Süddeutsche Zeitung

Neonazi-Skandal:Chemnitzer FC - der zerrissene Verein

  • Im ersten Heimspiel nach dem Neonazi-Skandal wirbt der Chemnitzer FC auf Plakaten und T-Shirts für Toleranz.
  • Er sieht sich zahlreichen radikalen Anhängern gegenüber, die genau dagegen protestieren.
  • "Dass der Verein ein bisschen zerrissen ist, begleitet uns eine ganze Weile", sagt Trainer Daniel Bergner, er sei froh, dass "die Sache" nun vorbei sei.

Von Javier Cáceres, Chemnitz

Um genau zwölf Minuten nach halb zwei waren sie wieder da. Jene, die sich für die einzigen legitimen Besitzer des "Himmelblaus" halten, der dominanten Klubfarbe beim Chemnitzer FC, und die sich so lange, viel zu lange, fühlen durften wie Fische im Wasser.

Das Heimspiel des CFC gegen Budissa Bautzen hatte am Samstag schon um 13.30 Uhr begonnen. Doch sie hatten bloß ein Banner aufgehängt, auf dem "12 Minuten für den 12. Mann" zu lesen war und hatten sich zunächst, wie auf einem Flugblatt angekündigt, statt auf der Tribüne "an den Cateringständen" aufgehalten, um gegen die Vereinspolitik zu protestieren. Die Hoheit über die Südkurve des Stadions an der Gellertstraße lärmend zurückzuerobern, wenn das Spiel schon läuft, zurückzukehren, sich selbst zum Souverän aufzuschwingen - das war der Plan. Doch siehe da: So triumphal war das gar nicht.

Nicht, dass sich das ganze Stadion gegen sie erhoben hätte. Aber es gab Pfiffe. Und diese Pfiffe waren nicht nur unüberhörbar, sie waren auch Ausdruck der Missbilligung all dessen, was seit zwei Wochen über dem Klub schwebt wie eine düstere Wolke. Sie waren das sonore Symptom der Zerrissenheit eines Klubs und einer Stadt, die sich hier, im Stadion, in dieser Deutlichkeit wohl noch nie manifestiert hatte.

Was zwei Wochen zuvor beim Regionalligaspiel gegen Altglienicke geschehen war, machte nicht nur landesweit Schlagzeilen. Es katapultierte einen Klub, einen Viertligisten, der sich im Insolvenzverfahren befindet, in eine noch schiefere Lage. Damals war dem kurz zuvor verstorbenen Thomas Haller im Stadion eine Huldigung zuteil geworden, die verstörte und doch lehrreich war. In warmen Worten wurde ein Mann zum Vorzeige-Fan stilisiert, der lange der Chef einer örtlichen Sicherheitsfirma war, die nicht nur im Stadion für Ordnung gesorgt hatte. Nur: Er war eben auch Gründer einer 2007 aufgelösten, aber nie ganz verschwundenen Organisation, die sich "HooNaRa" nannte: "Hooligans, Nazis, Rassisten".

Der Verband hatte Frahn gesperrt, hier rufen sie ihn "Fußballgott"

Das Gedenken an Haller fand mit Billigung maßgeblicher Personen aus der Vereinsführung statt, die später behaupten sollten, sie seien von radikalen Fans bedroht worden. Also von jenen, die nun wieder da waren - und streikten. Es gab eine Strafanzeige gegen Unbekannt, stichhaltige Belege für die konkrete Bedrohung fehlen bis heute. Was es stattdessen gab: Rechtfertigungsversuche, die so indiskutabel waren, dass sich lokale Sponsoren absetzten, und die Reaktion von Sportvorstand Thomas Sobotzik, die - unfreiwillig - ein Bild der Stadt zeichnete, das von Nicht-Chemnitzern kaum so brutal formuliert worden wäre: "Von was distanziert sich eine Sparkasse?", fragte er mit Blick auf den Trikotsponsor des CFC. "Sie distanziert sich von sich selbst, von Chemnitz, von seinen Bürgern. Das macht mich verrückt." Es klang, als setze er ganz Chemnitz mit der CFC-Kurve gleich.

