Commonwealth Games:Kratzer in der Krone

Commonwealth Games: Ein Bild aus dem Oktober 1949: Zur Feier von "75 Jahre britisches Recht" benennen die Fiji-Inseln ihr Team für die "British Empire Games", die 1950 in Auckland in Neuseeland stattfinden sollen.

Ein Bild aus dem Oktober 1949: Zur Feier von "75 Jahre britisches Recht" benennen die Fiji-Inseln ihr Team für die "British Empire Games", die 1950 in Auckland in Neuseeland stattfinden sollen.

(Foto: Zuma/Keystone/Imago)

Inklusiv, klimaneutral, nachhaltig, queer: So wollen die Commonwealth Games in Birmingham sein. Nur über die oft brutale britische Kolonialgeschichte erfahren die 5000 Sportler aus 72 Ländern und Territorien wenig.

Von Ronny Blaschke, Birmingham

Königin Elizabeth II. konnte die Commonwealth Games in der vergangenen Woche nicht persönlich eröffnen, aber ihr Sohn Prinz Charles überbrachte eine Botschaft von ihr. Birmingham sei eine Gastgeberstadt, die "symbolisch für die reiche Vielfalt und Einheit des Commonwealth" stehe. Dann war es der offen schwul lebende Wasserspringer Tom Daley, der den symbolischen Staffelstab ins Stadion trug. Auch als Zeichen an die 35 Mitgliedsstaaten des Commonwealth, in denen Homosexualität noch immer kriminalisiert wird.

Außerhalb der Sportstätten springen einem die gesellschaftlichen Botschaften in Birmingham ebenfalls ins Auge. Auf Plakaten, in Museen, in der Bibliothek: Die Organisatoren werben für offene, nachhaltige Commonwealth Games. Sogar mit mehr Medaillen für Frauen als für Männer, auch mit paralympischen Wettbewerben. Die Spiele sollen inklusiv sein, klimaneutral - und zudem die britische Bevölkerung zu mehr Bewegung animieren. Mehr als 5000 Sportler aus 72 Ländern und Territorien nehmen teil. Die englischen Gastgeber betonen immer wieder, dass die Athleten "gemeinsame Werte" teilen. Von der gemeinsamen, oft brutalen Geschichte ist weniger die Rede.

In den 1920er Jahren, zur Zeit der größten Ausdehnung, hatte sich das britische Imperium auf ein Viertel der weltweiten Landfläche erstreckt. Die indische Ökonomin Utsa Patnaik glaubt, dass London allein aus Indien zwischen 1765 und 1938 Rohstoffe und Güter ins "Mutterland" transportieren ließ, die heute einem Wert von rund fünfzig Billionen Euro entsprächen. Zum Allgemeinwissen in Großbritannien gehören solche Zahlen eher nicht, wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov von 2020 nahelegt: Dreißig Prozent der Befragten glauben, dass es den einstigen Kolonien unter britischer Kontrolle heute besser ginge.

Commonwealth Games: 1966: Queen Elizabeth übergibt ihre Botschaft für die Commonwealth Games in Jamaika.

1966: Queen Elizabeth übergibt ihre Botschaft für die Commonwealth Games in Jamaika.

(Foto: Zuma/Keystone/Imago)

Seit dem Mord an George Floyd durch einen weißen Polizisten 2020 in den USA wird auch im Vereinigten Königreich mehr über strukturellen Rassismus gesprochen. Doch meist bleibe die Debatte oberflächlich, sagt der Sportsoziologe Stefan Lawrence von der Newman-Universität in Birmingham: "Etliche Medien und Politiker wollen die Geschichte reinwaschen. Sie betonen nur die angeblichen Errungenschaften. Dazu gehören Straßen, die in den Kolonien gebaut wurden - und dazu gehört der Sport."

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts nutzten britische Missionare, Beamte und Lehrer ihre Sportarten Fußball, Cricket oder Rugby auch als Mittel der Erziehung in der Karibik, in Afrika oder Asien. Der anglikanische Geistliche John Astley Cooper forderte 1891 in der Zeitung Greater Britain ein Festival für Sport und Kultur. Cooper wünschte sich die Förderung "männlicher Eigenschaften" wie "Mut, Selbstlosigkeit und Kameradschaft". In einem Interview sagte er: "Wenn man nicht wie ich unter Schwarzen gelebt hat, kann man sich keine Vorstellung davon machen, welch wunderbare moralische und disziplinarische Wirkung Cricket auf die uns anvertrauten Schwarzen hat."

