Champions League:Mit beißendem Spott in eine ungewisse Zukunft

Champions League: Frank Lampard hat als Chelseas Interimscoach kein Glück - doch fraglich ist auch, was er sich mit seiner Aufstellung gegen Real Madrid gedacht hatte.

Frank Lampard hat als Chelseas Interimscoach kein Glück - doch fraglich ist auch, was er sich mit seiner Aufstellung gegen Real Madrid gedacht hatte.

(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Der FC Chelsea und sein Klubbesitzer Todd Boehly sind auf ganzer Linie gescheitert. Beim Viertelfinal-Aus gegen ein erhabenes Real Madrid lernen die Londoner, dass all das viele Geld nicht ausreicht - die Kritik ist enorm.

Von Javier Cáceres, London

Da ging sie dahin, die Saison des FC Chelsea, und Klubbesitzer Todd Boehly tat es auch. Und so ließ sich alles, was an einem "chilly" Dienstagabend an der Stamford Bridge in London passiert war, am Ende auch über die Bosse der beiden Gegner im Viertelfinale der Champions League erzählen. Über Boehly, 49, den wahnwitzigen reichen Onkel aus Amerika, der im Mai 2022 den Russen Roman Abramowitsch als Chelsea-Eigner abgelöst hatte. Und über Florentino Pérez, 76, der auf fast 20 Jahre als Präsident des spanischen Rekordmeisters Real Madrid zurückblicken kann.

Die beiden verpassten sich nur um Sekunden, nachdem Real den FC Chelsea mit dem gleichen Resultat wie im Hinspiel der Vorwoche unterworfen hatte - mit einem 2:0, diesmal errungen durch zwei Tore des brasilianischen Stürmers Rodrygo. Boehly kam gebeugt aus dem Kabinentunnel und lief noch schweren Schrittes über den Rasen, als Pérez, aus anderer Richtung kommend, sich anschickte, im selben Tunnel zu verschwinden - einen Schweif an Mitarbeitern hinter sich herziehend, und den Leuten, die ihn beglückwünschten, einen nach oben gereckten Daumen zeigend. Grinsend, beseelt, für seine Verhältnisse: feixend.

Champions League: Todd Boehly (Mitte), Eigner des FC Chelsea, trottet über den Rasen an der Stamford Bridge. Er wird die Mannschaft drastisch verändern müssen.

Todd Boehly (Mitte), Eigner des FC Chelsea, trottet über den Rasen an der Stamford Bridge. Er wird die Mannschaft drastisch verändern müssen.

(Foto: Clive Rose/Getty Images)

Real steht im Halbfinale der Champions League, zum elften Mal in den jüngsten 13 Spielzeiten, was wieder einmal zeigte: Jedes Vorspiel zu Finals der Königsklasse ist für den Titelverteidiger aus Madrid "just another day at the office", wie Briten sagen würden: eine Form von Alltag. Boehly hingegen? Sah aus, als habe er gerade im Casino ein Vermögen verloren. Und als sei ihm das Geld doch nicht ganz so egal, wie es ihm zuletzt immer wieder unterstellt wurde respektive werden musste.

Im Mai des Vorjahres hatten Boehly und die Private-Equity-Firma "Clearlake Capital" aus den USA den FC Chelsea übernommen, seither ist eine Rekordsumme geflossen - und auf absurde Weise dahin: mehr als fünf Milliarden Euro. Das ist nicht nur gemessen am Ertrag - einer Mischung aus Misserfolg, Missgunst und Unverständnis - eine erstaunliche Summe. Und das alles geht einher mit beißendem Spott in den Zeitungen Londons, der zuletzt nur deshalb ein wenig abebbte, weil Boehly quasi schon täglich als ahnungsloser Clown karikiert worden ist. Nicht zuletzt, seit er dem früheren Trainer Thomas Tuchel, jetzt Coach des FC Bayern, nahegelegt hatte, in einem 4-4-3-System zu spielen, sprich: mit zwölf Spielern.

Dennoch war das Champions-League-Aus nun ein Tiefpunkt, den nicht mal Boehly übersehen konnte. Frank Lampard, der dritte Tuchel-Nachfolger der laufenden Saison (vor ihm versuchten sich Graham Potter und Bruno Saltor), erlitt im vierten Spiel als Interimstrainer die vierte Niederlage, was letztlich auch bedeutet, dass eine Teilnahme an einem Europokal der Folgesaison nun quasi ausgeschlossen ist. Als Tabellenelfter müsste Chelsea in der Premier League mindestens Liverpool, Brentford und Fulham überholen, um wenigstens die unterklassige Conference League zu erreichen. Vorausgesetzt, der zehn Punkte entfernte siebte Platz reicht dafür aus.

