Süddeutsche Zeitung

Confed Cup:Löw verzichtet sogar aufs Auswechseln

  • Im zweiten Gruppenspiel des Confed Cups trennt sich die DFB-Elf 1:1 von Chile.
  • Bundestrainer Löw verzichtet auf Auswechslungen, um die Härte seiner Mannschaft zu testen. Anschließend ist er stolz.

Von Martin Schneider, Kasan

Als die Sonne über Tatarstan aufging, da sprachen die deutschen Spieler vom Sieg. Das konnten sie noch im Stadion tun, denn die Kombination aus Jahreszeit, Lage auf der Weltkarte und Zeitzone sorgt dafür, dass es um kurz vor ein Uhr nachts in Kasan schon wieder rot wird am Horizont Richtung Ural. Leon Goretzka kam in der heraufziehenden Dämmerung als Letzter aus der Kabine. Er hatte kein so glückliches Spiel gemacht, die Chilenen ließen ihn nicht zaubern wie noch die Australier.

Das änderte nichts daran, dass er erkennbar glücklich war. "Ich denke, wenn das Spiel noch ein bisschen länger geht, können wir auch gewinnen", sagte Goretzka. Und eigentlich sei man den Chilenen von der Fitness her überlegen gewesen.

Die Kameraden Joshua Kimmich und Julian Draxler entschlossen sich zur gleichen Interpretation. Draxler, immerhin Kapitän, formulierte diplomatisch, man hätte gegen Ende die Kontersituationen besser ausspielen können, aber das sei Meckern auf hohem Niveau. Kimmich, schon auf dem Platz im Angriffsmodus, meinte schlicht: "In der zweiten Halbzeit waren wir die bessere Mannschaft."

Wie ein Puma, der ein überraschtes Lama frisst

Zur Erinnerung: Nach den ersten 20 Minuten im zweiten Gruppenspiel zwischen Deutschland und Chile sah es eher so aus, als müssten die gleichen Spieler eher ein 0:5 abmoderieren, als ein 1:1 zu interpretieren. Zu diesem Zeitpunkt hatte schon Alexis Sanchez nach einem Horror-Pass von Shkodran Mustafi zur Führung getroffen und Eduardo Vargas den Ball mit der Energie eines ausbrechenden Vulkans an die Latte geknallt. Die Chilenen fraßen die Deutschen in den ersten Minuten auf wie der Puma ein überraschtes Lama. Vor allem Sanchez spielte Raubkatzen-Fußball: schneller, dynamischer, besser als jeder seiner Gegenspieler, meist war dies Matthias Ginter.

"Wir sind ein Stück weit überrumpelt worden", sagte Draxler. "Wir wussten, die wollten uns überrennen. Da ist das, was uns da passiert ist, extrem suboptimal, um es mal vorsichtig zu formulieren", fand auch Goretzka. Mustafi gab seinen Bock zu ("Ein klarer Abspielfehler, da kann die Mannschaft nichts dafür") aber der entscheidende Punkt war, dass es die deutsche Mannschaft dann geschafft hat, nicht mehr in der chilenischen Lawine unterzugehen, sondern sich dagegen zu stemmen. Die Angriffe der Chilenen kamen nicht mehr zu Marc-André ter Stegen durch. Mit Lars Stindl erzielte am Ende eines starken Spielzuges über Emre Can und Jonas Hector schließlich derjenige den Ausgleich, der ihn sich durch die meisten gelaufenen Meilen auf dem Feld am ehrlichsten erarbeitet hatte.

Nach streng kalendarischer Zählung sind für diese sehr junge deutsche Mannschaft seit dem Spiel gegen Australien drei Tage vergangen. In der Zeit des Fußballs, die sich nicht in Tagen oder Monaten oder Jahren misst, sondern in der diffuseren Einheit "Erfahrung", ist diese Nationalelf mit dem Chile-Spiel aber enorm gealtert. Sie hat ihre Reifeprüfung bestanden, hat bewiesen, dass sie nicht nur schnitzen, sondern richtig Holz hacken kann. Sie hat gegen eine der abgezocktesten Truppen des Weltfußballs einen Rückstand aufgeholt und hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, obwohl es Anlässe dazu gab. "An so einem Negativerlebnis zu Beginn kann man auch zerbrechen", sagte Goretzka. Taten die Deutschen aber nicht.

Und Joachim Löw wollte seine Spieler durch diese Härteprüfung treiben, machte es ihnen sogar noch schwerer, als es ohnehin schon war. Löw verzichtete nämlich auf jede Auswechslung - erstmals in seiner elfjährigen Amtszeit als Bundestrainer. Er brachte keinen einzigen frischen Mann, der den müden Kämpfern in der zweiten Halbzeit hätte helfen können. "Ich wollte die Widerstandsfähigkeit und die innere Härte meiner Mannschaft testen", sagte der Bundestrainer.

Löw war, wie er sagen würde, schon auch sehr stolz auf seine Jungs. Dass sie einen limitierteren Gegner wie Australien ausspielen können, damit hat der Bundestrainer trotz allen Understatements gerechnet. Aber gegen Chile, auch wenn er das niemals zugeben würde, ist er wohl insgeheim davon ausgegangen, dass das einfach bezahltes Lehrgeld werden wird. Zu ausführlich skizzierte er die Stärken des Gegners, zu oft betonte er, dass Gewinnen nicht das erste Ziel ist. Und dass die Chilenen hier gewinnen wollten, das war offensichtlich. Allein die Tausenden Fans, die aus den Anden an die Wolga gereist waren, taten das in der Hoffnung, den Weltmeister zu schlagen und am Ende das Turnier zu gewinnen.

Chile ist nun der Favorit - und Deutschland?

"Ich bin sehr zufrieden mit meinen Jungs, das war ein Spiel auf höchstem Niveau mit wahnsinnigem Anspruch. Sie haben das alle klasse gemacht - mit so wenig Erfahrung, so wenigen Länderspielen", sagte Löw, der jetzt tatsächlich behaupten kann, der Confed Cup sei ein Geschenk. Denn so eine Testfahrt bekommt er auch mit Freundschaftsspielen gegen alle spanischen und italienischen Mannschaften dieser Welt nicht simuliert. Spieler wie Sebastian Rudy, Jonas Hector oder Niklas Süle bekamen zum ersten Mal in ihrer Karriere so etwas wie Champions-League-Fußball zu spüren - im Nationaltrikot.

Man kann sich nun ausrechnen, wie es weitergeht. Weil Kamerun und Australien unentschieden spielten und beim Confed Cup bei Punktgleichheit das Torverhältnis und nicht der direkte Vergleich zählt, müsste am letzten Spieltag viel schiefgehen, damit Chile und Deutschland noch den Halbfinaleinzug verspielen. Chile gilt als Topfavorit - und Deutschland ist auch nicht so schlecht drauf.

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