China:Keine Tattoos! Keine Strähnchen!

**EXCLUSIVE**Portrait of Chinese soccer player Wang Shenchao of Shanghai SIPG F C for the 2018 Chin

Ein Jahr gesperrt, weil er auf dem Platz ein Kettchen trug: Nationalspieler Wang Shenchao.

(Foto: imago/Imaginechina)

Lange Sperren und Fußballcamps: Wie der chinesische Verband den Fußball-Nationalspielern die Individualität austreiben will.

Von Marcel Grzanna

Wie viel Kreativität, wie viel Individualität verträgt ein funktionierendes Team? Und wie viel braucht es, um Erfolg zu haben? Darüber gibt es, wie so oft im Fußball, unterschiedliche Meinungen. In der Volksrepublik China, deren Staatspräsident den baldigen Gewinn des WM-Titels als Ziel ausgegeben hat, hauen die Funktionäre des nationalen Verbandes CFA jedenfalls mit dem Holzhammer auf alles, was nicht der Norm entspricht. Der Weg zum Gipfel des Weltfußballs führt nach chinesischer Auffassung offenbar über altmaoistische Traditionen: Die Obrigkeit stellt die Regeln auf, wie Spieler auszusehen haben, und sie spricht drakonische Strafen aus, wenn jemand aus der Reihe tanzt.

Kürzlich erwischte es den talentierten U19-Nationalspieler Zhou Junchen, Spitzname "chinesischer Ribéry". Die CFA sperrte ihn für zwölf Monate. Er darf in dieser Zeit weder fürs Nationalteam auflaufen, noch für seinen Erstligaklub Shanghai Shenhua. Sein Vergehen? Zhou hatte mit einigen Mitspielern nach einem verlorenen Länderspiel gegen Jordanien (0:2) in Thailand ohne Rücksprache mit dem Trainerteam das Hotel verlassen. Während die anderen Ausbüchser mit kürzeren Sperren davonkamen, traf Zhou die volle Wucht der Autoritäten. Er sei uneinsichtig gewesen, heißt es aus Verbandskreisen.

"Die CFA befindet sich offenbar auf einem neuen Feldzug. Eine solche Strafe ist völlig überzogen und schadet der Entwicklung des Spielers", sagt der Journalist Brandon Chemers aus Peking, der seit vielen Jahren über den chinesischen Fußball berichtet. Der US-Amerikaner glaubt, Zhou sei so hart bestraft worden, um ein Exempel an ihm zu statuieren. Dass eines ihrer größten Talente möglicherweise den Anschluss verliert, nehmen die Funktionäre in Kauf.

Ebenso hart hatte es einige Wochen zuvor schon einen Nationalspieler erwischt. Wang Shenchao war im Länderspiel gegen Myanmar eingewechselt worden, auf dem Feld hatte er in seinen Stutzen gegriffen, wo er ein Halskettchen verstaut hatte. Er legte es an - und verstieß damit gegen Fifa-Regularien. Der nationale Verband sprach auch in diesem Fall eine zwölfmonatige Sperre aus. Wang muss bei der Asienmeisterschaft Anfang nächsten Jahres zuschauen. "Wann hört die CFA endlich auf, sich in den eigenen Fuß zu schießen?", fragt dazu Jonathan White von der in Hongkong publizierten South China Morning Post. "Sie ist vielleicht das desorganisierteste Organ im gesamten Sport." Und sie scheint zu glauben, dass vor allem Vereinheitlichung und Disziplinierung der Spieler zum WM-Titel führen.

Unverständnis erntete der Verband Anfang Oktober, als er 55 chinesische Spieler unter 25 Jahre aus der ersten und zweiten Liga für ein mehrmonatiges Trainingslager rekrutierte. Ohne Rücksicht auf die laufende Saison in der Chinese Super League mussten die Klubs ihre Spieler abtreten. Mehrere Wochen lang sahen die Jungprofis nicht einmal einen Ball. Stattdessen sieht man sie auf Fotos mit nacktem Oberkörper in den Schnee springen.

Militärcamps für Fußballer haben zwar seit den 1950er Jahren Tradition in China - allein der Durchbruch in die Weltspitze blieb aus. Nun heißt es, die 55 Profis sollten im kommenden Jahr in zwei Kader aufgeteilt werden und gegen die Klubs der ersten und zweiten Liga antreten. Ihre Gegner sollen dabei auf ihre ausländischen Stars verzichten. Die Sinnhaftigkeit des Projekts wird seitdem diskutiert. Es erinnert ein wenig an jenes Vorhaben von vor gut einem Jahr, als eine chinesische Nachwuchs-Elf nach Deutschland geschickt und außer Konkurrenz in der Regionalliga Südwest mitspielen sollte. Gegen üppiges Honorar für die deutschen Viertligisten. Nachdem es zum Debüt Proteste von Exil-Tibetern gab, wurde das Projekt hektisch wieder abgeblasen. Die Begleiterscheinungen der in Deutschland geltenden Meinungsfreiheit hatten Politiker und Funktionäre nicht bedacht.

Vermutet wird, dass die Politik auch in den derzeit diskutierten Fällen wieder eine große Rolle im Hintergrund spielt. Das Sportministerium stellt fachfremde Funktionäre wie zuletzt den ehemaligen Tischtennisspieler Cai Zhenhua an die Spitze des Verbandes und künftig möglicherweise den Ex-Basketballhelden Yao Ming. Die dann auch noch wenig Gestaltungsspielraum haben: Die CFA gilt als streng hierarchisches Konstrukt, das sich den Anweisungen des Ministeriums beugen muss. So sind es letztlich wohl auch politische Funktionäre, die den Nationalspielern vorschreiben, wie sie auszusehen haben, wenn sie weiterhin für China auflaufen wollen. Tätowierungen müssen mit hautfarbenen Armstrümpfen abgedeckt, Haare kurz und schwarz getragen werden. Strähnchen oder Zöpfchen werden nicht mehr geduldet. Chinesische Medien bezeichneten die Anweisung als Maßnahme im Rahmen einer "gesunden kulturellen Erziehung".

Die Disziplinierung erwischt aber auch Ausländer. Der Brasilianer Diego Tardelli von Shandong Luneng wurde gerade für ein Spiel gesperrt, weil er sich während der Nationalhymne ins Gesicht fasste. Eine Geste, die irgendjemand als respektlos der chinesischen Hymne gegenüber wertete. In einer Stellungnahme, die in Tardellis Namen auf Chinesisch veröffentlicht wurde, hieß es: "Ich entschuldige mich für mein respektloses Verhalten China gegenüber. Das hatte ich nicht beabsichtigt. Ich lebe und arbeite seit vier Jahren in China und liebe und respektiere dieses Land zutiefst."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: