Chiles Stürmer Alexis Sánchez:In Badelatschen voran

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Er kenn sich sogar mit Kamelle aus: Chiles Stürmer Alexis Sánchez. (Foto: AFP)

Angreifer Alexis Sánchez ist der Anführer von Chiles Überraschungsmannschaft. Die Siegermentalität hat er sich beim FC Barcelona abgeschaut - von seinem argentinischen Klubkollegen Lionel Messi. Im WM-Achtelfinale soll er mit seinen Tricks die Brasilianer ärgern.

Von Javier Cáceres , Belo Horizonte

Jedes Jahr zu Weihnachten besteigt Alexis Sánchez, Stürmer beim FC Barcelona, in seiner Geburtsstadt Tocopilla, im Norden Chiles, eine Karosse und wirft Kamelle. Tocopilla, muss man dazu wissen, ist ein 25 000-Einwohner-Städtchen, das am Pazifik in permanenter Angst vor dem nächsten Tsunami lebt, denn es gibt dort immer einen nächsten Tsunami, oder ein sonstwie geartetes Desaster, denn auch das kommt unweigerlich.

Es soll mal gute Tage gegeben haben in Tocopilla, ehe die deutsche Wissenschaft den ertragreichen Salpeter durch synthetischen ersetzte, 100 Jahre ist das her. Seitdem ist nicht viel passiert. Als neulich über den surrealen Filmemacher Alejandro Jodorwosky, den anderen berühmten Sohn Tocopillas, ein in den dreißiger Jahren angesiedeltes Bio-Pic gedreht wurde, "mussten nur die Häuser neu gestrichen und die Schilder ausgetauscht werden", schrieb eine Zeitung, schon war die Kulisse perfekt.

Drei- bis viertausend Bälle, Trikots und Hosen wirft Sánchez also dort von einem Laster, zudem finanziert er die Renovierung jener Sportplätze, die er oft, und der Schulen, die er nur selten besucht hat. Sánchez wird dafür bewundert, wie sollte es auch anders sein? Er genießt das. Doch er träumt von mehr. Nicht insgeheim. Sondern öffentlich: "Ich will Geschichte schreiben", sagt er, als er am Vorabend des Achtelfinales gegen Brasilien in Belo Horizonte der Presse in weißen Badelatschen namens havaianas gegenübertritt. In Badelatschen.

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Es ist mehr als ein Auftritt voller Selbstvertrauen. Es ist ein Auftritt, der in etwa inszeniert, wie Sánchez nach innen wirkt. Indem er die Geschichte, wie sie bisher war, zertrümmert: "Der Chilene hat nie Zutrauen zu sich selbst gehabt, wenn er Großmächten gegenüber gestanden hat." Indem er, sodann, Beispiele der Gegenwart sucht: "Wir müssen alle die Siegermentalität von Arturo Vidal und Gary Medel haben. Nach vorn gehen."

Und indem er, zumindest im übertragenen Sinne, seine Mitspielern am Revers packt, sie an sich heranzieht und Motivationsreden hält: "Mauricio Isla zum Beispiel", hebt Sánchez an, "ist für mich einer der besten Außenverteidiger der Welt. Aber er glaubt's nicht!! Ich sag' immer: 'Glaub's endlich, huevón' (Eierschädel/d. Red.), Du bist einer der besten der Welt!! Und er sagt dann: Jaja. Doch er glaubt's nicht. Aber wenn er's nicht glaubt - wer dann?", sagt Sánchez. Dann lässt er sich in die Lehen des roten Plastikstuhls fallen, und beobachtet, wie neben ihm ein Mann errötet und sich für das Lob leise und beschämt bedankt. Mauricio Isla.

Der Sánchez, der sich in Brasilien in 270 WM-Minuten (1 Tor) zum Anführer einer Überraschungsmannschaft aufschwingt, gemahnt einerseits an den Alexis, der als Bub davon träumte, groß zu werden und berühmt. In der Schule, erinnert sich seine Lehrerin Juanita Alvarado, sollten sie mal Fotorahmen basteln, und "während alle Kinder Bilder von Donald Duck und Winnie the Pooh mitbrachten, schenkte er mir ein Foto von sich selbst."

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Andererseits ist der Sánchez von heute dem Alexis diametral entgegengesetzt, der 2011 beim FC Barcelona anheuerte, vor Schüchternheit kein Wort herausbekam, von den Medien veralbert wurde, weil er schneller redete als er dachte, chilenische Wendungen einstreute, die kein Katalane verstand und seinem Spitznamen niño maravilla, Wunderkind, vor dem Tor keine Ehre machte.

Doch er wuchs an der Seite von Barcelonas argentinischem Superstar Lionel Messi, der Alexis für die gleichen Scherze schätzt, die dieser nun auch im chilenischen Teamquartier reißt. Von diesem schaute er sich die definitive Siegermentalität ab, die er selbst den Argentiniern zuschreibt. "Die haben schon gewonnen, ehe sie auf den Platz gehen", meint Sánchez, der vor seinem Engagement bei Barça beim FC Udinese in der Serie A und auch beim argentinischen Kultklub River Plate in Buenos Aires gespielt hat.

Eben diesen Siegerspirit versprühe auch Chiles argentinischer Trainer Jorge Sampaoli, der am Vorabend der Partie in heller Aufregung war. Einerseits, weil der fundamental wichtige Verteidiger Gery Medel an einer Muskelverletzung laborierte; ob er spielen kann, war am Freitag unklar. Andererseits, weil der brasilianische TV-Sender O Globo das chilenische Teamquartier mit einem Hubschrauber überflogen hatte, um das Geheimtraining zu filmen.

Eine Spionageattacke im Auftrag des brasilianischen Verbandes? Verteidiger Mauricio Isla verriet, dass man Flugabwehrgeschütze aufgefahren hatte: "Wir haben noch versucht, den Helikopter mit Bällen runterzuholen, erfolglos." Nun soll etwas anderes vom Himmel geholt werden: die Träume der Brasilianer.

© SZ vom 28.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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