Es folgten Rücktritte und Rauswürfe, unter anderem des Stadionsprechers, der später sagen sollte, er habe nur den Text vorgelesen, den ihm der Verein in die Hand gedrückt hatte, und dessen Nachfolgerin am Samstag von den Südkurven-Fans bei jeder Wortmeldung in Grund und Boden gepfiffen wurde - ganz gleich, ob sie über Aus- und Einwechslungen oder darüber informierte, dass sich 4333 Zuschauer zusammengefunden hatten.

Vor allem aber folgten am Samstag plakative Versuche, politische Korrektheit zu beschwören. Schon nach den rassistischen Ausschreitungen vom vergangenen Sommer, als Chemnitz schon einmal, nicht zuletzt wegen der Hooligans des CFC, weltberühmt geworden war, waren im Stadion Sprüche aufgehängt worden, auf denen die Treue zum Grundgesetz betont wurde, im gleichen Duktus betont wie einst jene zu den Prinzipien des real existierenden, längst verblichenen Sozialismus. "Wir stehen für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit", "Gewalt gegen demokratisch gewählte Politiker ist Gewalt gegen uns alle!", ist dort zu lesen. Doch wofür steht das, wenn Geschäftsführer Sobotzik im Stadionheft doch wieder nur sehr allgemein erklärt, dass man "jede" Meinung und deren freie Äußerung akzeptiere? Und dass man sich "von jedem extremistischen Gedankengut" distanziere, was eine Äquidistanz suggeriert, die schon wieder schief klingt: als ob vor zwei Wochen nicht nur ein Nazi-Problem, sondern auch ein Problem mit Linksextremisten zutage getreten wäre.

Und selbst das ist eingebettet in die spürbare Skepsis und Melancholie der Masse. "Das Image, das wir jetzt haben, werden wir doch sowieso nicht mehr los", lautete der Fetzen eines Gesprächs zwischen zwei etwa 50-Jährigen, das vorm Stadion zu hören war. Zwanzig, vielleicht dreißig Meter von dem Stand entfernt, an dem weiße T-Shirts gratis offeriert wurden. "Toleranz, Weltoffenheit, Fairness", stand auf den Hemden zu lesen, doch im Stadion waren sie kaum zu sehen, die Farbe weiß war alles andere als dominant. Und aus der Kurve flogen die Shirts hinters Tor.

Dass Daniel Frahn das Tor schoss, das dem CFC zum ersten Sieg nach zwei Niederlagen verhalf und die Tabellenführung festigte, rundete alles fast schon diabolisch ab. Es gemahnte daran, dass Frahn sich nach seinem Tor beim Spiel gegen Altglienicke nicht ein weißes, sondern ein schwarzes T-Shirt hatte reichen lassen. Ein T-Shirt, auf dem "Support your local hools" zu lesen war, unterstütze deine lokalen Hooligans. Gewidmet der Solidarität mit dem HooNaRa-Gründer Haller. Noch ehe Frahn vom Verband für zwei Spiele sowie für zwei weitere auf Bewährung gesperrt und mit 3000 Euro Geldstrafe belegt worden war, versicherte er, nicht gewusst zu haben, dass das Shirt in der Neonazi-Szene verankert ist. Den Fans der Südkurve gereicht er dennoch zum Helden. Immer noch, oder wieder, nach seinem 19. Saisontor, das die Tür zur dritten Liga weit aufstößt. "Daniel Frahn, Fußballgott", skandierten sie, als das Stadion sich geleert hatte, nur noch sie im Stadion übrig waren. Sie, die sich für die ersten 12 Minuten absentiert hatten, um wiederzukommen.

"Dass der Verein ein bisschen zerrissen ist, begleitet uns eine ganze Weile", stöhnte Trainer Daniel Bergner später im Pressesaal, er sei froh, dass "die Sache" nun vorbei sei. CFC-Insolvenzverwalter Klaus Siemon hatte sich ähnlich ausgedrückt, als er auf die Schmähungen angesprochen wurde, die ihm zuteil geworden waren. "Siemon raus!", war der harmloseste Ruf, den er hören musste. Ermattung klang aus diesen Worten, und diese Ermattung klang bedrückend. Denn die Frage, wem das Himmelblau gehört, stellt sich in Chemnitz jede Woche neu.

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Quelle:
SZ vom 25.03.2019
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