Gedenken an Rechtsextremen:Das Desaster von Chemnitz

Chemnitz vs VSG Altglienicke 09 03 2019 Chemnitz Stadion an der Gellertstrasse Fussball Regional; Chemnitzer FC Fans

Fans des Chemnitzer FC entrollen ein weißes Kreuz auf schwarzem Grund in Gedenken an den verstorbenen Neonazi Thomas Haller.

(Foto: www.imago-images.de)
  • Der Chemnitzer FC reagiert auf die Trauerfeier für den verstorbenen Neonazi Thomas Haller.
  • Der Klub stellt Strafanzeige gegen unbekannt und entlässt die Fanbeauftragte, den Stadionsprecher und einen Mitarbeiter der Kommunikationsabteilung.
  • Die Polizei widerspricht der Darstellung, die Trauerfeier sei in Abstimmung mit den Behörden abgehalten worden. Drohungen seien vor dem Spiel nicht thematisiert worden.

Von Javier Cáceres und Antonie Rietzschel, Berlin

Nach dem Trauerspiel um den toten Neonazi Thomas Haller vom Samstag steht der Fußball-Regionalligist Chemnitzer FC weiter massiv in der Kritik. Nachdem der CFC am Sonntag die Hommage für den stadtbekannten Rechtsextremisten verteidigt hatte, erklärte der Verein am Montag, sich "gegen jede Form von Rechtsradikalismus zu wenden". Man sei auch "nicht bereit, vor diesen Ideologien zurückzuweichen". Doch es blieben auch am Montag viele Fragen offen - trotz diverser personeller Konsequenzen.

So wurde unter anderem die Fanbeauftragte Peggy Schellenberg von ihren Aufgaben entbunden. Die SPD-Stadträtin hatte in einem später gelöschten Internetbeitrag von ideologischen Grenzen zu Haller gesprochen, ihm aber gleichzeitig nachgerufen, "immer fair, straight, unpolitisch und herzlich zueinander" gewesen zu sein. Der Klub erstattete überdies Strafanzeige "gegen Unbekannt". Dem Klub sei - dem Vernehmen nach durch rechte Hooligans - mit "massiven Ausschreitungen" gedroht worden, falls am Rande der Partie gegen die VSG Altglienicke (4:4) keine Trauerbekundungen für Haller im Stadion ermöglicht würden. Der Insolvenzverwalter des finanziell labilen CFC, Klaus Siemon, erklärte in einem Kommuniqué, dies begründe unter anderem "den Anfangsverdacht für eine schwerwiegende Nötigung". Am Sonntag hatte der CFC erklärt, dass die Trauerbekundung "in Abstimmung mit Abwägungen, die von den Sicherheitsbehörden getroffen worden waren", ermöglicht worden war. Dem widersprach die lokale Polizei jedoch vehement.

Pressesprecherin Jana Ulbricht erklärte, "Drohungen" seien vor der Partie am Samstag "nicht thematisiert" worden. Auch der Nordostdeutsche Fußballverband hatte laut Geschäftsführer Holger Fuchs keine Informationen über Drohungen. Da das Spiel nicht als Risikospiel galt, habe man nicht an der routinemäßigen Sicherheitsbesprechung teilgenommen. Dort wiederum will die Polizei am Samstagvormittag durch CFC-Verantwortliche "informatorisch" auf die Trauerbekundung hingewiesen worden sein. Die Polizei habe "gerade im Wissen um die Person Haller (...) Bedenken geäußert und auf strafrechtliche Grenzen dieser Trauerbekundung hingewiesen", erklärte Ulbricht.

