Chile bei der Copa América:4329 Kilometer Angst

Chile bei der Copa América: Einfach herrlich: Sergio Agüero feiert seinen Beitrag zu Argentiniens Finaleinzug.

Einfach herrlich: Sergio Agüero feiert seinen Beitrag zu Argentiniens Finaleinzug.

(Foto: Silvia Izquierdo/AP)

Chile fehlt nur noch ein Sieg zum ersehnten Copa-Triumph im eigenen Land. Doch Finalgegner Argentinien beeindruckt mit Wucht, Phantasie - und einem titelhungrigen Lionel Messi.

Von Javier Cáceres, Santiago de Chile

In der Nacht zum Mittwoch wurde es still in Chile. Seit Wochen schon lebt das Land in der vermeintlichen Gewissheit, dass es diesmal endlich klappen wird mit dem ersten Titel bei der Copa América; der 44. Anlauf soll den ersehnten Triumph bringen - zumal das Turnier im eigenen Land stattfindet. Im Finale sind die Chilenen bereits seit Montag, sie siegten im Nationalstadion von Santiago 2:1 gegen Peru. Doch dann wurde der Gegner ermittelt, Argentinien und Paraguay trafen sich in der südchilenischen Stadt Concepción, und am Ende hatten die Argentinier im Estadio Municipal nicht nur gesiegt.

Sie hatten Paraguay 6:1 (2:1) deklassiert. Und als wäre es nicht genug, dass die Argentinier ihre beste und effektivste Turnierleistung boten, so spricht auch noch die Geschichte für sie. Denn jene vier Südamerika-Meisterschaften, die zuletzt in Chile ausgetragen wurden, gewann alle Argentinien, zuletzt 1991. "Y tiene miedo, Chile tiene mieeeedo!", sangen die argentinischen Fans aus voller Brust in Concepción. Zu Deutsch: Chile hat Angst.

Lionel Messi bestreitet am Samstag schon sein drittes Finale innerhalb von einem Monat

Begründet wäre das durchaus: Chile hat bei der Copa América in 24 Spielen nie und in 14 weiteren Pflichtspielen nur ein Mal gegen Argentinien gewinnen können - in der WM-Qualifikation 2008 erzielte Fabián Orellana einen grandios herausgespielten Treffer zum 1:0. Damals war noch Marcelo Bielsa Trainer der Chilenen, und wenn Argentiniens Nationalcoach Gerardo "Tata" Martino seine Landsleute jetzt vor Überheblichkeit warnt, dann auch deshalb, weil er die Saat Bielsas auch jetzt noch sprießen sieht: "Wir bestreiten das Finale gegen eine großartige Mannschaft, die Gastgeber ist und seit Jahren einen Stil verinnerlicht hat, den sie nicht ändern wird, egal, wer der Gegner ist. Chile hat eine gefestigte fußballerische Idee."

Die Frage bleibt freilich, was das gegen eine argentinische Mannschaft bedeutet, die ihre Reiseflughöhe erreicht hat. Egal, ob Ángel Di María (Manchester United), Javier Pastore (Paris Saint-Germain) oder Lionel Messi (FC Barcelona) - sie erfüllten den 4329 Kilometer langen Streifen zwischen Anden und Pazifik mit Schrecken, weil sie in Concepción beim 6:1 ihre überbordende Phantasie auf den Rasen zauberten.

Gewiss, ihnen kam zugute, dass Paraguay von vorneherein auf Spielmacher Néstor Ortigoza verzichten musste und auch noch seine besten Offensivkräfte - Derlis González vom FC Basel (20. Minute) und den ehemaligen FC-Bayern-Stürmer Roque Santa Cruz (25.) - durch Verletzungen früh verlor. Aber Argentinien leistete sich nur einen kleinen Wackler, als der frühere Dortmunder Lucas Barrios kurz vor dem Halbzeitpfiff zum zwischenzeitlichen 1:2 verkürzte und Erinnerungen an die Vorrunde wach werden ließ. Damals holte Paraguay nach einem 0:2-Rückstand noch ein 2:2. Diesmal aber schlug Argentinien mit seiner ganzen Macht zu. Sie manifestierte sich in den Toren von Marcos Rojo (15.), Javier Pastore (27.), Sergio Agüero (80.), Gonzalo Higuaín (83.) und zwei Mal Ángel Di María (47./53.).

Das lag auch an Lionel Messi, der an allen sechs Treffern beteiligt war und am Samstag nach dem Champions-League- und dem spanischen Pokal-Finale sein drittes Endspiel innerhalb eines Monats bestreiten wird: "Jetzt wollen wir die Copa América gewinnen", sagte Messi lächelnd, er wirkt insgesamt gelassener und reifer. Es war ihm sogar egal, dass er selbst kein Tor erzielt hatte: "Ob ich oder andere treffen, ist doch gleich." - "Ich hoffe, er hat sie sich fürs Finale aufgehoben", sagte der Kollege und ehemalige FC-Bayern-Verteidiger Martín Demichelis, der kurzfristig für den erkrankten Ezequiel Garay ins Team gerückt war und ordentlich mitspielte.

Sollte Messi tatsächlich seine Tore aufgespart haben, würde Chile Hilfe gut brauchen können, etwa durch einen zwölften Mann. Die Uruguayer sehen es als erwiesen an, dass diese Hilfe existiert: "Diese Copa steht unter Verdacht", sagte der Vize des uruguayischen Verbandes, Rafael Fernández.

Er wunderte sich, dass die Partie Paraguay gegen Argentinien dem Brasilianer Sandro Ricci anvertraut wurde - nachdem ein anderer Referee bereits benannt worden war. Ricci hatte Chile beim Spiel gegen Uruguay begünstigt, indem er Uruguays Stürmer Edinson Cavani fälschlicherweise vom Platz stellte. "Sie holten den Mörder, um Totenwache zu halten", sagte Fernández; argentinische Medien fürchteten ebenfalls eine Verschwörung, weil unter anderen Messi vor dem Halbfinale von einer Gelbsperre bedroht war. Ricci hatte mit der Spielleitung dann keine Probleme und zeigte auch keine mysteriösen Karten. Spannend wird dennoch, wer am Samstag das Finale pfeift, und vor allem: wie.

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