Real Madrid nach dem Clásico:"Eigentlich müsste man alle entlassen"

Real Madrid nach dem Clásico: Das königlichen Mittelfeld aus Isco, Toni Kroos und Casemiro glänzt länger schon nicht mehr.

Das königlichen Mittelfeld aus Isco, Toni Kroos und Casemiro glänzt länger schon nicht mehr.

(Foto: AFP)
  • Im Clásico verliert Real Madrid auf verheerende Weise mit 1:5 beim FC Barcelona.
  • Trainer Lopetegui muss jetzt gehen, ihn soll der Italiener Antonio Conte ersetzen.
  • In Wahrheit ist an der Misere der Königlichen Klubpatriarch Florentino Pérez schuld, der es versäumte, den Weggang von Cristiano Ronaldo aufzufangen.

Von Jonas Beckenkamp

Am Ende wurde dann auch noch diese Rechnung beglichen. Arturo Vidal, der bemalteste Fußballer dieses 238. Clásicos, schoss endlich ein Tor gegen Real Madrid. Es war sein ganz persönliches Tor der Genugtuung, das darf man ruhig annehmen, denn die Geschichte zwischen dem Chilenen des FC Barcelona und den "Königlichen" ist ja geprägt von gegenseitiger Abneigung - und das nicht erst seit den zünftigen Raufereien mit dem FC Bayern gegen Real. Diesmal besiegelte Vidals 5:1 in der 87. Minute die Demütigung einer vermeintlich großen Mannschaft, jener Real-Elf, die zuletzt dreimal hintereinander die Champions League gewonnen hatte.

Und es war wohl auch der Schlusspunkt der Trainer-Ära Julen Lopeteguis bei den Madrilenen. Der Absturz auf Platz neun der Tabelle, ein beinahe negatives Torverhältnis (14:14), ein Team, das sich ausgerechnet im wichtigsten Ligaspiel des Jahres katastrophal präsentierte - diese Gemengelage hat bei Real Madrid wohl einen großen Knall zur Folge. Schon am Sonntagabend berichteten spanische Medien, dass der Trainerwechsel beschlossene Sache sei. Lopetegui muss gehen, der Italiener Antonio Conte gilt als Kandidat für die Nachfolge. Das ist die personelle Lage.

Die sportliche ist: In Spanien manifestiert sich gerade der Zerfall von Europas bester Klubmannschaft der vergangenen Jahre - und verantwortlich dafür sind gar nicht unbedingt Barcelona und Arturo Vidal, die jetzt wieder die Tabelle anführen, sondern Real Madrid selbst. "Es ist nicht nur die Schuld von Lopetegui", titelte Marca, das Madrider Hausblatt Reals, das die Götterdämmerung sogar farblich untermalte: Die Titelseite der Zeitung erschien fast ganz in Weiß. in Spanien ist das geschwenkte weiße Tuch das Symbol niedergestreckter Waffen. Selbstaufgabe. Für Real Madrid ist das mehr als die Höchststrafe.

Um das Standing des Coaches ist es schlecht bestellt

Die Misere dieser einst glanzvollen Mannschaft hatte sich abgezeichnet, im Grunde vollzog sie sich noch im Moment des letzten großen Triumphes: als Cristiano Ronaldo im vergangenen Mai nach dem Champions-League-Finalsieg gegen Liverpool verkündete, den Verein verlassen zu wollen. Ronaldo ging und Präsident Florentino Pérez verzichtete darauf, Ersatz zu holen. Auch der presidente ist also explizit gemeint, wenn jetzt Kritiker die Schuldfrage stellen. Lopetegui, der im Sommer sogar seinen Job als Nationaltrainer opferte, als er zwei Tage vor WM-Beginn bei Real unterschrieb und deshalb vom nationalen Verband gefeuert wurde, ist deshalb wohl nur ein Bauernopfer.

Die Real-Chefetage entschied offenbar direkt nach Ende der Schmach von Barcelona, Lopetegui in die Sierra Nevada zu schicken. Nach Informationen von Marca und der Zeitung AS soll die Entlassung am Montag bekannt gegeben werden, der frühere Chelsea-Trainer Conte wird von Pérez favorisiert, von den Spielern aber nicht unbedingt, weshalb offenbar im Verein noch Redebedarf vorherrscht. Lopetegui wiederum betonte im ersten Moment noch, seinen Job behalten zu wollen. "Ich bin im Moment traurig, möchte aber bleiben. Ich bin stark genug zu wissen, dass alles noch gedreht werden kann", sagte er - für den Fall seines Abschiedes hatte er seinen Spielern aber schon in der Kabine adiós gesagt.

