Christopher Froome:Überdosis beim Rad-Helden

  • Sollte der viermalige Tour-Sieger Christopher Froome vom Radsport-Weltverband geschützt werden?
  • Er hatte bei einem Doping-Test doppelt so viel Salbutamol im Körper wie erlaubt.
  • Warum wurde der positive Test monatelang verheimlicht?

Von Thomas Kistner

Viel Wirbel hat der internationale Radsport über die letzten Jahre mit seiner angeblichen Runderneuerung nach dem Sündenfall Lance Armstrong gemacht. Aber nun ist die Velo-Branche wieder in der alten Spur: Christopher Froome, 32, die neue Ikone mit vier Siegen bei der Tour de France, ist positiv getestet worden. Laut Weltverband UCI wurde dem Briten vom Team Sky bei der Spanien-Rundfahrt, der Vuelta, eine überhöhte Konzentration von Salbutamol nachgewiesen, die B-Probe bestätigte das Ergebnis.

Froome bestreitet Dopingabsichten, er habe das Salbutamol wegen seiner chronischen Asthma-Erkrankung inhaliert. Das Mittel hilft tatsächlich gegen Asthma- oder Bronchial-Erkrankungen und ist auch im Sport in gewissen Dosen zugelassen, allerdings ist die erlaubte Konzentration in Dopingproben auf 1000 Nanogramm pro Milliliter Urin beschränkt. Die Probe des Briten vom 7. September wies aber 2000 Nanogramm auf. Das dürfte für eine Sperre ausreichen, immerhin hatte Froome damit mehr Salbutamol im Körper als beispielsweise 2007 der Sprintspezialist Alessandro Petacchi bei seinem Giro-d'Italia-Sieg: Dem Italiener wurde damals die Konzentration von 1360 Nanogramm nachgewiesen, wegen Missachtung der Regeln verlor er den Titel und wurde für zwölf Monate gesperrt. Petacchis Landsmann Diego Ulissi erhielt 2014 für eine Konzentration von 1900 Nanogramm neun Monate Sperre.

"Mein Asthma wurde bei der Vuelta schlimmer" - da rieten die Ärzte zu mehr Hustenspray

Aber Froome ist die Galionsfigur der Branche. Mit dem Vuelta-Sieg, den er drei Tage nach seinem Positivbefund sicherte, schloss er zu den nur zwei Radhelden auf, die bisher das Double aus Tour- und Vuelta-Sieg schafften: die Franzosen Jacques Anquetil (1963) und Bernard Hinault (1978). Über sein Team Sky teilte der Brite nun mit, es sei ja weithin bekannt, dass er Asthma habe, auch kenne er die Regeln. Aber: "Mein Asthma wurde bei der Vuelta schlimmer, und ich habe die Anweisung der Teamärzte befolgt, die Salbutamol-Dosierung zu erhöhen. Wie immer habe ich sorgfältig darauf geachtet, dass die erlaubte Dosierung nicht überschritten wird."

Das hat nicht funktioniert. Daneben werfen andere Vorgänge durchaus heikle Fragen auf. Froome gab die positive Urinprobe just an dem Tag ab, als er sich - nach einem heftigen Rückschlag tags zuvor - per Gewaltleistung am Berg von seinem härtesten Verfolger Vincenzo Nibali abgesetzt hatte. Bei jener Etappe mit der verbotenen Menge im Körper baute er den Vorsprung auf 21 Sekunden aus. Zudem hatte er nach der Zielankunft in Alto de los Machucos eine Aussage getroffen, die nun äußerst seltsam wirkt: "Ich habe mich heute deutlich besser gefühlt als gestern. Ich glaube, einige Jungs haben heute für ihre Anstrengung von gestern bezahlt." Das ist bemerkenswert für einen Profi, der, wie er ja nun sagt, am selben Tag verstärkte Asthmabeschwerden mit höherer Dosierung bekämpft hatte.

Demnach gilt: Viel hilft viel. Froome und Sky sagen, sie wollen die UCI-Ermittlungen voll unterstützen. Gut kooperiert wurde offenkundig auch schon bisher: Der Weltverband verzichtet bis auf Weiteres auf die Suspendierung seines Primus. Zwar geben das die Regeln her, trotzdem wirft das Prozedere der UCI Fragen auf: Sie hatte, ganz in der Tradition früherer Intransparenz, die Causa Froome drei Monate lang unter dem Deckel gehalten; erst Anfragen der britischen Zeitung Guardian und des französischen Blatts Le Monde scheuchten den Weltverband auf.

