Copa América:Alles Kracher

Jürgen Klinsmann

"Die Qualität dürfte höher sein als bei der EM": Der in der Kritik stehende US-Coach Jürgen Klinsmann redet die Copá America stark.

(Foto: Marius Becker/dpa)

Bei der Copa muss sich Klinsmanns US-Team bewähren. Das Niveau schätzt er höher ein als das der EM.

Von Jürgen Schmieder, San José/Los Angeles

Ein wichtiges Fußballturnier. Im eigenen Land. Endlich mal wieder. Mit erlesenen Teilnehmern wie Brasilien, Argentinien und Uruguay. 32 Partien werden bei der Copa América Centenario innerhalb von 23 Tagen ausgetragen, dann gibt es einen Sieger. Mit solch einem kompakten Format können amerikanische Sportfans umgehen, die sich selbst für beliebtere Sportarten wie Basketball oder Baseball erst dann wirklich interessieren, wenn die K.-o.-Runden beginnen. Was die Fans eher nervt: WM-Qualifikationsspiele gegen Guatemala, Trinidad & Tobago oder St. Vincent und die Grenadinen - vor allem, wenn die dann auch noch torlos enden oder gar verloren werden.

Dieses Turnier könnte für das amerikanische Nationalteam kaum zu einem günstigeren Zeitpunkt stattfinden. Trainer Jürgen Klinsmann hat dem Land versichert, dass es sich um einen Leckerbissen handelt. "Die Qualität dürfte höher sein als bei der Europameisterschaft", sagt er: "In Europa gibt es verschiedene Leistungsstufen, dazu haben sie das Turnier auf 24 Teams aufgebläht. Bei der Copa sind die sechs Nationen aus Nordamerika sehr gut, die Südamerikaner sind ohnehin alle Kracher."

Als Beweis dient Klinsmann die Gruppe seiner Mannschaft, die erste Partie am Freitag gegen Kolumbien und die Fifa-Weltrangliste: "Wir spielen sofort gegen die Nummer vier in der Welt." Kolumbien wird derzeit tatsächlich auf dem vierten Platz geführt (Deutschland auf Rang fünf), die anderen Gegner sind Paraguay (39) und Costa Rica (25). Die Amerikaner selbst liegen in dieser Weltrangliste auf Rang 29, irgendwo zwischen Nordirland und Algerien. Bei seinem Amtsantritt vor knapp fünf Jahren hatte Klinsmann verkündet, seine Elf unter den besten acht Nationen der Welt etablieren zu wollen.

Die aktuelle Platzierung, das schwache Abschneiden beim Gold Cup im vorigen Jahr (Platz vier) und die holprige WM-Qualifikation sind Gründe, warum Klinsmann mittlerweile nach beinahe jeder Partie hinterfragt wird. Es gibt nun auch in den USA Millionen von Nationaltrainern und zahlreiche Fernseh-Gurus, denen zufolge Klinsmann alles falsch macht: Taktik, Aufstellung, Auswechslungen. Wenn die Mannschaft wie in der Vorbereitung auf die Copa América drei Partien nacheinander gewinnt, werden die Gegner Puerto Rico, Ecuador und Bolivien als niederklassig eingestuft. Genau deshalb ist diese Veranstaltung so wichtig: Selbst die Nörgler werden erst einmal nicht nörgeln, sondern auf eine ähnliche Begeisterung hoffen wie während der WM in Brasilien vor zwei Jahren.

Natürlich musste Klinsmann knifflige Entscheidungen treffen, wie jeder Nationaltrainer vor einem Turnier. Er verzichtete diesmal jedoch auf den fast traditionellen Klinsmann-Knaller wie etwa den Verzicht auf den Rekordtorschützen Landon Donovan vor der WM 2014. Klinsmann entschied sich nach der Verletzung von Angreifer Jozy Altidore für den erfahrenen Chris Wondolowski und nicht für den jungen Jordan Morris. Er verzichtete auf die Linksverteidiger Edgar Castillo und Tim Ream, weil er den gelernten Mittelfeldspieler Fabian Johnson (Mönchengladbach) dort einzusetzen gedenkt.

"Das ist das bestmögliche Team für dieses Turnier - das ist die stärkste Gruppe an Spielern, die wir zur Verfügung haben", sagt Klinsmann. Er hat erfahrene Männer dabei wie Timothy Chandler (Frankfurt), Michael Bradley und Jermaine Jones. Er hat aber auch jene jungen Akteure eingeladen, die in der vergangenen Saison für Aufregung gesorgt haben: die Offensivspieler Bobby Wood (bald Hamburger SV) und Christian Pulisic (Dortmund) etwa.

Weil Klinsmann ohnehin nie das tut, was die meisten von ihm erwarten, und weil nach fünf Jahren Amtszeit die Überraschungen nicht mehr so überraschend daherkommen, begegnen die meisten Amerikaner diesem Kader mit Neugier. Sie wollen sehen, wie weit es die US-Elf denn nun unter Klinsmann gebracht hat. Sie werden es erfahren, spätestens nach 23 Tagen. Bei unglücklichem Verlauf freilich auch schon nach acht.

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