Chelsea vor dem Spiel gegen Barcelona:Spanischer Esprit für englische Arbeiter

Der FC Chelsea vertraute einst auf Masse, Kraft und Härte und konnte damit in der Vergangenheit gelegentlich Barcelonas Kunst unterbinden. Doch falls die Londoner auch im Champions-League-Halbfinale gegen die weltbeste Equipe eine Chance haben wollen, wird es Mut zur Veränderung brauchen - den verkörpert bei den Engländern ausgerechnet ein Iberer.

Raphael Honigstein, London

Unmittelbar nach dem Einzug ins Champions-League-Halbfinale erschien die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Barcelona so wenig verlockend, dass Chelseas Spieler den Blick lieber zurück in die düsterste Vergangenheit warfen. "Wir haben noch eine Rechnung mit ihnen offen", sagte Frank Lampard in Erinnerung an das traumatische Last-Minute-Aus gegen Barça vor drei Jahren, als die Blauen nach eigenem Empfinden nur an der Inkompetenz von Schiedsrichter Tom Henning Övrebo gescheitert waren.

Tottenham Hotspur v Chelsea - FA Cup Semi Final

Halb Flügelstürmer, halb Spielmacher: Chelseas Juan Mata (hier gegen Tottenhams Torwart Carlo Cudicini).

(Foto: Getty Images)

Der glatzköpfige Norweger bekommt, wie er dem Guardian erzählte, noch immer "zwei, drei Todesdrohungen im Jahr" von aufgebrachten Chelsea-Anhängern, die ihm mehrere verweigerte Elfmeterpfiffe vorwerfen. Doch in den vergangen Tagen war in West-London von Revanchegelüsten und verschwörerischer Ungerechtigkeit erfrischend wenig zu hören.

Die Blauen müssen spätestens nach dem 5:1-Sieg gegen Tottenham im Pokal-Halbfinale am Sonntag nicht mehr alte Wut aufwärmen, denn es herrscht neue, echte Zuversicht. "Barcelona kann Mannschaften zerstören, aber wir glauben an unsere Chance. Wir glauben an uns", sagte Lampard.

Josep Guardialos Team tat sich an der Stamford Bridge in der Tat oft schwer; das auf Masse, Kraft und Härte in der Zentrale vertrauende Chelsea zählt zu den wenigen Teams, die Barças Kunst unterbinden konnten. Seit dem 7. Mai 2009 sind Messi und Co. allerdings besser geworden, während die damals von Guus Hiddink betreuten Londoner im europäischen Vergleich doch deutlich zurückgefallen sind.

"Wir haben uns verändert", sagte Lampard, 33, gewollt unpräzise, denn Chelseas Saison (Platz sechs in der Liga) erzählt bisher eher von einem Abschwung als von einer Entwicklung. Das "Ab durch die Mitte"-Prinzip funktioniert nicht mehr zuverlässig, weil Lampard und den anderen Routiniers die Wucht glorreicher Tage fehlt.

Beim 4:1 gegen Napoli im Achtelfinale raffte sich der ivorische Rammbock Didier Drogba, 34, zu einer (letzten?) großen Show auf. Gegen Barcelona wird wohl der weiter glücklose Fernando Torres stürmen. Falls Chelsea gegen die weltbeste Equipe eine Chance haben will, wird es den Mut zur Veränderung brauchen. Den Mut, den Ball nicht sofort nach vorne zu dreschen, sondern ihn gepflegt an Juan Mata weiterzuleiten - an den Mann, der langfristig die Statik an der Bridge ändern soll.

"Er hat einen wunderbaren linken Fuß"

Der 23-jährige Spanier, ein 29-Millionen-Euro-Einkauf vom FC Valencia, hätte der Königstransfer von Trainer André Villas-Boas werden sollen. Als kleiner, feinfüßiger Hybride aus Flügelstürmer und Spielmacher ist er geeignet, den Hochfrequenz-Rhythmus der Blues auf ein verträglicheres Tempo zu drosseln und Esprit ins Arbeitermittelfeld zu bringen.

"Ich bin jemand, der zwischen den Linien spielt, ich glaube an den Moment, an den Richtungswechsel und an den gezielten Vorstoß", sagt er. Obwohl die Genialität des U21-Europameisters und WM-Teilnehmers unter dem in der Kabine ungeliebten AVB nur in Episoden zum Tragen kam, war der belesene Kreative aus Asturien (Lieblingsautoren: Jorge Luis Borges, Paul Auster, Haruki Murakami) doch einer der wenigen Spieler, die nicht für ein Problem, sondern für mögliche Lösungen stehen.

"Er kann den Unterschied machen"

Viele blaue Bälle fliegen noch immer über seinen Kopf hinweg, mitunter geht er ganze Viertelstunden verloren umher und muss sich dann in einer Art Pressing gegen das eigene Team das Spielgerät persönlich von der Abwehr abholen.

Die Versorgungswege funktionieren unter dem kommissarisch eingesetzten Italo-Schweizer Roberto Di Matteo zwar auch nicht zuverlässiger als unter Villas-Boas, dafür ist die Stimmung in der Umkleide besser. Und Mata war nach ein paar müden Wochen gegen die Spurs der herausragende Akteur. Ein klassisches "Wembley-Tor" - der Ball überquerte die Linie nicht - erzielte er selbst, zwei Treffer bereitete er mit traumhaften Hebern in den Lauf der Kollegen vor.

Beim Gegner weiß man jedenfalls genau, wer am Mittwochabend für einen aus Chelsea-Sicht guten Spielausgang sorgen könnte. "Mata ist so gefährlich, wenn er vor der Abwehr auftaucht", sagt Iniesta. "Er hat einen wunderbaren linken Fuß. Er kann den Unterschied machen." Wenn man ihn nur lässt - was in diesem Fall nicht nur für die gegnerische, sondern auch für die eigene Mannschaft gilt.

"Vielleicht wird Ballbesitz und Technik nicht so sehr geschätzt", hat Mata neulich über die Premier League erzählt und damit natürlich auch Chelsea gemeint. "Die Kultur, ein Spiel im Mittelfeld zu kontrollieren, existiert nicht." Er könnte dazu beitragen, diese Kultur zu verändern.

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