Das wirft trübes Licht auf die Vorgänge um den in Kenia und Südafrika aufgewachsenen Froome. Auffällige Befunde gab es in dessen Vita zwar bisher noch nicht, dafür aber viele spannende Fragen. Im April 2014 gewann er die Tour de Romandie, nachdem er eine Infektion mit Kortison behandelte; dafür hatte es eines ärztlichen Attests und einer Medizinischen Ausnahmegenehmigung (TUE) durch den Weltverband bedurft. Zwei Monate später griff er beim Critérium du Dauphiné, inmitten einer Bergetappe, zum Asthmaspray. Bei der Tour 2015 staunte die Branche über den Kraftakt, mit dem er auf der ersten Pyrenäen-Etappe die Konkurrenz düpierte und ins Gelbe Trikot fuhr; es war der Grundstein für Froomes dritten Rundfahrt-Sieg. Damals warf ein Fan eine Urinflasche nach ihm, und als die Verdachtsdebatten nicht verstummten, wollte Sky mit einer Studie dagegen halten. Publiziert wurden dann aber nur ein paar Leistungsdaten; die aus Sicht von Trainingswissenschaftlern entscheidenden Werte waren nicht dabei.

Das Publikum beruhigte sich trotzdem. Als 2016 die Hackergruppe Fancy Bears allerlei Topathleten enttarnte, die dank TUEs Mittel einnahmen, die sonst auf der Dopingliste stehen, war Froome mit Kortikosteroiden dabei (nebst Landsmann Bradley Wiggins). Er plädierte für strengere Kriterien bei der TUE-Erteilung und erklärte, solche nur zweimal in seiner Laufbahn genutzt zu haben. Womöglich war der jüngste Vuelta-Sieg im Herbst das dritte Mal?

Parallelen zur Karriere von Lance Armstrong

Zufall oder nicht, der aktuelle Fall weist Ähnlichkeiten zu zwei markanten Sündern der Neuzeit auf. Froome hatte seine Überdosis genommen, nachdem er im Rennen heftig zurückgefallen war - mit der Substanz im Körper rollte er bei der Vuelta sofort weit nach vorne. Der Amerikaner Floyd Landis war bei seinem Tour-Sieg 2006 aufgeflogen, nachdem er auf der 17. Etappe eine atemraubende Solofahrt hingelegt hatte. Tags zuvor war er völlig eingebrochen - und hatte sich deshalb, wie er später zugab, mit Testosteron vollgepumpt.

Parallelen weist Froomes Karriere auch zu der von Lance Armstrong auf. Beide waren bis Mitte zwanzig unauffällige Mitfahrer; die ersten Tour-Siege holten sie mit 28 Jahren. Armstrong war nach schwerer Krebserkrankung als Superman in die Radwelt zurückgekehrt und hatte sieben (mittlerweile aberkannte) Tour-Titel abgeräumt. Auch Froomes Erweckungserlebnis fand angeblich nach überstandener, schwerer Krankheit statt. Als der Mann, dessen unorthodoxer Fahrstil oft Kopfschütteln evozierte, im Herbst 2011 auf Platz zwei der Vuelta schoss, erklärte er den Coup damit, dass ihm zuvor eine langjährige Bilharziose-Erkrankung Energie geraubt habe; die habe er überwunden.

Bei Olympia 2012 in London gewann er Bronze, 2013 trat er mit dem ersten Tour-Triumph aus dem Schatten des Vorjahres-Siegers, seines Landsmanns Wiggins. Generell erstaunt, wie England, das bei Olympia 1996 in Atlanta nur einmal Gold gewann und Rang 36 der Nationenwertung besetzte, für die Heimspiele 2012 eine Gewinner-Generation quer durch alle Sportarten zu produzieren vermochte. Als Dritter hinter den USA und China feierte das Königreich 29 Goldmedaillen. Auch im Radsport, wo die Briten seit dem Dopingtod Tom Simpsons 1967 bei großen Rennen stets hinterher radelten, begann nun Britannias große Ära.

Jetzt ermittelt die UCI, die den Fall nur auf Druck transparent machte. Sky hilft dabei. Anders gesagt: im Sport nichts Neues.

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