Cliff Diving:Größer als die Angst

Iris Schmidbauer ; Iris Schmidbauer

Vom Holzsprungturm in Utting zu Felspfeilern in 21 Metern Höhe: Iris Schmidbauer aus Pähl, hier bei einem Wettkampf in Portugal,schreibt sich jeden Sprung auf – fürs Selbstvertrauen.

(Foto: Dean Treml/Red Bull/OH)

Iris Schmidbauer aus Pähl bei Weilheim gehört zu den besten deutschen Klippenspringerinnen. Sie hat eine Abfuhr vom DSV hinter sich - und auch einen Sturz, den sie nicht vergisst.

Von Thomas Becker

Wenn Iris Schmidbauer am Sonntag in Raouché nahe Beirut von einem der Felspfeiler namens Pigeon Rocks aus 21 Metern Höhe Richtung Meeresspiegel abhebt, dann werden sie auch beim Deutschen Schwimmverband (DSV) genau hinsehen. Womöglich etwas genauer als vor vier Jahren, als eine junge Frau aus Pähl bei Weilheim beim Verband vorstellig wurde und fragte, ob sie denn mittrainieren könne, jetzt wo sie doch wisse, dass sie High Diverin werden will. "Die haben nur gesagt: Vergiss es! Bist viel zu spät dran. Das schaffst du nicht mehr!", sagt Schmidbauer. Heute kann sie von der Abfuhr mit einem Lachen erzählen, gehört sie doch mit 24 zur Nationalmannschaft und zu den Hoffnungsträgern für die High Diving WM Ende Juli in Südkorea. Davor aber: Libanon, ein Stopp der Red Bull Cliff Diving Series.

Cliff Diving - früher hieß das Klippenspringen und war vor allem aus Acapulco bekannt: La Quebrada, ein 24 Meter hoher Felsen, von dem sich die Clavadistas, die Profis, als Touristenattraktion in die Tiefe stürzen. Per Kopfsprung, wegen der überhängenden Felsen. Überlebenswichtig war es, im richtigen Moment abzuheben, weil der Pazifik dort nur tief genug ist, wenn eine Welle herein rauscht.

Für Schmidbauer hat alles vor vier Jahren auf dem Holzsprungturm in Utting angefangen, in acht, neun Metern Höhe, je nach Wasserstand des Ammersees. Vom Zehner ist sie schon mit zwölf gesprungen, im Münchner Olympiabad. Dort sah sie damals dem Wasserspringer Alain Kohl beim Training zu, quatschte ihn an, erfuhr, dass man so was auch im Verein machen kann, bei der SG Stadtwerke. "Ich wollte immer Leistungssport machen", sagt sie, "Turnen oder irgendwas Akrobatisches. Einmal im Monat fuhr die Mama sie zum Training ins Schwimmbad. "Tischtennis wäre mir lieber gewesen", sagt die Mutter heute. Aber sie ahnte, dass ihre Tochter wenig davon abhalten konnte, sich aus absurden Höhen in die Tiefe zu stürzen.

Die Männer, die beim Cliff Diving aus 27 Metern Höhe springen, schlagen mit 90 km/h im Wasser ein. Auf ihre Körper wirken Kräfte von drei G, beim Eintauchen gar bis zu zehn G. Ein Bauchplatscher aus dieser Höhe wäre wie eine Landung aus 13 Metern auf Beton. Schmidbauer sagt: "Crashen gehört immer dazu. Ich hatte meine Crashs ganz am Anfang. Da hab' ich mir noch selber was beigebracht, mit Videos." Im Sommer 2014 fuhr sie zum Springen ins Tessin - "obwohl ich gar nicht sicher war, ob ich mich traue von 13 Metern zu springen." Sie sprang dann aus 15 Metern.

Im Tessin lernte sie eine Familie aus Plymouth kennen, die sie zum Training nach England einlud. Schmidbauer fuhr hin, trainierte beim Plymouth Diving Club mit und wunderte sich: "Zum ersten Mal professionelleres Training! Mit Trockentraining, Trampolin und Gewichten. Mir war gar nicht bewusst, dass man für diesen Sport so viel Trockentraining macht." Mittlerweile trainiert sie 60 Prozent an Land.

