American Football:Die gnadenlose Effizienz der Chiefs

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Er hat schon jetzt gut lachen: Quarterback Patrick Mahomes von den Kansas City Chiefs. (Foto: Jay Biggerstaff/Imagn Images/Imago)

Das American-Football-Team aus Kansas City geht als so klarer Favorit in den Super Bowl, dass bereits Verschwörungstheorien dazu im Umlauf sind. Dabei gibt es plausiblere Gründe für die Dominanz – und ein paar Hoffnungsschimmer für den Gegner.

Von Jürgen Schmieder

Es kursiert eine wilde Verschwörungstheorie vor dem 59. Super Bowl am Sonntag, sie geht so: Die Kansas City Chiefs können das American-Football-Endspiel zum vierten Mal binnen fünf Jahren gewinnen, zum dritten Mal nacheinander. Das hat keine Franchise seit Beginn der Super-Bowl-Ära 1966 geschafft, und weil das Spektakel gleich mehrere Sparten der Entertainment-Industrie zusammenführt, brauche es ein Hollywood-reifes Drehbuch, in dem Sport, Kunst und Popkultur gleichermaßen bedient werden für maximale Unterhaltung.

Also: Die Chiefs werden zur Halbzeit zurückliegen gegen die Philadelphia Eagles, deutlich gar. Während der Pausenshow werde Rapper Kendrick Lamar, Abräumer bei den Grammys vergangenen Sonntag, einen Dizz auf Kanye West abfeuern und damit Popstar Taylor Swift erfreuen, die seit 16 Jahren regelrecht verfolgt wird von West. Swift wird im Stadion sein, um ihren Partner Travis Kelce anzufeuern. Der Chiefs-Schlüsselspieler werde, das solle erst später in einer rührseligen Doku gezeigt werden, in der Kabine eine inspirierende Rede an die Kollegen halten. Am Ende des Comebacks werde er den entscheidenden Touchdown fangen, direkt danach seine Karriere beenden und Swift noch auf dem Rasen einen Heiratsantrag machen.

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Zum fünften Mal in sechs Jahren stehen die Kansas City Chiefs im großen Endspiel der NFL. Das Team um Quarterback Patrick Mahomes kann nun einen Titel-Hattrick schaffen, das gelang bisher noch niemandem.

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Der vermeintliche Beweis für diese Theorie: Die Buchmacher in Las Vegas haben ihre Quoten nicht angepasst, obgleich in der Woche vor dem Spiel mehr als zwei Drittel der Wetten auf einen Sieg der Eagles abgeschlossen wurden; sie würden nun mal das Drehbuch kennen und vom Erfolg der Chiefs wissen. Es gibt auch Geraune, dass die Regelauslegung des Schiedsrichtergespanns um Ron Torbert die Spielweise der Chiefs bevorzuge – so laut, dass sie Ligachef Roger Goodell zu Wochenbeginn als „lächerlich“ abtun musste.

Solche Theorien gehören zum Gedöns vor dem Spektakel. Und es stimmt: Die Chiefs sind leicht favorisiert, aber aus drei Gründen, die verdeutlichen, wie NFL und Super Bowl funktionieren und warum ein Triumph der Chiefs tatsächlich historisch wäre.

Erstens: Die Wahl bei der Talentbörse 2022. Bei den Chiefs sah es zu diesem Zeitpunkt nach Umbau aus; sie waren nach ihrem Triumph 2020 zweimal gescheitert, der herausragende Passempfänger Tyreek Hill hatte den Verein verlassen. Was die Chiefs taten: Sie wählten sieben Verteidiger, die am Sonntag alle auf dem Rasen aktiv sein werden; dazu Laufspieler Isiah Pacheco – eher Pflug denn Slalomläufer.

Aus den Spektakel-Chiefs wurde ein Team, das noch mehr über Defensive dominiert und die spektakulären Momente zielgerichteter einsetzen konnte. Defensive gewinnt Meisterschaften, heißt es oft, und diese sieben Verteidiger haben in ihrer Profikarriere bislang nichts anderes erlebt als Titel.

