Chelsea in der Premier League:Mehr Leitungswasser als Wodka

Chelsea v Tottenham Hotspur - Premier League

Timo Werner traf zwar gegen Tottenham, aber sein Tor zählte nicht.

(Foto: Getty Images)

Auch mit den Millionen-Zukäufen Werner und Havertz gelingt es Chelsea in Englands Spitzenspiel gegen Tottenham nicht, auf Platz eins zu klettern - ganz zur Freude von José Mourinho.

Von Sven Haist, London

Nicht mal zu seinem 1000. Pflichtspiel als Eigentümer des FC Chelsea stattete Roman Abramowitsch der heimischen Stamford Bridge einen Besuch ab. Nur sein Konterfei war zu sehen gewesen auf einem der Fanbanner mit der Aufschrift "The Roman Empire" hinter dem Tor des Matthew Harding Stand. Nach seinem Visumstreit mit der britischen Regierung vor zweieinhalb Jahren hat der spürbar beleidigte Oligarch auf eine Reise ins Vereinigte Königreich verzichtet. Nur drei Mal schaute sich Abramowitsch seitdem überhaupt ein Chelsea-Spiel vor Ort an: das gewonnene Europa-League-Finale 2019 in Baku, ein Testspiel in Salzburg und kürzlich die Partie in der Champions League in Krasnodar.

Im Sommer 2003 kaufte sich Abramowitsch, 54, erster russischer Mineralölbaron der Premier League, den in Westlondon ansässigen Klub und investierte danach in Summe circa zwei Milliarden Euro in seine Wertanlage. Während der Pandemie bedingten Saisonunterbrechung entschied Chelsea in Abstimmung mit ihm, den Angestellten weiter das volle Gehalt zu überweisen sowie das eigene Stadion und Hotel dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen. Als Return-on-Investment spielte Chelsea 18 Titel in 17 Jahren für Abramowitsch ein - aber zu seinem Tausendsten auch eine flaue Nullnummer, die mehr nach Leitungswasser als Wodka schmeckte.

Zum Ehrenspiel von Abramowitsch schickte die Premier League mit Tottenham Hotspur den ungeliebten Stadtnachbarn vorbei, deren Trainer José Mourinho in zwei Amtszeiten bei Chelsea einst drei Meisterschaften und fünf Pokaltitel sicherte. Die Pointe entbehrte nicht einer gewissen Komik, weil Mourinho bei Chelsea mit Frank Lampard einen Trainerkollegen antraf, der als Spieler ein bedeutender Teil jenes Teams war, mit dem Mourinho 2005 die erste Meisterschaft für Chelsea nach 50 Jahren gelang.

Beim 0:0 zwischen Chelsea und Tottenham erinnerte Mourinho zur Prime Time am Sonntagabend daran, dass es nach wie vor unangenehm ist, ihn als Konkurrenten zu haben. Wichtiger als zu gewinnen, war es Mourinho bei diesem besonderen Anlass, nicht zu verlieren. Die ereignisarme Partie beschrieb die Times als "Stalemate", wie Pattsituationen auf der Insel genannt werden, wenn einfach nichts vorangehen mag. Mit dem Remis behält Tottenham die Tabellenführung, zwei Punkte fehlen Chelsea auf die Spitze.

Vor siebeneinhalb Jahren verpasste Mourinhos Chelsea der Trainerlegende Arsène Wenger in dessen 1000. Partie für den FC Arsenal ein schallendes 6:0. Aus Sorge beim Jubiläumsspiel seines Chefs Abramowitsch womöglich ein ähnliches Malheur verantworten zu müssen, zog es Lampard entgegen seiner üblichen Spielkultur vor, seine Defensive beisammen zu halten. Die vier Abwehrspieler hielten hinten die Stellung und der französische Weltmeister N'Golo Kanté agierte als zusätzlicher Sicherheitsanker davor.

Das ging auf Kosten des Angriffs um den deutschen Nationalspieler Timo Werner, der ebenso kaum in Erscheinung trat wie sein eingewechselter Landsmann Kai Havertz. Kurz vor Schluss hatte Olivier Giroud für Chelsea die Chance zum Sieg - wie Giovani Lo Celso auf der Gegenseite. Sonst tat sich für Tottenham keine Lücke auf zum Kontern, und um selbst die Initiative zu ergreifen, bestand für Mourinho kein Bedarf. Nach der Auftaktniederlage ist Tottenham mittlerweile seit neun Ligaspielen ungeschlagen.

Immer wieder wird Mourinho die eingespielte Punktzahl mit Tottenham als zynischer Ergebnisfußball ausgelegt. Das trifft zwar das fragwürdige Klischee, wonach Mourinho in seiner Karriere eher dem Gegner die Stärken nimmt als die eigenen zu betonen, mehr aber nicht. Innerhalb eines Jahres hat Mourinho im Verein eine Aufbruchstimmung erzeugt, das die bei seinem Amtsbeginn von Eigeninteressen zersetzte Mannschaft geeint hat.

Sinneswandel dank Mourinho?

Nach der sehr respektablen Aufbauarbeit seines Vorgängers Mauricio Pochettino, unter dem die Spurs allerdings stets den Eindruck vermittelten, an ihrem Limit zu spielen, wirkt der Verein in dieser Saison so gefestigt wie lange nicht. Mit klugen Transfers hat Mourinho zusammen mit Klubchef Daniel Levy den Handlungsspielraum im zuvor dünn besiedelten Kader erweitert und ein kraftvolles, abgehärtetes Team auf die Beine gestellt. In den Vorjahren bestand einer der Vorwürfe an Tottenham darin, über nicht genügend Wettbewerbshärte zu verfügen, wenn sich die Chance auf einen Titel ergibt.

Bei allen Interviews nach dem Chelsea-Spiel war es Mourinho ein offenkundiges Bedürfnis, den Sinneswandel im Team zu betonen. Die Spieler seien "nicht zufrieden" über das an sich positive Resultat, sagte Mourinho. Das sei "fantastisch" für ihn, ein "kompletter Mentalitätswechsel".

Unabhängig davon, wie viel Koketterie in der Behauptung steckte, ist die Ausrichtung klar: Mourinho will Tottenham als Titelkandidat etablieren! Das Fundament steht bereits mit einer solidarischen und disziplinierten Mannschaft, die ihrem Trainer gerade bedingungslos die Gefolgschaft leistet. Mit bloß neun Gegentoren stellt Tottenham die beste Abwehr der Liga und mit 21 Treffern auch fast den besten Angriff. Vorne besitzt Tottenham reichlich Optionen, um Torjäger Harry Kane zu entlasten.

In der anhaltenden Unstimmigkeit zwischen den Klubs in der Premier League über den Umgang mit der Überbeanspruchung der Spieler hält sich Tottenham öffentlich auffallend zurück. Obwohl die Spurs wegen der Qualifikationsspiele zur Europa League und dem Erreichen des Viertelfinals im Ligapokal bis hierhin die meisten Pflichtspiele der Saison zu absolvieren hatten, bringt Mourinho keine Kraft für die Diskussion auf. Ebenso wenig wie für die Frage nach den Ambitionen in der Premier League. "Wir sind kein Pferd, nur ein Pony", findet Mourinho. Und ließ damit die Punkteteilung für Tottenham wie einen Sieg wirken - und für Chelsea wie eine Niederlage.

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