Deutsche Fußballer beim FC Chelsea:Zu viele Teile fürs Puzzle

Brighton and Hove Albion v Chelsea - Premier League - AMEX Stadium Chelsea s Kai Havertz (left) and Timo Werner warming

Wer viel zahlt, der will auch etwas geboten bekommen: Die Fans des FC Chelsea warten noch auf die Leistungsexplosionen bei den beiden ehemaligen Bundesliga-Profis Kai Havertz (links) und Timo Werner.

(Foto: Richard Heathcote/PA/imago)

Die Integration des Nationalspieler-Trios Werner, Havertz und Rüdiger bei Chelsea ist ins Stocken geraten. Das Derby gegen Arsenal verspricht trotzdem weitreichende Erkenntnisse.

Von Sven Haist, London

Die alljährlich wiederkehrende Diskussion besteht für die Vereine in der Premier League nicht in der Frage: Fisch oder Fleisch fürs Festmenü? Sondern darin, ob ein Fußballtraining abgehalten werden soll am 25. Dezember, dem Weihnachtstag in Großbritannien. Wie es die Tradition verlangt, ist für den Tag nach dem Christmas Day ein Spieltag angesetzt, der die Klubs zwingt, die Spielvorbereitung mit Familienritualen in Einklang zu bringen.

Frühzeitig hat Frank Lampard, der Trainer des FC Chelsea, signalisiert, dass Weihnachten für seine Spieler nachrangig ist. Priorität besitzt das prestigeträchtige London-Derby beim FC Arsenal am Samstag, dem Boxing Day. Drei Partien sind dann binnen neun Tagen zu absolvieren, eine Taktung, an die sich Timo Werner, 25, und Kai Havertz, 21, erst gewöhnen müssen - wie an so viele andere Eigenheiten auf der Insel.

Um den Kader nach einjähriger Transfersperre wieder auf Vordermann zu bringen, hatte der Chelsea Football Club auf Weisung von Roman Abramowitsch, seit 2003 Hausherr an der Stamford Bridge, im Sommer das kostspieligste Investitionsprogramm der Liga gestartet. Für circa eine Viertelmilliarde Euro wurden sechs namhafte Profis engagiert, darunter Werner (53 Millionen; RB Leipzig) und Havertz (80 Millionen plus Boni; Bayer Leverkusen), die mit Antonio Rüdiger jetzt ein deutsches Nationalspielertrio bilden.

Chelseas Transferoffensive erinnerte an die Anfänge des russischen Eigners in London, als er sich dort ein Team zusammenkaufte, das der Portugiese José Mourinho damals direkt zu zwei Meisterschaften coachte. Die Rückkehr an die Tabellenspitze ist jetzt das Ziel, ein Startplatz in der Champions League soll aber schon die horrenden Ausgaben rechtfertigen. Hinter Tabellenführer FC Liverpool reist Chelsea als Fünfter auf Sicht, während Arsenal auf Platz 15 durchgereicht wurde.

Trainer Lampard, 42, seit Spielerzeiten eine Ikone des Vereins, kommt die Aufgabe zu, Chelseas neue Beine in Rhythmus zu bringen. Dabei wird er kritisch beäugt, in seiner Kolumne fürs Massenblatt Sun schrieb beispielsweise Harry Redknapp, 73, lange Trainer bei Tottenham, dass Lampard "zu viele Teile für sein Puzzle" habe. Er frage sich, ob er "seine beste Elf" überhaupt schon kenne. In 22 Pflichtspielen hat Lampard mit Namen und Systemen jongliert. In England kursiert deshalb nun der Vorwurf, der Trainer bevorzuge in seinen Aufstellungen den Weg des geringsten Widerstands, um sich für Angriffe bei Misserfolg zu wappnen.

Die Rochaden machen die Akklimatisation der Deutschen nicht leichter. Die Medien rechnen bereits vor, dass Stürmer Werner seit sechs Ligaspielen nicht traf, und Offensivkraft Havertz kaum in Erscheinung trete. Kürzlich krittelte der einstige Chelsea-Profi Tony Cascarino, das Team sei nur zu neunt auf dem Rasen gewesen, weil beide nichts bewirkt hätten.

Eine fundiertere Analyse liefert Michael Reschke, langjähriger Kaderstratege in der Bundesliga, der die Karrierewege beider aus der Nähe verfolgte: "Ich höre die Rumours, die Gerüchte, dass beide bisher nicht so eingeschlagen haben", so Reschke am Telefon, "aber das wird nur eine Frage der Zeit sein. Sie werden ihren Weg gehen - ohne jeden Zweifel. Chelsea ist zu diesen Ausnahmespielern nur zu beglückwünschen."

Werner kommt meistens über links

Nach seinem Wechsel im Juli hatte Timo Werner, 24, sieben Wochen zur Vorbereitung auf die neue Saison. Anfangs waren ihm solider Formaufbau und Tatendrang anzumerken. Die beiden Tore im Oktober gegen seinen früheren Leipzig-Trainer Ralph Hasenhüttl, heute FC Southampton, waren seine Premierentreffer - als Mittelstürmer.

Aufgrund der Konkurrenzsituation lässt ihn Lampard jedoch meist über die linke Außenbahn agieren, die Werner seiner Torgefahr beraubt und in Dribblings zwingt, in denen er sich nicht immer behauptet. In Leipzig brachte Werner seine Explosivität und Abschlussstärke besser zur Geltung. "Timo muss in die Tiefe geschickt werden", findet Reschke. Auf der Seite könne Werner zwar auch spielen, aber dann müsse die Strategie auf Konter ausgerichtet sein, damit er im freien Raum auf Tempo kommen kann.

Gänzlich ohne Vorbereitung musste Kai Havertz nach seinem späten Wechsel die Saison aufnehmen. Obwohl es ihm augenscheinlich an der nötigen Frische fehlte, reichte Lampard ihn in seiner Aufstellung einmal ringsherum (rechte Seite, einziger Angreifer, hängende Spitze, offensives Mittelfeld), wohl in der Hoffnung, die richtige Position würde sich durch Tore und Vorlagen schon finden. Doch Havertz erkrankte im November an Corona und fiel wochenlang aus.

Reschke, der ihn bereits als Jugendspieler aus der gemeinsamen Zeit bei Bayer Leverkusen kennt, gibt zur Moderation der Personalie Empfehlungen ab: "Nach vier Jahren in der Bundesliga hat Kai mit den Hufen gescharrt und eine Herausforderung gesucht, um sich zu beweisen. Neben seinem fußballerischen Rüstzeug besitzt er eine ausgeprägte Willensstärke und Druckresistenz. Ich sehe ihn am liebsten dort, wo er das Spiel vor sich hat und in den Strafraum nachrücken kann."

Erst in einem Premier-League-Spiel kam Verteidiger Antonio Rüdiger, 27, zum Einsatz. Zu Saisonbeginn entzog Lampard ihm überraschend das Vertrauen. Nachdem ein Last-Minute-Wechsel scheiterte, kehrte Rüdiger als Ersatzmann zurück in den Kader.

Sofern Rüdiger auch im anspruchsvollen Weihnachtsprogramm keine Spielpraxis findet, dürfte er im Januar Abschied nehmen wollen; Rüdiger will im Sommer zur EM, bliebe er auf der Chelsea-Bank sitzen, würde dies seine Nominierung gefährden. Bundestrainer Löw hat also am zweiten Weihnachtstag fast schon einen Pflichttermin: Er kann Werner, Havertz und Rüdiger gegen den FC Arsenal zuschauen.

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