Wie es um das Standing eines Coaches bestellt ist, der mit seiner plötzlichen Demission vom Nationalteam eine ganze Reihe von Real-Nationalspielern brüskiert haben dürfte, kann man sich denken. Ohne Ronaldo, ohne klaren Plan, ohne Verstärkungen bricht dann eben auch eine Elf wie jene hochdekorierte von Real Madrid auseinander. Im Clásico, dem Spiel der Spiele, offenbarten sich diese Brüche in ausnahmslos allen Mannschaftsteilen. Hinten irrlicherte Sergio Ramos durch die Präriere, im Zentrum verlor Toni Kroos zum ersten Mal in seinem Leben vielfach die Bälle, und vorne wehte in Person von Gareth Bale, Isco und Benzema allenfalls ein Lüftchen.

Das Führungschaos bei den "Königlichen"

Dass beim Treffer zum 1:2 (50.) einzig der Brasilianer Marcelo ein wenig Widerstand leistete, war bezeichnend. Der Außenverteidiger ist aktuell der einzige Madrilene, der nicht von Schwindsucht befallen ist. Den Rest "müsste man eigentlich komplett entlassen, nicht nur den Trainer", gab Isco unverblümt zu. Wie Barça angeführt vom dreifachen Torschützen Luis Suarez und von Philippe Coutinho (er erzielte nach elf Minuten die Führung) durch ganz Madrid pflügte, wie sich im Grunde jeder Spieler der Katalanen seinem Gegenüber individuell überlegen präsentierte, war schon außergewöhnlich.

Ebenso erstaunlich waren die Zersetzungseffekte der Mannschaft, die die Analysen der Beteiligten zu Tage brachten. Casemiro, der einst so allgegenwärtige Abräumer im Mittelfeld, sprach von einem "Desaster", das ins Bild der gesamten Saison passe und wurde prompt von Ramos gemaßregelt. "So zu urteilen, gehört sich nicht. Wir müssen selbstkritisch sein - und manchmal sind die Spieler eben selber schuld." Bei allen Problemen, zu denen aktuell auch sieben Punkte Rückstand auf Barcelona gehören, werfe man noch nicht alles hin, so Ramos. "Ich habe schon Ligatitel gewonnen, bei denen wir zehn Punkte zurücklagen", sagte der Verteidiger nach nun fünf Liga-Spielen in Serie ohne Sieg. Es gehe jetzt darum, "den Kopf hochzukriegen" - er klang dabei wie ein geschlagener Stier, den der Torero aus der Arena gejagt hatte.

Wie es scheint, sind die Spieler nicht in der Lage, das Führungschaos der "Königlichen" aufzufangen. Und vieles kapriziert sich auf die Figur des Präsidenten Pérez, der vor einem Jahr noch als Architekt einer Ära gepriesen wurde. Erst verlor er nach heftigen internen Debatten Erfolgstrainer Zinédine Zidane (der unter anderem gerne Gareth Bale verkauft hätte und dies nicht durfte) und dann Ronaldo mitsamt seinen 30-50 Saisontoren, auf die man sich stets verlassen konnte. Ähnlich wie beim FC Bayern endet nun offenbar der Zyklus einer Mannschaft, die in noch bedenklicherem Zustand als die Münchner durch die Liga dümpelt, die so kopflos daherkommt wie lange nicht mehr.

Mit dem Disziplinfanatiker Antonio Conte - so er denn mehrheitsfähig ist - soll nun ein Mann die Dinge gerade rücken, der schon einmal seine Bastlerqualitäten bewiesen hat: Als er 2014 Italiens Nationalteam übernahm, befand sich die Squadra Azzurra in ähnlichem Zerfalls-Stadium wie jetzt Real Madrid. Bei der Euro 2016 spielte Italien dann taktisch erfrischenden Fußball wie lange nicht. Und anders als damals in Frankreich warten in Spanien auch keine fiesen Deutschen, gegen die man im Elfmeterschießen verliert. Immerhin.

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