Zurzeit besteht der lose Commonwealth-Bund aus 56 Ländern

Die ersten "British Empire Games" fanden 1930 in Hamilton in Kanada statt. Der König hielt in London eine pathetische Rede und forderte Loyalität der Athleten zur Krone. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchsen die Spiele rasant, seit 1978 werden sie unter dem Namen Commonwealth Games ausgetragen. Der feierliche Bezug zur britischen Monarchie ging allerdings zurück, in den 1960er-Jahren erklärten in Afrika zahlreiche Länder ihre Unabhängigkeit. Zurzeit besteht der lose Bund für das Commonwealth aus 56 Ländern, darunter so unterschiedliche Staaten wie Australien, Ruanda, Zypern oder Samoa. An den Commonwealth Games nehmen auch kleine Inseln mit wenigen tausend Einwohnern teil, etwa die Isle of Man, Jersey und Guernsey.

Welche Glaubwürdigkeit können die Commonwealth Games heutzutage noch bieten, in einer Zeit, in der sich auch Staaten bewusst vom Verbund abwenden? Barbados ist seit kurzem eine Republik, Jamaika drängt auf Reparationszahlungen für den britischen Sklavenhandel. "Wir können den Sport nutzen, um über Geschichte und Gegenwart kritisch zu diskutieren", sagt Geoff Thompson, der stellvertretende Verwaltungsratschef der Commonwealth Games in Birmingham. "Für mich beginnt die eigentliche Arbeit nach den Wettbewerben. Die neue Infrastruktur und die Community-Programme sollen der Gesellschaft langfristig zu Gute kommen."

Geoff Thompson gehört zu den Funktionären, denen man solche Plädoyers abnimmt. Seine Eltern waren unter den Hunderttausenden, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus der Karibik nach Großbritannien kamen und beim Wiederaufbau des Landes halfen. Thompson wuchs mit Rassismus auf, doch als erfolgreicher Karateka legte er sich "einen Schutzschild" zu. Als junger Mann engagierte er sich gegen die Apartheid. Er konnte gut verstehen, dass 32 Nationen die Commonwealth Games 1986 in Edinburgh boykottierten, weil ihnen die Haltung der britischen Premierministerin Margaret Thatcher gegenüber dem Regime in Südafrika nicht streng genug war.

Commonwealth Games: Tom Daley bei der Eröffnungsfeier in Birmingham.

Tom Daley bei der Eröffnungsfeier in Birmingham.

(Foto: Hannah McKay/Reuters)

In diesem Jahr sollten die Spiele eigentlich erstmals auf dem afrikanischen Kontinent stattfinden, doch Durban in Südafrika gab den Zuschlag aus Kostengründen zurück. Nun also Birmingham, die zweitgrößte Stadt Großbritanniens, in der jeder Vierte außerhalb des Landes geboren wurde. Geoff Thompson ist sich bewusst, dass diese Vielfalt auch eine Folge des Imperialismus ist. Er verweist auf das Nachhaltigkeitskonzept der Spiele für Jugendsport, Gesundheitsvorsorge, Klimaschutz. Und er erinnert an die Commonwealth Games in Manchester 2002 und in Glasgow 2014. Beide Städte hatten in der Industrialisierung eine wichtige Rolle gespielt, beide Städte verloren während der Globalisierung ganze Industriezweige, beide Städte etablierten den Sport als Element der urbanen Entwicklung.

Auch in Birmingham hat es Streit um Fördermillionen gegeben, einige Vertreter mit Einwanderungsgeschichte fühlten sich nicht eingebunden. In den britischen Medien ist davon aktuell wenig zu erfahren. Und auch im Stadtbild von Birmingham muss man länger nach Orten suchen, die einen kritischen Blick auf Sport und Geschichte werfen. Das "Pride House" etwa zeigt in einer Ausstellung, in welchen Staaten des Commonwealth queeren Menschen das Recht auf Heirat, Adoption und Militärdienst verweigert wird. "Diese Gesetze wurden oft von der britischen Kolonialmacht eingeführt", sagt Jon Holmes, Mitarbeiter im Pride House. Doch als der schwule Wasserspringer Tom Daley bei der Eröffnungsfeier auftrat, war von dieser Information keine Rede.

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