Süddeutsche Zeitung

Paralympics:Sie kann nicht mehr

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Die erfolgreiche Para-Biathletin Clara Klug beendet ihre Karriere - und spricht bemerkenswert offen über ihre Depressionen. Sie appelliert, psychischen Belastungen im Behindertensport größere Aufmerksamkeit zu schenken.

Von Sebastian Winter, München

Es waren Jahre voller Zweifel, mit Stürzen, Rückschlägen und vielen Unsicherheiten wegen der Corona-Pandemie. Immer wieder ging es ums Hinfallen - und ums Aufstehen danach, um neuen Mut.

Am Ende dieser Zeit, die für Clara Klug auch eine Leidenszeit war, hat die dreifache Para-Biathlon-Weltmeisterin und zweimalige Bronze-Gewinnerin bei den Paralympics 2018 in Pyeongchang nun die Reißleine gezogen. Die 28-Jährige tritt vom Leistungssport zurück - auch, weil sie die Schatten, die sie in ihrer Karriere begleitet haben, zuletzt nicht mehr bezwingen konnte.

In einer bemerkenswert offenen Mitteilung, die das deutsche Nordic Paraski Team am Mittwoch versandte, spricht Klug über ihre Depressionen, die der Auslöser für ihr Karriereende sind. "Mir fehlt die Kraft zum Aufstehen - und das ist eine direkte Folge meiner Depression", sagt die Münchnerin. Klug ist fast blind, sie hat eine angeborene Leber'sche Amaurose. Als Kind konnte sie Farben und Gesichtsmerkmale erkennen, mit den Jahren verdunkelte sich alles, heute bleibt ihr weniger als ein Prozent Sehleistung. Die schleichende Erblindung belastete sie zunehmend - und war neben all den Schwierigkeiten im Alltag in der Großstadt, in der sie sich von ihrem Hund Buddy leiten lässt, auch mit Zukunftsängsten verbunden.

Wenn die Biathletin auf Skiern stand und mit ihrem langjährigen Begleitläufer Martin Härtl in der Loipe trainiert, häufig in Kaltenbrunn, einem Schneeloch bei Garmisch-Partenkirchen, vergaß sie diese Probleme oft. Von 2017 an lief sie in die Weltspitze ihres Sports, insgesamt gewannen Klug und Härtl bei Weltmeisterschaften und Paralympics bis 2019 binnen drei Jahren zehn Medaillen - und führten das deutsche Team bei den Spielen in Pyeongchang bei der Schlussfeier als Fahnenträger an. Zugleich zermürbte Klug schon da der Druck, der mit den Erfolgen kam: "Ich kann mich an keinen Wettkampf erinnern, mit dem ich richtig zufrieden war. Immer dachte ich: Eigentlich habe ich nur Glück gehabt. Und muss jetzt umso mehr beweisen, dass ich das alles verdient habe."

"Wir leben 24/7 mit unseren Einschränkungen. In der Sportwelt wird das oft übersehen. Unsere psychische Belastung ist noch mal höher als die im olympischen Leistungssport."

Klug hatte sich schon früh in psychologische Behandlung begeben, in erster Linie wegen einer Essstörung und psychischer Probleme, die sie auf Alltagsbelastungen durch ihre Erblindung zurückführt. Von 2020 an geriet sie in eine Abwärtsspirale, sie wurde krank, begann zu früh mit dem Training, wurde die grippalen Infekte nicht los. Dann kam Corona.

Die WM 2020 in Östersund wurde 24 Stunden vor dem ersten Rennen abgesagt. Zurück in München musste Klug mit Abstandsgeboten und Maskenpflicht klarkommen, was ihr extrem schwerfiel: "Sehende Menschen können das vielleicht nicht nachvollziehen, aber die Welt hört sich völlig anders an, wenn man eine Maske aufhat." Sie bekam Panikattacken, fühlte sich antriebslos, quälte sich weiter ins Training. Und verpasste die Paralympics in Peking wegen zweier Stürze, bei denen sie sich einen Haarriss im Mittelhandknochen und eine Schulterfraktur zugezogen hatte. Sie hatte die Strecken gekannt, zugleich das Vertrauen in sich selbst verloren.

Hilfsangebote habe es durchaus gegeben, heißt es aus dem Teamumfeld, doch Klug habe sich zu sehr zurückgezogen. Sie selbst empfand die Angebote als nicht zielgerichtet genug. "Wenn du eine Depression hast, ist die Hemmschwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, sehr hoch." Klug wirbt zugleich dafür, auf psychische Herausforderungen im Para-Sport ein stärkeres Augenmerk als bisher zu legen. "Wir leben 24/7 mit unseren Einschränkungen. In der Sportwelt wird das oft übersehen. Unsere psychische Belastung ist noch mal höher als die im olympischen Leistungssport."

Klug denkt an schöne Erinnerungen zurück, die Atmosphäre im Olympischen Dorf, nächtelange Gespräche mit ihrer Zimmerkollegin Anja Wicker, die Unterstützung der Sportfördergruppe der bayerischen Polizei. Sie ist zugleich froh, den Leistungsdruck nun nicht mehr spüren zu müssen. Inzwischen hat sie sich wegen ihrer Depressionen erneut in Behandlung begeben.

Wenn es ihr wieder besser geht, möchte sie den Kontakt zum Team halten, vielleicht mal als Mentorin arbeiten. Sie, die gelernte Computerlinguistin, hat einen neuen Job im bayerischen Landeskriminalamt begonnen, sie hat auch vor, einen Tauchschein zu machen. "Erfolg ist, einmal mehr aufzustehen, als man hingefallen ist", lautet Clara Klugs Lebensmotto. Es soll auch weiterhin gelten.

Wenn Sie den Verdacht haben an Depression zu leiden, ist das Gespräch mit einem Arzt oder Psychotherapeuten unverzichtbar. In Notfällen wenden Sie sich bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder einen Krisendienst (Adressen finden Sie zum Beispiel hier und hier - oder direkt an den Notarzt unter der Telefonnummer 112).

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