Christian Eriksen bei der WM:Dänemarks Herzschrittmacher

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War nach Meinung seiner Teamkollegen nie ein besserer Spieler, als er es jetzt gerade ist: Christian Eriksen. (Foto: Ida Marie Odgaard/AP)

Eineinhalb Jahre nach seinem Zusammenbruch auf dem Rasen bei der EM spielt Christian Eriksen mit Defibrillator bei der WM. Für die Mannschaft ist er zum Auftakt gegen Tunesien mindestens so wichtig wie vorher.

Von Sebastian Fischer

An die Bilder, die jetzt um die Welt gehen, haben sich die Dänen schon wieder gewöhnt. Christian Eriksen, wie er über den Trainingsplatz in al-Rayyan joggt, lachend. Wie er Pässe spielt, Tore schießt. Sein jüngstes gelang ihm grätschend, für Manchester United gegen Fulham, nur ein paar Tage ist es her.

Eriksen wieder Fußball spielen zu sehen? Flemming Povlsen, Europameister mit Dänemark 1992 und TV-Experte, sagt: "Das ist wieder Alltag geworden." Dabei war es vor eineinhalb Jahren noch so gut wie undenkbar. Am 12. Juni 2021, als Eriksen im EM-Gruppenspiel gegen Finnland mit einem Herzstillstand auf dem Rasen des Stadions in Kopenhagen lag und Notärzte ihn wiederbelebten.

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In Dänemark, ganz ähnlich wie in Deutschland, dominieren nicht die fußballerischen Themen die Berichterstattung über die WM. Mehr als viele andere Verbände hat der dänische zumindest versucht, vorsichtig Stellung zu beziehen. Jedenfalls wurde der Mannschaft von der Fifa nicht nur das Tragen der "One Love"-Kapitänsbinde verboten, sondern vorher schon ein Trainingstrikot mit der Aufschrift "Menschenrechte für alle".

"Ich bin dankbar, dass ich hier bin"

Alles andere schien etwas in den Hintergrund zu rücken. Bis am vergangenen Wochenende Dänemarks bekanntester Fußballer auf dem Pressepodium im Trainingsquartier Platz nahm und mehr als 20 internationale Medien erschienen, wie die Zeitung Berlingske in einem Anflug von Erstaunen notierte: Sogar Reporter aus Spanien und Japan seien da gewesen.

Eriksen, 30, sprach dann über die besondere Rolle, die dieses Turnier in seiner Biografie einnehme. Er habe jetzt ein neues Motto, so hatte er es vorher schon dem niederländischen Fernsehen erzählt: "Ich bin dankbar, dass ich hier bin. Es ist sehr speziell. Alles andere ist extra."

Die Geschichte seiner Rückkehr auf den Fußballplatz begann zunächst mit einem Rückschlag. Weil Eriksen ein Herzschrittmacher eingesetzt wurde, durfte er in Italien nicht mehr spielen. Inter Mailand löste den Vertrag auf, der noch bis 2024 gegolten hätte. Eriksen trainierte im Dezember in der Heimat, bei seinem Jugendklub Odense BK. Mehr als ein halbes Jahr nach seinem Zusammenbruch verpflichtete ihn dann der damalige Premier-League-Aufsteiger FC Brentford. Im Februar spielte er wieder.

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Was seitdem geschah, ist eine erstaunliche Comeback-Geschichte. "Er spielt seine Klasse wieder runter, ist ruhig am Ball, torgefährlich und zieht die Leute mit. Man sieht ihm das nicht an, dass vor eineinhalb Jahren in Frage stand, ob er überhaupt weiter Fußball spielen kann", sagt Povlsen. Trainer Kasper Hjulmand sagte in der Pressekonferenz vor Dänemarks Auftaktspiel an diesem Dienstag gegen Tunesien: "Er ist unser Herz, unser Herzschlag. Er ist ein fantastischer Spieler und eine noch bessere Person. Er gibt uns so viel." Teamkollege Jonas Wind vom VfL Wolfsburg sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Ich persönlich glaube: Christian war nie ein besserer Spieler, als er es jetzt gerade ist."

Inzwischen ist Eriksen Stammkraft im zentralen Mittelfeld von Manchester United

Im März, einen Monat nach seinem ersten Einsatz für Brentford, lief Eriksen wieder für Dänemark auf - und traf nach zwei Minuten mit einem Schuss in den Winkel. Im Sommer ging er nach Manchester, zu Trainer Erik ten Hag. Bei United ist er Stammkraft im zentralen Mittelfeld, spielt mit Umsicht kluge Pässe. In der Nationalelf ist er nun mindestens wieder so wichtig, wie er vorher war.

Bemerkenswert ist das deshalb, weil der Erfolg bei der EM ja ohne ihn gelang. Die Mannschaft schaffte es bis ins Halbfinale, angetrieben von der Euphorie der Dänen und einem herausragenden Teamgeist, der auch durch die besonderen Umstände entstand. Auf Eriksens Position brillierte Mikkel Damsgaard, damals gerade 21 Jahre alt.

Christian Eriksen beim Training. (Foto: Peter Cziborra/Reuters)

"Es ist vieles geblieben" von diesem Erfolg, sagt Povlsen, zum Beispiel "der Glaube, dass wir so eine Überraschung noch mal packen können". Der Kader ähnelt personell jenem bei der EM sehr, der Stil des Fußballs hat sich auch nicht verändert: offensiv, mit angriffslustigen Außenverteidigern, entweder im 4-2-3-1 oder im 3-4-3. Es gab weitere Erfolge vorzuweisen: Dänemark schlug Frankreich, den Weltmeister und zweiten Gruppengegner, zweimal in der Nations League.

Es gebe auch "Problemzonen", sagt Povlsen. Einige Spieler seien außer Form. Innenverteidiger Andreas Christensen hat für den FC Barcelona nur fünf Ligaspiele bestritten, Stürmer Kasper Dolberg nur vier für den FC Sevilla. Damsgaard, die EM-Entdeckung, stand beim FC Brentford in der Premier League nur einmal in der Startelf.

Die Hoffnung, sagt Povlsen: Dass die Profis, wie es in Dänemark oft sei, im Kreise der Nationalmannschaft ihre persönlichen sportlichen Probleme vergessen. "Das Zusammensein, das gibt Kraft." Und dann kommt es natürlich auf jene an, die in Form sind. Pierre Emile Højbjerg von Tottenham Hotspur etwa, Jesper Lindstrøm von Eintracht Frankfurt - und Eriksen.

117 Länderspiele hat er bestritten, es ist sein fünftes Turnier, womöglich eines seiner letzten und doch sein erstes mit einer neuen Haltung. Er sagt: "Die einfache Tatsache, am Leben zu sein und bei meiner Familie zu sein, weiß ich jetzt voll und ganz zu schätzen."

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