FC Chelsea:Tuchels scharfe Pädagogik in Amerika

Thomas Tuchel FC Chelsea

Thomas Tuchel verlor mit Chelsea zwei Freundschaftsspiele und stellte fest: So richtig gut zusammen passt bei den Blues bisher nichts.

(Foto: Ethan Miller/AFP)

Pleiten in Testspielen, prominente Weggänge und Ärger wegen Timo Werner: Der Chelsea-Trainer hat kurz vor dem Start der Premier League schlechte Laune - den Blues haben die Blues aber auch wegen ihrer Transferpolitik.

Von Jonas Beckenkamp

Thomas Tuchel ist weit herumgekommen im Fußball, nun hat er auch die Stadt Orlando in Florida und das Camping World Stadium gesehen. Als Chelsea-Trainer kann man sich seine Dienstreisen nicht aussuchen, da geht es zu Werbezwecken auch mal an jene Flecken Erde, die nicht als Traditionsstandort bekannt sind. Aber Tradition hin oder her, gewonnen hätte Tuchel den Testkick gegen Arsenal am vergangenen Sonntag doch gerne - so gab es ein 0:4, nach dem der 48-Jährige feurige Laune versprühte.

"Ich bin weit davon entfernt, entspannt zu sein", polterte der Coach, als er den Medien den Reinfall seiner Blues in Amerika erklären sollte. Seine minutenlange Tirade setzte er mit einem Appell zu Verstärkungen an die Vereinsführung um den neuen Boss Todd Boehly fort: "Wir sind absolut nicht konkurrenzfähig. Wir haben viele Spieler, die darüber nachdenken zu gehen. Wir haben viele, die gegangen sind - und das sieht man."

Tatsächlich wirkte Chelsea bei drei Auftritten in den USA eher wie eine Truppe verkaterter Springbreaker denn ein Team, das englischer Meister werden will. Knapper Sieg gegen Club América aus Mexiko, Niederlage im Elfmeterschießen gegen eine Franchise namens Charlotte FC und dann die Pleite gegen Arsenals aufgemöbelte Elf um Zugänge wie Gabriel Jesus oder Oleksandr Sintschenko (kamen von ManCity). Zwei verlorene Tests hintereinander, so was habe er noch nie erlebt, grantelte Tuchel.

Tuchel grantelt wegen der Test-Pleiten in den USA - und wegen Timo Werner

Hinter seinem Verdruss stecken aber nicht nur unwürdige Ergebnisse, sondern vor allem die aus seiner Sicht allzu zahme Transferpolitik des Klubs. Und das Verhalten eines anderen Deutschen bei Chelsea: Timo Werner. Der hatte während des USA-Trips Skepsis über seine Situation geäußert. Auf die Frage, ob er trotz der Sturmkonkurrenz um Sommer-Zugang Raheem Sterling (für knapp 60 Millionen Euro von City geholt) in London reüssieren könne, erklärte er: "Ich könnte überall glücklich sein."

Das klang nicht nach unbedingtem Drang, es unter Tuchel noch packen zu wollen. Gerade mit Blick auf die WM müsse er "mehr spielen, um gut in Form zu sein und auch eine Chance zu haben", fand Werner, der offenbar mehr ans Nationalteam denkt als an sein täglich Brot auf der Insel. Dass sich sein Wunsch für Katar über Einsätze und vor allem Tore im Klub realisieren ließe, wurde in den Ausführungen des 26-Jährigen nicht deutlich.

Tuchel beantwortete Werners Wechsel-Gegrummel mit scharfer Pädagogik: "Ich bin überrascht. Ich wäre eine der glücklichsten Personen auf der Welt, wenn ich ein junger Kerl mit einem Vertrag bei Chelsea wäre." Den hat der Nationalspieler noch für weitere drei Jahre bei Chelsea, doch 23 Treffer in 89 Pflichtspielen sind eine korrekturbedürftige Bilanz. In der Offensive um Kai Havertz, den zu Inter abgewanderten Romelu Lukaku oder auch Christian Pulisic fand er vergangene Saison nur 15 Mal einen Platz in der Startelf. Nur vier Saisontore untermalen seine ausbleibende Entwicklung.

FC Chelsea: Timo Werner kann bei Chelsea bisher nicht überzeugen - Thomas Tuchel widmete ihm nun deutliche Worte.

Timo Werner kann bei Chelsea bisher nicht überzeugen - Thomas Tuchel widmete ihm nun deutliche Worte.

(Foto: Sam Greenwood/AFP)

Zu wenig für einen, der angeblich fast 320 000 Euro verdient - pro Woche. "Er muss Qualität zeigen, sich seinen Platz erobern und diesen verteidigen", forderte Tuchel. Immerhin war Werner um Diplomatie bemüht. Er erkenne an, dass "der Trainer immer andere Ideen, andere Gedanken" habe. "In vielen Spielen war ich nicht Teil seiner Gedanken, das versuche ich zu ändern", sagte er. Auch Tuchel wirkt nicht bereit, das Projekt mit dem verhinderten Torjäger aufzugeben. "Er ist unser Spieler", insistierte der Trainer, "im Moment denke ich, dass er bleiben wird. Er hat noch etwas zu beweisen."

Das gilt freilich für Chelsea als gesamten Klub. Nach dem Champions-League-Sieg vor einem Jahr hat sich das Team zurückentwickelt, zuletzt landete man mit 19 Punkten Rückstand zur Spitze auf Platz drei in der Liga. Personell fehlt nach den Weggängen der Innenverteidiger Antonio Rüdiger (zu Real) und Andreas Christensen (nach Barcelona) ein ganzer Block in der Defensive, während vorne das Tore schießen schwer fällt.

Tuchels Transfer-Initiative ging zunächst Richtung Defensive: Für knapp 40 Millionen Euro holte man Napolis Kraftbolzen Kalidou Koulibaly, auch Sevillas Abwehrmann Jules Koundé hätte Tuchel gerne, doch der könnte nun wie fast jeder verfügbare große Name nach Barcelona abbiegen. Ähnlich schwierig gestalteten sich die Avancen der Londoner bei Leipzigs Nordi Mukiele: Er unterschrieb am Dienstag bei Paris Saint-Germain einen Vertrag bis 2027.

Wie es aussieht, ist Chelsea auf dem Transfermarkt zu spät dran, um den Kader wie gewünscht aufzupolstern. Vieles hat sich in Europa bereits gefügt, besonders auf der Insel kam der Handel diesen Sommer schneller in Gang als sonst. Auch die Kriegssanktionen gegen den ehemaligen Chelsea-Eigentümer Roman Abramowitsch und der Verkauf des Klubs haben die Planungen gehemmt. Tuchel ertrug die Lage bisher stoisch - jetzt scheint auch seine Geduld vorbei zu sein.

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