Chronologie Philipp Lahm:Zehn Jahre Wechselspiel

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Der Blick des Debütanten: Philipp Lahm mit Teamchef Rudi Völler vor seinem ersten Länderspiel am 18. Februar 2004 gegen Kroatien. (Foto: Oliver Berg/dpa)

113 Länderspiele, fünf Tore und zahlreiche Diskussionen, wo er denn nun am effektivsten eingesetzt werden sollte: Philipp Lahm wusste immer, dass es auf Inhalte ankommt. Eine Chronik seiner Zeit im DFB-Team.

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Auf der rechten Seite, klar, da verteidigte der junge Arne Friedrich. Auf der Doppelsechs vor der Abwehr, die damals einfach noch defensives Mittelfeld hieß, spielten Dietmar Hamann und Torsten Frings. Teamchef Rudi Völler hätte dort vielleicht auch Frank Baumann oder Carsten Ramelow spielen lassen können, aber Baumann musste im linken Mittelfeld aushelfen, und Ramelow saß erst einmal auf der Bank. Es gab damals nicht viele Diskussionen, wen Völler auf welcher Position spielen lassen sollte. Es war daher auch klar, wer ganz unbedingt als Linksverteidiger auflaufen musste: der Debütant Philipp Lahm vom VfB Stuttgart.

Es hat sich viel verändert im deutschen Fußball seit jenem 18. Februar 2004 in Split, seit dem 2:1 der deutschen Nationalmannschaft gegen Kroatien. Auf Völler folgte Jürgen Klinsmann, auf Klinsmann folgte Joachim Löw. Die Mannschaft wurde jünger, multikultureller, spielfreudiger, taktisch variabler. Und immer wieder gab es die Diskussion, auf welcher Position Lahm spielen sollte. Als Linksverteidiger? Als Rechtsverteidiger? Vor der Abwehr? Als Rechtsverteidiger, der auch vor der Abwehr aushilft?

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Begonnen hatte diese einzigartige Nationalmannschaftskarriere also auf der linken Seite. Nach 98 weiteren Länderspielen sagte Lahm, dass das Spiel gegen Kroatien das schönste gewesen sei, "weil ich als ein junger Spieler berufen wurde. Sieben Monate zuvor war ich noch Amateurspieler".

Nun, nach 14 weiteren Länderspielen, das letzte am 13. Juli in Rio de Janeiro, verabschiedet sich Lahm aus der Nationalmannschaft. Als Rechtsverteidiger. Als 30-Jähriger. Als Weltmeister. Nach 113 Länderspielen, alle in der Startelf, nach fünf Toren, nach bitteren Niederlagen, nach berauschenden Siegen. Nach zehn Jahren, an deren Ende er der wichtigste Nationalspieler war. Der Kapitän.

Es waren zehn Jahre der Nationalmannschaftsgeschichte, in denen der jeweilige Bundestrainer vielleicht überlegen musste, auf welcher Position er Lahm aufstellen sollte. In denen dafür immer klar war: Lahm wird überzeugen.

Es gehört zu Lahms Spielweise, dass nur wenige Aktionen konkret in Erinnerung bleiben werden. Es gibt die Lahm-Körperdrehung, wie er sich mit dem Ball um den Gegner wendet. Den Lahm-Sprint, die Lahm-Flanke, von der Grundlinie oder aus dem Halbfeld. Und viele, schnelle, unauffällige Pässe, die doch das ganze Spiel strukturieren, ihm einen Rhythmus geben. Und ein paar wenige auffällige Aktionen, die verdeutlichen, wie wichtig Lahm für die Nationalmannschaft war.

Da ist das Dribbling im Eröffnungsspiel der WM 2006 gegen Costa Rica, Lahm weiß bis kurz vor dem Anpfiff nicht, ob er überhaupt spielen darf. Nach einer Ellbogenoperation trägt er eine Armschiene, der Schiedsrichter musste seinen Einsatz erst genehmigen. Es läuft die fünfte Minute, Lahm, als Linksverteidiger aufgestellt, kommt an den Ball, zwei Ballberührungen, er wechselt abrupt die Richtung, ein Verteidiger läuft weiter zur Grundlinie, ein zweiter rutscht aus. Zwei weitere Ballberührungen, Lahm steht frei im Strafraum, trifft mit einem Schlenzer in den rechten Winkel. Deutschland gewinnt 4:2, berauscht eine ganze Fußballnation, wird Dritter.

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Ein Turnier später, eine weitere entscheidende Aktion. Das Halbfinale der EM, es steht 2:2 gegen die Türkei. Es läuft die 90. Minute, Lahm, als Linksverteidiger aufgestellt, kommt an den Ball, fünf Ballberührungen, ein Doppelpass mit Thomas Hitzlsperger, Lahm steht im Strafraum, nimmt den Ball an, trifft lässig, Deutschland steht im Finale. Dort rennt dann Fernando Torres dem Linksverteidiger Lahm davon, er muss in der Halbzeit ausgewechselt werden, Deutschland verliert 0:1.

Ein Turnier später, eine weitere entscheidende Aktion. Eine außerhalb des Spielfeldes. Eine, die aus dem Außenverteidiger Lahm endgültig den Kopf der Mannschaft werden lässt. Bei der WM in Südafrika fehlt Kapitän Michael Ballack nach einer Knöchelverletzung. Lahm, der Rechtsverteidiger, führt eine junge Mannschaft an, unaufgeregt, mit der Autorität des Vernünftigen, der weiß, dass nicht zählt, wie laut Worte gesprochen werden, sondern dass ihr Inhalt stimmen muss. Während des Turniers sagt Lahm, in angemessen dezenter Lautstärke, dass er gerne weiterhin die Kapitänsbinde tragen würde. Es gab eine Diskussion, zumindest eine kurze. Aber Lahm trug seitdem die Kapitänsbinde.

Er trug sie auch an jenem Abend in Rio de Janeiro. Auf der linken Seite, klar, da verteidigte Benedikt Höwedes. Auf den beiden Positionen vor der Abwehr, die schon längst nicht mehr defensives Mittelfeld heißen, spielten Bastian Schweinsteiger und Christoph Kramer. Bundestrainer Löw hätte auch Sami Khedira aufstellen können, aber der war verletzt. Er hätte auch gerne Philipp Lahm dort aufgestellt. Aber der musste ein letztes Mal als Rechtsverteidiger aushelfen.

© SZ vom 19.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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