Er war schon als Spieler ein Pragmatiker, einer, der das Gewinnen der Schönspielerei vorzog. Deshalb haben sie ihn verpflichtet, damit er gerne auch mit kunstlosen Siegen dafür sorgt, dass die Brasilianer Fußball wieder lieben. Doch selbst das funktioniert derzeit nicht. Sie spielen unansehnlich - und sie gewinnen nicht. Wer beim Verlassen des Stadions in Los Angeles in die Gesichter der Menschen mit den Neymar-Trikots blickte, der erkannte: Sie mögen den Fußball gerade nicht so.

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