Ein schmaler, schüchterner Mann, der in Interviews kein Wort zu viel spricht und dann mit unnachahmlicher Eleganz im Sattel sitzt. Und ein Pferd, das sich mit tänzerischer Leichtigkeit durch eine Kür bewegt. Das ist zurzeit das spannendste Paar im internationalen Dressurreiten. Ein Paar, das gerade beim CHIO in Aachen all die Pläne zerstört, die sich Isabell Werth gemacht hatte.
Werth, 55 Jahre alt, acht Goldmedaillen bei Olympischen Spielen, war sich bereits sicher, dass viele weitere Siege auf sie warten. Darela, die Stute ihrer Konkurrentin und Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl, erwartet ihr erstes Fohlen, und noch steht für sie kein gleichwertiger Ersatz bereit. Und so fühlte sich Werth alleine an der Spitze des Dressursports. Doch dann tauchte da plötzlich der 38 Jahre alte Belgier Justin Verboomen mit seinem neunjährigen Hengst Zonik Plus auf. Die beiden gewannen beim CHIO in Aachen erst am Freitag im Grand Prix Special und dann am Sonntag auch noch in der Grand Prix Kür. Vor dem Turnier hatte die beiden keiner zu den Favoriten gezählt. Und sogar Verboomen selbst sagte nach dem zweiten Erfolg: „Ich hatte damit nicht gerechnet.“

Start der Tour de France:Die größte deutsche Tour-Hoffnung? Ein Ex-Biathlet
Seit dem Einstieg von Red Bull beim größten deutschen Radrennstall läuft sportlich einiges schief. Hoffnung macht Florian Lipowitz, der erstmals bei der Tour de France antritt. Aber nicht als Kapitän – oder heimlich doch?
Verboomen und Zonik Plus gelang einfach alles. Die Piaffen und Passagen, die manchen Konkurrenten so viel Mühe machen, das fließende Seitwärts in den Traversalen und die unaufgeregten fliegenden Galoppwechsel. „Es war super angenehm für mich, das Pferd war großartig“, schwärmte der Belgier.
Ganz anders dagegen das Silbermedaillenpaar von Paris, Isabell Werth und Wendy. Bei ihnen wird es oft eine Angstpartie, in diesem Jahr noch mehr als im Olympiajahr 2024. Klappt es oder verheddern sie sich, was mit empfindlichen Abzügen bestraft wird? Schon im Galopp vor den verhängnisvollen Diagonalen, auf denen die fliegenden Galoppwechsel verlangt werden, scheint die elfjährige Wendy sich innerlich aufzuladen und Werth noch entschlossener zu agieren als ohnehin schon. Dennoch war Werth zufrieden. „Knapp vorbei ist auch daneben“, sagte sie dem WDR, „aber ich muss sagen, dass Wendy wirklich super ging. Das war sicherlich ihre beste Leistung. Sie hat sich von Tag zu Tag gesteigert.“ Dass Verboomen ihr nach dem Sieg am Freitag erneut „das Leben schwerer machen wird“, sagte Werth, das „war klar“.
Verboomen fand seinen Hengst Zonik Plus zufällig – in einem Stall in Lissabon
Begonnen hat diese Überraschungsgeschichte in einem Stall in Lissabon. Verboomen hatte sich der iberischen Reitweise verschrieben, hatte Lusitanos, die portugiesischen Verwandten der spanischen Andalusier, ausgebildet und erfolgreich auf Barockturnieren vorgestellt. Diese kleinen, eher gedrungenen Pferde haben eine besondere Begabung für Piaffe und Passage, gehen aber im Trab und Galopp nicht raumgreifend genug. Für den internationalen Sport suchte Verboomen daher ein Pferd, das die Vorzüge des iberischen Pferdes mit den Stärken des warmblütigen Dressurpferdes vereinen sollte.
In den klassischen Dressurzuchtländern Niederlande, Belgien und Deutschland fand er keines, das er bezahlen konnte. Und dann trabte ihm eines Tages in einem Stall bei Lissabon genau so ein Pferd entgegen. Es soll die berühmte Liebe auf den ersten Blick gewesen sein, so sagt es Verboomen selbst. Zonik Plus war erschwinglich, er blieb noch eine Weile zur Ausbildung in Portugal, bis Verboomen ihn übernahm.
Meistens trainiere er alleine, auf die Pferde lässt er nur seine Schwester Clarisse, die auch die Pferdepflegerin ist. Seit zwei Jahren hilft ihm Claudia Kircheiss, eine deutsche Trainerin, die aber kein Profi ist. In seiner Heimat und auch auf Turnieren in Luxemburg und den Niederlanden waren Verboomen und Zonik Plus zwar schon aufgefallen. In Aachen kam er dennoch als Nobody an. Er geht als einer, der schon bei der Europameisterschaft Ende Juli im französischen Crozet zu den Favoriten zählt. Und als einer, der möglicherweise schon bald Kaufangebote für Zonik Plus in schwindelerregender Höhe erhalten wird.