Kongeniales Duo: Patrick Mahomes wirft zu Tight End Travis Kelce. (Foto: Charlie Riedel/dpa)

Zweitens: Verletzungen und Spielplan. Es gibt vor jeder Saison Prognosen, wie gut die Teams sein werden – und die werden angesichts der zahlreichen Verletzungen in diesem Sport quasi vom ersten Spieltag an über den Haufen geworfen. Aktuelles Beispiel: die Detroit Lions. Sie galten lange als Super-Bowl-Favorit, doch in den Playoffs gegen andere Hochkaräter waren mehr als ein Dutzend Ausfälle in der Defensive zu viele. Bei der Niederlage gegen Washington hagelte es 45 Gegenpunkte.

Die Chiefs hatten auch Verletzte zu beklagen, Laufspieler Pacheco etwa, Passfänger Marquise Brown oder Passverteidiger Jaylen Watson aus dem 2022-Draft. Die wurden jedoch rechtzeitig fit für die Playoffs. Und weil sich die Chiefs früh qualifiziert hatten sowie in der ersten Runde pausieren durften, gelten sie nun als einigermaßen komplett und fit – keine Mannschaft ist kerngesund am Ende einer NFL-Saison. Noch so eine Weisheit: Nicht unbedingt das beste Team wird Meister, sondern das gesündeste.

Drittens: die Verbindung zwischen Patrick Mahomes und Travis Kelce. Seit acht Spielzeiten sind der spektakulärste Spielmacher und der produktivste Tight End der Geschichte ein Paar, freilich verstehen sie sich blind – und genau das und nicht ein Hollywood-Drehbuch ist der Grund für die zahlreichen Comebacks der Chiefs: Sie sind Meister darin, in der ersten Halbzeit die Defensivstrategie der Gegner zu dechiffrieren und dann während einer Partie darauf zu reagieren; was umso effizienter klappt, wenn Mahomes die Wahl hat: Schaffe-ich-nachts-um-drei-Zuspiele auf Kelce, der von nur einem Gegenspieler niemals komplett bewacht werden kann – oder, wenn der kongeniale Partner von zwei oder gar drei Verteidigern gedeckt ist: Pass auf einen anderen Mitspieler, der durch die Kelce-Bewachung zwangsläufig frei sein muss.

„Du siehst nie das Gleiche zweimal“, sagt Mahomes über Vic Fangio, den Defensivchef der Eagles

Wie oft hat man solche Angriffsserien der Chiefs gerade im Schlussviertel schon gesehen – und wie oft die Verzweiflung der Gegner, weil ihnen einfach nichts gegen diese gnadenlose Effizienz einfällt? Daraus speist sich die Gelassenheit der Chiefs selbst bei Rückstand wie gegen die, ja: Eagles vor zwei Jahren. Zehn Punkte lagen sie zur Halbzeit hinten und gewannen am Ende 38:35, auch wegen einer – Achtung: Verschwörung – sehr fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung gegen Ende.

Jedoch, und genau das macht die Partie am Sonntag in New Orleans so spannend: Die Eagles-Defensive ist diesmal auf Platz eins bei gegnerischen Yards pro Spiel (278,4) und Raumgewinn pro Spielzug (4,7) sowie auf Rang zwei bei Punkten des Gegners (17,8). „Es ist immer anders gegen ihn; du siehst nie das Gleiche zweimal“, sagt Mahomes über Vic Fangio, den Defensivchef der Eagles; ein Meister darin, die Strategie während Partien anzupassen und, wie Mahomes sagt: „neue Rätsel zu kreieren, Fallen aufzubauen, in die Irre zu führen. Das wird Schach am Sonntag“.

Der Super Bowl verspricht ein Leckerbissen zu werden; nicht wegen dieser historischen Chance für die Chiefs und des Drucks, sie zu verpassen, so wie es die New England Patriots 2008 als klare Favoriten gegen die New York Giants nicht schafften, ihre Saison ohne Niederlage zu vollenden. Sondern weil zwei gesunde Teams (die Lädiertenliste der Eagles war zu Beginn der Woche lang; bis Sonntag dürfte sie komplett leer sein) auf der Höhe ihres taktischen Schaffens aufeinandertreffen. 60 Minuten Rasenschach also, und deshalb zur Vorhersagbarkeit des Spiels und allem Verschwörungszeug nur so viel: Die Zahl möglicher Varianten einer Schachpartie ist größer als die Anzahl der Atome im Universum.

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