Chelsea nach der Einkaufstour:Was kostet ein Tor?

Chelsea nach der Einkaufstour: Kam auf den letzten Drücker für 121 Millionen Euro an die Stamford Bridge: Enzo Fernández.

Kam auf den letzten Drücker für 121 Millionen Euro an die Stamford Bridge: Enzo Fernández.

(Foto: Justin Setterfield/Getty Images)

Der FC Chelsea gab im Winter unanständig viel Geld für neue Spieler aus und spielt trotzdem nur 0:0 gegen Fulham. Trainer Graham Potter könnte bald unter Druck geraten - die britische Presse spottet.

Von Sven Haist, London

Fast allen, die mit dem Chelsea Football Club sympathisieren, dürfte es am Freitagabend so ergangen sein wie Todd Boehly, dem Vereinsvorsitzenden. In der Schlussphase des Lokalderbys zwischen Chelsea und Fulham in der Premier League, als sich Chelsea vergeblich mühte, das Siegtor zu erzielen, konnte Boehly seine Ernüchterung nicht mehr zurückhalten. In der Ehrenloge an der Stamford Bridge ließ sich der US-Amerikaner sichtlich deprimiert in seinen Sitz zurückfallen, verschränkte die Arme vor seinem Körper und verdrehte genervt die Augen - als würde er schon jetzt, nach nur acht Monaten beim Chelsea FC, die Geduld verlieren.

Boehly fiel es sichtbar schwer, zu akzeptieren, dass der Erfolg trotz der großen Finanzanstrengungen noch auf sich warten lässt. Denn als Anführer eines Investorenkonsortiums, hinter dem Clearlake Capital steckt, das eigenen Angaben zufolge ein Vermögen von über 70 Milliarden Dollar verwaltet, hat er seit der Klubübernahme im Mai 2022 beispiellos viel Geld für neue Spieler ausgegeben - allein über 600 Millionen Euro an Ablöse. Ähnlich irritiert wie er selbst schaute Sitznachbar Behdad Eghbali drein, einer der Mitgründer von Clearlake. Auch er gehört zum Vorstand des Klubs.

Kurz nach Spielende, als das 0:0 besiegelt war, lief Boehly zusammen mit Eghbali von der gegenüberliegenden Tribünenseite aus in den Kabinentrakt. Die Stippvisite beim Team ist zu einer Routine nach Heimspielen geworden, ebenso wie der dortige Austausch mit Trainer Graham Potter. Doch diesmal beanspruchte die Analyse wesentlich mehr Zeit. Aus gutem Grund: Die beunruhigende Nullnummer im Duell mit Aufsteiger Fulham machte Chelsea mehr oder weniger zum Gespött in der Öffentlichkeit. Fast alle Zeitungen in England titelten amüsiert, dass sich Chelsea zwar viele kostspielige Spieler kaufen könne - aber keinen Erfolg, ja noch nicht mal ein Tor.

Chelsea gibt scheinbar grenzenlos Geld aus, einen treffsicheren Stürmer haben sie trotzdem nicht

In den vergangenen zwölf Ligaspielen gab es für den erfolgsverwöhnten Verein gerade mal zwei Siege. Die Blues stecken längst im Tabellenmittelmaß fest, der eigene Mindestanspruch, die abermalige Qualifikation für die Champions League, ist bei einem Spiel mehr neun Punkte entfernt. Zumindest in dieser Verfassung ist das kaum mehr aufzuholen. Obwohl Potter, bedingt durch das vorzeitige Aus in den nationalen Pokalwettbewerben, zwei Wochen zur Vorbereitung auf dieses Match geblieben waren, ließ sich kaum ein Fortschritt erkennen. Dem Offensivspiel mangelte es nach wie vor an Struktur, Ideen und Durchschlagskraft.

