Toni Kroos hat am Wochenende nicht nur darauf hingewiesen, dass er die Begabungen seines Nationalelfkollegen hoch einschätzt und dass er es grundsätzlich für gut hält, ins Ausland zu wechseln ("das macht einen als Spieler und Persönlichkeit besser") - er hat auch gesagt, dass es Probleme geben könnte. In einer designierten Spitzen-Karriere könnten sich "immer auch Stolpersteine" auftun, erklärte Kroos der Bild: "Kai steht nun vor dem nächsten Schritt und vor einer neuen Situation. Auch darauf muss er sich erst mal einstellen, sich daran gewöhnen."
Kroos war 24 Jahre alt, als er zu Real Madrid wechselte. Er kam allerdings vom FC Bayern und hatte somit schon ein paar Härteproben hinter sich. Havertz kommt von Bayer 04 Leverkusen, er kennt den Leistungsdruck des Profisports, aber nicht den unbedingten Erfolgsdruck. Es gehört zu den Leverkusener Traditionen, aus Misserfolgen kein Drama zu machen. Bayer-Geschäftsführer Fernando Carro sprach daher ungewöhnlich ungemütliche Worte, als er neulich nach der dreifachen Enttäuschung in Liga, Pokal und Europacup ohne die üblichen Relativierungen festhielt, man habe alle Ziele verfehlt. "Anspruch und Realität liegen bei uns auseinander", sagte er. Neue Töne in Leverkusen.
Bayer hat jetzt zwar viel Geld, aber auch eine Mannschaft in unfertigem Zustand. Auch Kevin Volland ist ja verkauft worden, der nach Havertz zweitbeste Torschütze und Vorbereiter. Weitere Spieler wie Lucas Alario, Leon Baily oder Wendell könnten noch gehen, entsprechend viele neue Spieler müssten kommen, wie Trainer Peter Bosz bereits dringend verlangt hat. Offen ist, welche Summe die Bayer AG dafür freigibt. Der Konzern hat mit dem ihm zugehörigen Klub eine Vereinbarung: Die Gewinne bzw. Überschüsse eines Geschäftsjahres liefert der Verein bei der AG ab; wenn Verluste anfallen, gleicht die AG sie aus. Für einen Betrag, wie er jetzt das Konto füllt, gibt es jedoch keinen Erfahrungswert.
Havertz trifft in London zwei Landsleute und Mitspieler aus der Nationalmannschaft: Timo Werner und Antonio Rüdiger. Das wird ihm die Eingewöhnung etwas erleichtern. Doch der FC Chelsea ist ein straff geführter Betrieb, der mit der teuren Transferoffensive die klare Ansage macht, dass er nicht länger Liverpool und Manchester City den Titelkampf überlassen will. Mindestens 250 Millionen Euro hat Sportchefin Marina Granowskaja - die Statthalterin des Besitzers Abramowitsch - in diesem Sommer für ein halbes Dutzend an Spielern ausgegeben, das Geld stammt aus den Ersparnissen, die sich während einer zweijährigen, von der Fifa verhängten Einkaufssperre angesammelt hatten. Besonders Kai Havertz soll nun für die Amortisierung sorgen.