Claudio Pizarro bei der Copa América:Meistkritisierter Kapitän der Welt

Claudio Pizarro

Perus betagter Kapitän: Claudio Pizarro.

(Foto: AP)

In Peru wird er angegriffen, doch seine Instinkte funktionieren noch: Claudio Pizarro schießt sein Land bei der Copa América zum Sieg gegen Venezuela. Seinen Vertrag bei den Bayern würde er gerne verlängern.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

Die Instinkte des sogenannten Andenbombers funktionieren immer noch, mag er auch in die Jahre gekommen sein. 71 Minuten waren in der Partie zwischen Peru und Venezuela gespielt, als der Ball vor den Füßen von Claudio Pizarro lag - und dieser ihn aus sieben Metern mit einem strammen Linksschuss unter den Querbalken drosch. Mit der klassischen Vehemenz Pizarros, die dem Torwart der Venezolaner, Alain Baraja, keine Chance ließ.

Mit diesem Tor bei der Copa América, der Kontinental-Meisterschaft Südamerikas, hat Perus Kapitän die Gruppe C unter Feuer gesetzt. Alle vier Teams (Venezuela, Brasilien, Peru, Kolumbien) gehen mit je einem Sieg in den letzten Spieltag. Vor allem verhinderte Pizarro aber, dass die Peruaner schon jetzt über den erst seit März amtierenden Nationalcoach Ricardo Gareca den Stab brechen. "Ich bin froh, dass ich meinen ersten Sieg feiern konnte", sagte der Argentinier.

Bei keinem Land Südamerikas liegen die guten, alten Zeiten so weit in der Vergangenheit wie bei den Peruanern. Fast könnte man meinen, ihre Nationalelf wolle der melancholischen Schlüsselfrage aus dem "Gespräch in der Kathedrale" des peruanischen Literatur-Nobelpreisträgers Mario Vargas Llosa eine fußballerischen Dimension geben. "Wann genau hatte sich Peru in die Scheiße gesetzt?", hatte Vargas Llosa seinen Roman-Protagonisten fragen lassen.

Das ist weder politisch noch sportlich richtig zu terminieren. Die größten Fußball-Erfolge sind es hingegen schon. 1975 war Peru nach 1939 zum zweiten und bislang letzten Mal bei einer Copa América siegreich. Die letzte WM-Teilnahme liegt 33 Jahre zurück. Damals war sogar der immer noch bekannteste Spieler des Landes, Teófilo Cubillas, dabei, der sein erstes WM-Spiel in Mexiko bestritten hatte: 1970. Auch bei der aktuellen Copa wird den Peruanern nicht viel zugetraut. Sie wissen selbst: Länder wie Paraguay, Chile oder Ecuador haben ihnen auf dem Kontinent längst den Rang abgelaufen.

Nicht, dass es den Peruanern seit jenen Tagen weltumspannender Anerkennung für ihre technisch beschlagenen Kicker wie Chumpitaz oder Oblitas an Talenten gefehlt hätte. Sie haben ja auch jetzt ein paar Profis dabei, die es in den vergangenen Jahren gerade in Europa zu Rang und Namen gebracht haben. Zuvorderst Pizarro vom FC Bayern, der inzwischen den Torrekord für Ausländer in der Bundesliga hält. Dessen Münchner Vertrag läuft aber in diesen Tagen aus, und noch immer ist nicht offiziell bekannt, ob er München verlässt oder doch noch ein weiteres Jahr bleibt. In Chile sagte der nun schon 36-Jährige: "Ich würde gerne verlängern."

Neben Pizarro zählt auch Jefferson Farfán von Schalke 04 zu den in Europa erprobten Profis. Allerdings fehlte er gegen Venezuela verletzungsbedingt. Bekannt ist zudem Paulo Guerrero, der einst bei den Bayern ausgebildet wurde und beim Hamburger SV stürmte und der heute in Brasilien sein Geld verdient. Nun gab Guerrero den entscheidenden wie blitzgescheiten Pass zu Pizarro Siegtor.

Jubel im Zorn? Pizarro verneint

Doch eine lausig organisierte Meisterschaft im eigenen Land und auch die eine oder andere Eskapade trugen dazu bei, dass Peru nie wieder an einstige Erfolge anknüpfen konnte. Auch im Verband fehlt Stabilität, nachhaltige Planung ist nicht zu erkennen. Gareca ist der 25. Nationaltrainer seit der WM 1982. Zudem sind die Stars im eigenen Land nicht unumstritten. Auch Pizarro, der wegen seines Dienstalters zur eigenen Überraschung die Kapitänsbinde vom nominellen Teamführer Carlos Lobaton übergestreift bekam, wurde in der Heimat immer wieder angegriffen. In Peru geht er längst als der meistkritisierte Kapitän der Welt durch. Sogar Legende Cubillas zweifelt an, dass Pizarro als Führungskraft tauge.

Ob sein Torschrei so zornig ausgefallen sei, weil er den Treffer als einen persönlichen Revancheakt empfunden habe, wurde Pizarro gefragt. Was für ein Humbug, sagte Pizarros in Falten gelegte Stirn: "Ein Tor für deine Nationalelf zu schießen, ist einfach ergreifend", sagten seine Lippen: "Abgesehen davon, dass wir nun eine Chance aufs Weiterkommen haben."

Davon war gegen Venezuela lange Zeit nicht auszugehen. Zwar mussten die wegen ihrer rotweinroten Triktos "Vinotinto" genannten Venezolaner schon ab der 29. Minute in Unterzahl spielen. Der im Baskenland geborene Fernando Amorebieta war vom Platz gestellt worden, weil er auf den Oberschenkel des gestürzten Paulo Guerrero getreten war. Der Schiedsrichter unterstellte Absicht, was in jedem Fall als nachvollziehbar angesehen werden muss: Amorebieta soll seit der F-Jugend kein Spiel ohne Verwarnung oder Platzverweis beendet haben, und das auch nur deshalb, weil man im Kinderfußball mit Sanktionen sparsam umgeht. Trotz zahlenmäßiger Überlegenheit der Peruaner war Venezuela lange die viel besser organisierte Mannschaft.

Revolutioniert wurde das Spiel erst von einem zur Pause eingewechselten Zweitligaspieler: Yordy Reyna, 21, Profi bei RB Leipzig und mutmaßlich schnellster Spieler dieser Copa. Ob Tempo aber genügt, um am Sonntag im letzten Gruppenspiel gegen die starken Kolumbianer zu bestehen, ist fraglich.

Kolumbien sei die Elf, "die in den vergangenen Jahren den wahrscheinlich größten Qualitätssprung gemacht hat", sagt Trainer Gareca. Sie exerzieren damit vor, wovon Peru seit Ewigkeiten träumt.

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