Haller galt als einer der führenden Köpfe der örtlichen Neonazi- und Hooligan-Szene. Er war unter anderem Gründer einer Gruppierung namens "HooNaRa"; die Abkürzung steht für "Hooligans-Nazis-Rassisten". Die Gruppe soll sich 2007 aufgelöst haben, lebte aber in Verbünden fort, die sich "NS-Boys" oder "Kaotic Chemnitz" nannten. Haller unterhielt auch eine Security-Firma, die in den Jahren vor 2007 unter anderem als Sicherheitsdienst im CFC-Stadion eingesetzt wurde. Fan-Forscher Robert Claus sagte der SZ, diese Firma habe seinerzeit "ein wirtschaftliches Rückgrat der (rechtsradikalen) Szene" gebildet.

Im Stadion wurde Haller zu Ehren am Samstag eine Trauerminute abgehalten, dazu wurde Pyrotechnik abgebrannt, was nun zu einem Ermittlungsverfahren durch die Polizei geführt hat. Hallers Foto wurde auf der Videoleinwand eingeblendet, der Stadionsprecher bezeugte Haller Respekt. Der Sprecher soll nicht mehr als Animateur eingesetzt werden. Ein Mitarbeiter der Pressestelle musste ebenfalls gehen. Am Sonntag hatte bereits der kaufmännische Geschäftsführer als Veranstaltungsleiter seinen Rücktritt erklärt.

Der Chemnitzer Stadtrat Lars Fassmann (Vosi/Piraten) hält derartige Konsequenzen für Kosmetik. "Ein paar Kleine werden gehängt. Die Leute, die es wirklich verbockt haben, die was ändern könnten, die werden nicht zur Rechenschaft gezogen", sagte Fassmann dem MDR. Er erinnerte daran, dass der Stadtrat in der vergangenen Woche entschieden hatte, die Stadionmiete im wahrscheinlichen Fall eines Aufstiegs in die dritte Liga nicht zu erhöhen. "Mein Ansinnen war, es dann zu koppeln. Dass man sagt: Ihr müsst gegen diese extremistischen, rassistischen, sexistischen Dinge, die da im Hintergrund passieren, vorgehen. Doch es ist keine Bereitschaft in der Politik da, das Thema in die Hand zu nehmen, weil man Angst hat, schlecht dazustehen", sagte Fassmann. Seine Partei forderte bereits, die Vertragsbedingungen für die Stadionpacht neu auszuhandeln; nun drohen dem CFC auch akute finanzielle Probleme. Nachdem die örtliche Sparkasse am Sonntag erklärte, sich darin bestärkt zu sehen, im Sommer als Sponsor auszusteigen, prüft ein weiterer Gönner, die Chemieanlagenbau Chemnitz (CAC), die Leistungen "mit sofortiger Wirkung einzustellen".

Ein Desaster ist die Affäre auch für die Stadt Chemnitz. Sie stand schon nach den rassistisch motivierten Ausschreitungen vom vergangenen Sommer, die auf den gewaltsamen Tod eines Deutsch-Kubaners beim Chemnitzer Stadtfest gefolgt waren, international im Fokus. Damals spielten die CFC-Hooligans eine fundamentale Rolle - auch durch ihre Fähigkeit, ortsfremde Sympathisanten nach Chemnitz zu lotsen. Dem CFC zufolge funktionierte das offenbar auch am Wochenende. Es seien "einschlägig bekannte Personen aus der rechtsextremen Szene für diesen Tag aus anderen Städten nach Chemnitz gereist". Die einschlägig bekannten Fans des Drittligisten FC Energie Cottbus zeigten sich nicht besonders reiselustig. Der Grund: Beim Drittliga-Spiel gegen Preußen Münster durften sie im Innenraum ein Banner mit der Aufschrift "Ruhe in Frieden Thommy" aufhängen - wobei das "h" in altdeutscher Schrift gehalten war.

Energie-Pressesprecher Stefan Scharfenberg-Hecht sagte der dpa, den Verantwortlichen sei bei der Genehmigung "nicht bekannt gewesen, um welche Person es sich handelte". Man wolle den Vorgang "auswerten und daraus Lehren ziehen".

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