Niemals in der Fußballgeschichte ist in so kurzer Zeit mehr Geld auf derart sinnlos anmutende Weise verbrannt worden wie zuletzt beim Chelsea FC. Und die Menschen wenden sich vom Big Spender ab.

Wie unlängst Tuchel konstatierte nun auch die Chelsea-Legende Didier Drogba, Finaltorschütze beim Champions-League-Sieg 2012 in München, eine Transformation des Vereins, die ihm nicht behage. Er habe Chelsea in der Ära Abramowitsch als einen Verein von Klasse kennengelernt, sagte Drogba dem Sender Canal+, die vermisse er, seit Boehly mit Scheinen um sich werfe: "Ich erkenne meinen Klub nicht wieder." Das gilt auch für zahlreiche treue Fans. Als Reals Rodrygo zehn Minuten vor Schluss erneut unter Beweis stellte, dass er in der Champions League auf erstaunliche Weise liefert (15 Tore in 37 Spielen - "nur" 12 Tore in 100 Ligaspielen), setzte auf den Rängen ein Defilee nach draußen ein.

Diejenigen, die später am Stadion noch vor den Pubs standen und ihren Frust ersäuften, reagierten sich mit Beleidigungen ab, die daran erinnerten, dass die nahe gelegene King's Road einst das Revier der Skins und Heimstatt des "Ska" der westindischen Einwanderer war. Who cares?, sagten sich im fernen Madrid die Redakteure der Zeitung Marca, sie dichteten eine vieldeutige Schlagzeile: "Der König verlängert sein Regime".

Auch Spaniens emeritierter König Juan Carlos schaut an der Stamford Bridge vorbei

Das bezog sich nicht nur auf Real, den 14-maligen Rekordsieger der Königsklasse, sondern spielte auf eine überraschende Visite des Abends an: Spaniens emeritierter König Juan Carlos, der seit 2020 in Abu Dhabi im Exil lebt, weil ihm in Spanien die Justiz an den Kragen wollte, hatte sich an der Stamford Bridge die Ehre gegeben. Und dann war da noch die Tangente zu jener Debatte, die in Spanien tobt: Der Präsident des FC Barcelona, Joan Laporta, hatte den Erzrivalen Real als "Mannschaft des Regimes" des faschistischen Diktators Franco bezeichnet. Real antwortete über seine offiziellen Medien, "die Mannschaft des Regimes" sei in Wahrheit Barça gewesen. Das war eine bemerkenswerte Deutung der Geschichte.

Weit kurioser war am Dienstag der Blick in die Zukunft des FC Chelsea. Denn obwohl Reals Trainer Carlo Ancelotti - früher selbst Chelsea-Coach - bemüht war, die taktischen Einfälle seines früheren Spielers und heutigen Kollegen Lampard zu loben, war dessen Überforderung greifbar. Das Viertelfinale sei ein Duell zwischen einem "hochkompetenten Team und einem halluzinogenen Fiebertraum" gewesen, schrieb The Guardian mit großer Berechtigung. Um die beiden Tore aus dem Hinspiel aufzuholen, hatte Lampard einen einzigen Stürmer aufgeboten - den bemitleidenswerten Kai Havertz -, was dazu führte, dass der Ball bei den besten Chelsea-Chancen vor den Füßen von N'Golo Kanté und Marc Cucurella landete - ausgewiesene Defensivkräfte, die aus nächster Nähe verschossen.

Lampard, so viel ist gewiss, wird am Saisonende wieder Geschichte sein. Das Casting für einen neuen Trainer läuft, Luis Enrique und Julian Nagelsmann haben offenkundig bereits in London vorgesprochen - wobei fast erstaunt, dass sie sich Todd Boehly antun wollen. Interessant wird, welchen Kader der neue Chelsea-Coach vorfindet, zurzeit ist er so aufgebläht, dass für Teamsitzungen das House of Commons angemietet werden könnte. Die Frage ist, ob Chelsea im Sommer Spieler gut verkaufen kann, und das wird spannend. Was man bislang nur weiß: Gut kaufen hat nicht gut funktioniert.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusBayern im Champions-League-Viertelfinale
:Gartentreff mit falscher Neun

Choupo-Moting als letzte Hoffnung? Vor dem Rückspiel gegen ManCity, in dem der FC Bayern mindestens vier Tore schießen muss, zeigen sich immer deutlicher die Folgen eines missglückten Münchner Offensivexperiments.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: