"Club"-Verteidiger Philipp Wollscheid:Ein Kandidat für den FC Bayern?

Vor dem Derby gegen den FC Bayern rückt der Nürnberger Philipp Wollscheid in den Mittelpunkt. Der verblüfft mit einer eigenartigen Karriere - jenseits des Radars, ohne Leistungszentren und DFB-Förderung. Sein Vertrag in Nürnberg läuft bis 2014, das heißt: Spätestens 2013 wird der junge Defensivmann gehen. Wollscheids Wertschätzung in München ist offensichtlich.

Christof Kneer

Vielleicht ist es ganz gut, dass Philipp Wollscheid eine der beliebtesten Rechenaufgaben des deutschen Fußballs nicht mehr lösen muss. Es ist eine Aufgabe, die Wollscheid beleidigt hätte, er ist ein Einser-Abiturient mit einer Spezialbegabung für die Fächer Mathematik und Physik.

1. FC Nürnberg - VfB Stuttgart

Gut und kopfballstark: Nürnbergs Verteidiger Philipp Wollscheid.

(Foto: dpa)

Die Aufgabe, die Generationen von Fußballprofis beschäftigt hat, ist dagegen mit dem kleinen Einmaleins zu lösen. Sie geht so: Was erhält man, wenn man ein Talent für Fußball mit einem Superspiel gegen den FC Bayern München addiert? Antwort: Einen Millionenvertrag beim FC Bayern.

Jahrzehntelang hielt sich der Branchenspott, wonach der FC Bayern immer die Spieler verpflichtet, die gegen den FC Bayern einen guten Tag erwischen. Es ist fast schade, dass die Münchner inzwischen auch andere Beschaffungswege pflegen, denn nach der schönen, alten Logik hätte der Innenverteidiger und Einser-Abiturient Wollscheid das Spiel des 1. FC Nürnberg an diesem Samstag bis in die hinterste Kommastelle auf seine persönliche Zukunft hochrechnen können: Er müsste nur Mario Gomez ausschalten, ein paar spektakuläre Zweikämpfe hinlegen und zur Sicherheit schnell noch ein Kopfballtor gegen Manuel Neuer erzielen. Dann könnte er schon mal anfangen, in München eine Wohnung zu suchen.

Wollscheid ist der vielleicht kurioseste Spieler der Bundesliga. Er ist einer breiteren Öffentlichkeit immer noch weitgehend unbekannt, ein schmalerer Teil der Öffentlichkeit kennt ihn dafür umso besser. Bayer Leverkusen und Borussia Dortmund leiten aus ihrer Kenntnis des Spielers bereits ein konkretes Kaufinteresse ab, auch der FC Bayern hat schon Gefallen an ihm gefunden - zumal Trainer Jupp Heynckes diesem Wollscheid bereits als Leverkusener Trainer hinterher spähen ließ.

Womöglich werden Daniel van Buyten und Breno nächsten Sommer zwei Planstellen in der Innenverteidigung räumen, und in Bayerns Nachfolgeszenarien dürfte Wollscheid auch dann diskutiert werden, wenn er am Samstag kein Kopfballtor erzielt. Sein Vertrag in Nürnberg läuft bis 2014, das heißt: Spätestens 2013 wird er gehen.

Dass Großklubs sich an junge deutsche Spieler heranmachen, ist nicht mehr ungewöhnlich, zumal Wollscheid schon abenteuerliche 22 Jahre alt ist, was ihn im Land der Götzes und ter Stegens demnächst in Greisen-Verdacht bringen dürfte. Ungewöhnlich ist seine Karriere aber, weil es sie gar nicht mehr geben dürfte. Weil sie so nicht mehr vorgesehen ist. Weil der DFB sie abgeschafft hat, per Gesetz und Federstrich.

Philipp Wollscheid kommt aus einer Region von jenseits des Radars. Er hat für den SV Morscholz gespielt, den FC Wadrill, den VfL Primstal und die SG Noswendel-Wadern. Als er in dem selben Alter war, in dem Götze und ter Stegen U17-Europameister wurden und live im Fernsehen kamen, wechselte Wollscheid zum SV Rot-Weiß Hasborn-Dautweiler in die Oberliga Südwest. Von dort ging er zum 1.FC Saarbrücken (dieselbe Liga damals), wo ihm der Trainer irgendwann eröffnete, er könne gerne bleiben, aber nur in der zweiten Mannschaft. Für die erste sei er nicht gut genug.

"Ich kann ja mithalten!"

"Ich habe nie ein Nachwuchsleistungszentrum von innen gesehen", sagt Wollscheid, es amüsiert ihn heute sehr. Auch beim DFB-Stützpunkt-Training fiel er nicht weiter auf, "ich war ein paarmal eingeladen, aber es hat nicht mal für die Saarland-Auswahl gereicht". Der deutsche Fußball hat es sich ja zur Aufgabe gemacht, dass kein Fleckchen Erde mehr ungescannt bleiben darf und alle Talente zwecks weiterer Förderung umgehend in die Leistungszentren der Profiklubs oder an einen der DFB-Stützpunkte zu verbringen seien.

In der Regel klappt das hervorragend, die Ausnahme von der Regel ist Philipp Wollscheid. "Der nächste Erstligist war Kaiserslautern, 80 Kilometer entfernt. Ich hatte nie eine Anfrage, mich kannte keiner." Er selbst kannte sich auch nicht: "Ich hab' bis zum 20. Lebensjahr gedacht, dass ich ein guter Oberligaspieler bin und mir damit mein Mathe-Studium finanzieren kann."

Es war sein Glück, dass sie in Nürnberg irgendwann einen kopfballstarken Abwehrspieler suchten, einen mit Perspektive für später. "Für uns ist es Geschäftsprinzip, dass wir auch Spieler mit einem Fragezeichen holen müssen", sagt Manager Martin Bader. Der Club spekuliert auf den toten Winkel, er bereist Gegenden, auf die handelsübliche Scouting-Navigationssysteme nicht programmiert sind.

Im Sommer 2009 kam Wollscheid zum 1. FCN, in die zweite Mannschaft. Als Dieter Hecking ihn dann mal bei den Profis mittrainieren ließ, wunderte sich keiner so sehr wie der selbst ernannte Oberliga-Spieler: "Ich dachte: Was ist denn hier los? Ich kann ja mithalten!"

Es gibt noch Spiele, in denen man ihm den Azubi ansieht, aber meistens strahlt er die Coolness eines Mannes aus, der auf höhere Aufgaben wartet. Im Moment spiele der junge Mann noch keine Rolle bei ihm, sagt Bundestrainer Joachim Löw, aber er geht wie alle in der Branche davon aus, dass ein Selfmade-Kicker wie Wollscheid noch viel Luft nach oben hat. "Wie eine Vierer-Abwehrkette geht, hab' ich erst vor drei Jahren begriffen", sagt Wollscheid, Chef der Nürnberger Vierer-Abwehrkette, mit einem Schmunzeln.

"Ich würde unterschreiben, dass Philipp mal A-Nationalspieler wird", sagt Club-Manager Martin Bader. Spätestens dann, wenn er Nürnberg verlassen hat und in Leverkusen, Dortmund oder München spielt.

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