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Fußball in China:Umstritten aus guten Gründen

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Der chinesische Markt, der die Fußballbranche mit seinen großen Zahlen verrückt machte, scheint derzeit ein Schauplatz in Auflösung zu sein. Das kommt der Bereinigung eines bedenklichen Geschäftszweiges gleich.

Kommentar von Philipp Selldorf

Das Wort Päpperwju findet sich in keinem deutschen Wörterbuch, auch der Begriff Fipps ist dort allenfalls als Eigenname angeführt. Diese beiden Spezialvokabeln entstammen den vielen langen Reden, die Reiner Calmund vor rund 25 Jahren gehalten hat, als er nicht nur für Bayer Leverkusen, sondern gleich für die gesamte deutsche Fußballbranche kommerzielle Visionen entwarf.

Die Fipps - alias VIPs - waren die neuen Gäste in den Logen, die seinerzeit gewinnbringend in die Stadien einzogen, während Päpperwju - aus dem Rheinischen übersetzt: Pay per View - der goldene Esel der Klubs werden sollte: ein Fernsehverfahren, bei dem sich jeder Fan an jedem Spieltag für ein paar Mark extra live das Spiel anschauen könnte. Bei wenigstens sechs Millionen Bayern-Fans im Land, so rechnete Calmund beispielhaft vor, würden somit pro Partie des FCB zehn- bis zwanzig Millionen Mark zusätzlich erwirtschaftet. Goldene Zeiten sollten kommen.

Die Erwartung ans große TV-Geschäft war keine Fantasterei, sondern eine Kalkulation auf logischer Grundlage, erfüllt hat sie sich trotzdem nicht. Dass sich die Märkte immer wieder ihrer vermeintlichen Berechenbarkeit entziehen, erlebt das Fußball-Business gerade am Beispiel China. Der chinesische Markt, der vor ein paar Jahren mit seinen großen Zahlen die Branche verrückt gemacht hat und einen Andrang auslöste wie 1896 der Goldrausch am Klondike-Fluss, scheint derzeit ein Schauplatz in Auflösung zu sein. Wo sind sie eigentlich hin, die Fußballfans im Riesenreich?

Namhafte Trainer wie Fabio Cannavaro und Rafa Benitez und Spieler wie der Brasilianer Hulk haben längst den Dienst quittiert

Am Dienstag berichteten Agenturen, der Erstligist Hebei FC sei zurzeit so pleite, dass er nicht mal seine Stromrechnung bezahlen könne, sein Verbleib in der aktuell pausierenden Liga ist ungewiss. Der Vorjahresmeister Jiangsu FC hat bereits mangels Kasse den Betrieb eingestellt, auch Rekordmeister Guangzhou Evergrande kämpft mit der Pleite, der finanzielle Niedergang der Chinese Super League trägt epidemische Züge. Namhafte Trainer wie Fabio Cannavaro und Rafa Benitez und Spieler wie der Brasilianer Hulk haben längst den Dienst quittiert.

Von all den gefeierten Kooperationen chinesischer und deutscher Profi-Klubs hört man zurzeit: nichts. Dabei stand 2017 die deutsch-chinesische Fußball-Allianz beim Besuch von Staatspräsident Xi Jinping auf der Tagesordnung, selbst der Bundestrainer Jogi Löw schmückte das Empfangskomitee. Mit dem nun im Dunkeln sitzenden Hebei FC ging 2018 Schalke 04 ein Bündnis ein, das Offizielle als "extrem lukrativ" einordneten, wenigstens 25 Millionen Euro Gewinn sollte die Schulung des chinesischen Nachwuchses einbringen. Der letzte Zugewinn, den die Schalker bekanntmachten, bestand aus Plastikhandschuhen und Masken als Corona-Spende für die königsblaue Dependance in Shanghai.

Selbstredend hat die Seuche ihren Teil beigetragen, aber in erster Linie handelt es sich um die Bereinigung eines Marktplatzes, der inflationäre Zustände erzeugte. Die Regierung in Peking sah sich zum Bremsen genötigt: Chinas Fußball soll Luft holen. Auch die deutschen Profiklubs und die Sponsoren aus der Industrie im Gefolge haben somit Gelegenheit innezuhalten und über den Sinn ihres Engagements nachzudenken. China ist nicht nur ein großer und schwieriger, sondern aus Gründen auch ein umstrittener Markt.

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