Die fehlende Torgefahr, deren Ursache in der Abwesenheit eines treffsicheren Torjägers begründet ist, begleitet Chelsea seit geraumer Zeit. Trotz der offensichtlichen Vakanz verzichtete der Klub bei seiner Einkaufstour fast ignorant darauf, eine etablierte Fachkraft für die Problemposition in der Sturmmitte einzustellen. Das Resultat: wieder kein Tor. Bloß spärliche vier Treffer gelangen zuletzt in zehn Pflichtspielen. Die beste der wenigen Torchancen vergab der abermals als Mittelstürmer aufgebotene DFB-Nationalspieler Kai Havertz, als er den Ball in der ersten Halbzeit an den Pfosten schoss. "Ein Penny für die Gedanken von Boehly - und wie viel für ein Tor?", fragte die Times ziemlich spitz. Der Guardian zählte ähnlich keck zu den "positiven" Aspekten des Spiels, dass David Datro Fofana, ein soeben aus Molde geholter Jungstürmer, "beinahe" sein erstes Tor für Chelsea erzielt hätte.

Dazu passte, dass Trainer Potter überraschend auf den zwar formschwachen, aber in der Vergangenheit für seine Abschlussqualitäten bekannten Pierre-Emerick Aubameyang verzichtete. Das freie Wochenende nutzte der Ex-Dortmunder für einen aufsehenerregenden Kurztrip nach Mailand - während sich seine Kollegen auf dem Platz abmühten. Darin wollte Potter, der bisher stets zu beschwichtigen versucht, nichts Ehrenrühriges erkennen. Aubameyang habe nichts falsch gemacht, sagte er, es sei eine "freie Welt".

Vermutlich basierte die Nachsicht darauf, dass Potter Aubameyang zuvor aus dem 25 Profis umfassenden Kader für die Champions League gestrichen hatte, um Platz zu schaffen für drei der acht Neuzugänge. Mehr darf Chelsea nicht nachnominieren. Neben dem Weltmeister Enzo Fernández, der ein ordentliches Debüt im Mittelfeld absolvierte, berief Potter die Offensivspieler Michajlo Mudryk und João Felix ins Aufgebot, der seit seinem Platzverweis im ersten Spiel gesperrt fehlt - womit kurioserweise Innenverteidiger Benoît Badiashile außen vor blieb, der derzeit wohl formstärkste Chelsea-Spieler.

Noch wird Trainer Potter von einer Trainerdiskussion verschont

Damit dürfte sich Potter ebenso keinen Gefallen getan haben wie mit der Entscheidung, das Spiel gegen Fulham mit Mudryk in der Startelf anzugehen. Zur Halbzeit wechselte er den gänzlich wirkungslosen Ukrainer mit den wenigsten Ballkontakten auf dem Platz aus - aufgrund einer starken Erkältung, wie Potter hinterher angab. Die Begründung wirft, wohl auch innerhalb der Mannschaft, die Frage auf, warum der Linksaußen dann überhaupt aufgestellt wurde. Zumal für diese Position mit Noni Madueke und dem soeben von einer Verletzung genesenen Raheem Sterling zwei gute Alternativen zur Verfügung gestanden hätten.

Genauso muss sich Potter vorwerfen lassen, seit Beginn seiner Tätigkeit im September vor fünf Monaten weder eine substanzielle Formation noch eine richtige Stammelf gefunden zu haben. In den ersten 15 Premier-League-Spielen nahm der Engländer insgesamt 64 Spielerwechsel in der Startelf vor, die nicht nur mit dem Verweis auf zahlreiche Verletzungen und Transfers abgehandelt werden können. Beide Aspekte bewahren Potter aber derzeit noch vor einer intensiven Trainerdiskussion.

All die Unruheherde rund um den Verein tragen nicht unbedingt zur Stabilität bei, die dringend notwendig wäre nach dem beispiellosen Umbruch. Stattdessen schaden sie zunehmend dem eigenen Ruf. Bezeichnend dafür war nicht nur die Körpersprache des Eigentümers Todd Boehly auf der Tribüne, sondern auch eine andere Szene mit ihm. Als die Fernsehkameras ihn im Dialog mit George Osborne einblendeten, dem früheren Schatzmeister der UK-Regierung, johlte Fußballexperte Gary Neville am Sky-Mikrofon sarkastisch, dass es ihm sofort "einleuchten" würde, warum die beiden nebeneinander stünden. Osborne war einst als Politiker bekannt für seine Sparsamkeit.

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