Nach den zwei Wochen in England wollte sie endgültig High Diverin werden. Auf die Absage des DSV reagierte sie auf ihre Art: Nach dem Abi, im September 2015, begann sie in Plymouth ein Studium, Sporttherapie und Reha, und trainierte zehn Stunden pro Woche. Ihr Coach sagte, es gebe nicht so viele Frauen beim Springen, nach zwei Jahren könne sie vielleicht mal bei einem Weltcup mitwirken. Es dauerte nur ein paar Monate. Und nach den ersten Erfolgen meldete sich der DSV: Sie dürfe doch mitmachen.

Schmidbauer trainierte dann am Stützpunkt in Dresden, 25 bis 30 Stunden die Woche. Den Bachelor hatte sie abgeschlossen und ihren Ph.D. angefangen. Thema der Abschlussarbeit: Verletzungen, Prävention, Rehabilitation und Risiko.

"Einmal war ich kurz bewusstlos", erzählt sie, "bin aus 16, 17 Metern auf der Brust gelandet. Kann mich aber nicht dran erinnern. Am nächsten Tag bin ich einfach wieder gesprungen." Ein anderes Mal ist sie statt mit den Füßen zuerst kopfüber eingetaucht, aus 18 Metern. Doch ihr bislang schlimmster Crash war einer im April 2016, aus 20 Metern auf den Rücken, und er blieb nicht ohne Folgen. "Ich hab' mich in der Luft erschrocken, eine falsche Bewegung gemacht. Ich wusste, dass ich jetzt auf den Rücken falle, dachte, ich wache im Krankenhaus auf und war sehr überrascht, dass ich bei Bewusstsein war. Ich sah noch, wie ich so sinke, kann mich noch an die Wasseroberfläche erinnern." Sie blutete am Rücken, konnte den Kopf kaum heben. Sie sagt: "Mental hat mich das ganz schön zerstört."

Zwar sprang sie bald wieder aus 20 Metern, "aber das Gefühl war nicht mehr das gleiche. Ich hab' mir selber nicht mehr vertraut. Dass ich den gleichen Fehler zwei Mal mache, hätte ich nicht gedacht." Es dauerte ein Jahr, bis sie sich wieder einigermaßen wohlfühlte. Einem Psychologen hat sie sich nicht anvertraut, "dafür habe ich meine Zahlen". Jeden Sprung schreibt sie auf, "dann weiß ich: Ist 100 Mal gut gegangen, ich kann das!"

Bei Red Bull bewarb sie sich mit einem Video, bekam 2016 die erste Wildcard für den Wettkampf im apulischen Polignano, 2017 war sie in Texas dabei, 2018 in Sisikon und Mostar. 2019 wurde sie in Dublin Vierte, auf den Azoren Fünfte und ist nun auf alle restlichen Stopps eingeladen: Beirut, Mostar, Bilbao. Ihr Ziel: sich als feste Starterin qualifizieren. "Damals hab' ich denen nix von meinem Crash erzählt", sagt Schmidbauer, "aus Angst, dass sie mich wieder ausladen." Mittlerweile kann sie gut über den 20-Meter-Sturz sprechen, diesen speziellen Sprung hat sie seitdem aber nicht mehr gemacht: Dreifach-Salto vorwärts, halbe Schraube, gehechtet.

Für die High Diving WM in Südkorea hat sie sich nach zuletzt Platz fünf beim Weltcup in China einiges vorgenommen. "Die bauen da ein Becken im Fußballstadion auf, wie so ein Gartenpool", erzählt sie, "aus 20 Metern sieht das aus wie ein Planschbecken, und man fragt sich: Treffe ich da überhaupt rein?" Bei diesen Sprüngen bei immer gleich guten Bedingungen zähle vor allem Perfektion, sagt sie, "aber man muss nicht so tough sein wie beim Cliff Diving".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: