Süddeutsche Zeitung

Champions League:Wolfsburg ist sauer auf sich selbst

Lesezeit: 3 min

Von Carsten Eberts, Madrid

André Schürrle kauerte auf dem Rasen, neben ihm lag Luiz Gustavo. Um sie herum toste der Jubelsturm im Estádio Santiago Bernabéu, doch die Wolfsburger Spieler hätten sich am liebsten weggebeamt. Da betrat Trainer Dieter Hecking den Rasen, tätschelte hier einen Spieler, umarmte dort einen. Schließlich kam er auch bei Gustavo an - und sah das ganze Ausmaß der Traurigkeit.

Traurig, ja. Grenzenlos enttäuscht. Aber auch ein bisschen wütend auf die eigene Leistung, die dem VfL den ganz großen Coup verbaut hatte. So gestaltete sich die Wolfsburger Gemütslage. Der VfL hat das Viertelfinal-Rückspiel der Champions League 0:3 (0:2) bei Real Madrid verloren, durch drei Treffer eines gewissen Cristiano Ronaldo, den sie einfach nicht zu stoppen wussten. Das tolle 2:0 aus dem Hinspiel, dieses Erweckungserlebnis im eigenen Stadion gegen den turmhohen Favoriten, es war plötzlich nichts mehr wert.

Arnold analysiert seinen Fehler knallhart

Der eine konnte mit seiner Enttäuschung umgehen, der andere eher nicht. Zur zweiten Sorte Wolfsburger gehörte Maximilian Arnold, der ziemlich bald nach Schlusspfiff Einblicke in seine Gefühlswelt gab. "Absolut bitter" sei das Spiel verlaufen, erklärte Arnold mir karger Stimme. Um sich anschließend selbst zu geißeln: "Vor dem 1:0 spiele ich einen Katastrophenpass, ich lade Real ein. Da geht die ganze Scheiße los."

Das war hart formuliert, traf die Sache jedoch im Kern. Ohne Arnolds Fehlpass (die anschließende Flanke von Carvajal fälschte er auch noch ab) wäre Real in Minute 16 nicht in Führung gegangen. Ziemlich sicher wäre auch 86 Sekunden später nicht das 2:0 gefallen. Alle drei Gegentreffer wurden durch Wolfsburger Unzulänglichkeiten begünstigt, was Trainer Dieter Hecking schwer zu akzeptieren fiel. "Wir hatten gewarnt, dass leichte Ballverluste eine große Gefahr sind", klagte er. Auch habe sein Team die Standardsituationen "einfach schlecht verteidigt".

Beim zweiten Gegentor, nach einer Ecke von Kroos, ließ sich Josuha Guilavogui im Kopfballduell leicht von Ronaldo besiegen. Und das dritte? Der Freistoß in der 77. Minute, in mittiger Position vor dem Sechzehner, war eher fragwürdig. Noch fragwürdiger war dann allerdings die Mauer, die die Wolfsburger stellten: ein löchriges Konstrukt, das diesen Namen nicht verdient. Ronaldo fand mittendurch einen Weg für seinen Ball. Manager Allofs klagte: "Wir machen Fehler, die uns nicht passieren dürfen." Es war VfL-Keeper Diego Benaglio zu verdanken, dass das Spiel am Ende nicht 5:0 ausging.

Es war ja nicht alles mies am Wolfsburger Auftritt im Bernabéu, aber eben vieles nicht gut genug fürs Weiterkommen ins Halbfinale. Vieles von dem, was im Hinspiel funktioniert hatte - die Raumaufteilung, die Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor, das nahezu fehlerlose Spiel - wollte diesmal nicht hinhauen. "Wir haben es nicht verstanden, die gute Leistung auf zwei Spiele zu bringen", analysierte Hecking weiter. Ein eigenes Tor hätte wohl zum Weiterkommen gereicht, doch davon war der VfL zeitweise sehr weit weg.

Am nächsten dran war Bruno Henrique, der Überraschungsmann aus dem Hinspiel. In der besten Wolfsburger Phase Mitte der ersten Halbzeit, als der VfL die gewaltige Kulisse im Bernabéu komplett auszublenden wusste, geriet der Brasilianer im Strafraum an den Ball. Doch er schoss nicht sofort, sondern versuchte umständlich, den Ball auf den anderen Fuß zu legen. Reals Verteidiger Sergio Ramos warf sich dazwischen, die große Chance auf das Auswärtstor war dahin.

Gustavo schimpft Henrique

Gustavo, der die Szene natürlich beobachtet hatte, war außer sich. Er knöpfte sich seinen Landsmann vor, griff nach dessen Ohren, richtete auf Portugiesisch eindringliche Worte an ihn. Für Henrique endete der Abend bitter: Er musste in der zweiten Halbzeit ausgewechselt werden, hatte einen Schlag ins Gesicht bekommen, die blutige Lippe war weniger schlimm als das benebelte Gefühl, das er davontrug. Auch Draxler, der schon nach einer halben Stunde verletzt raus musste, überstand das Rückspiel nicht unbeschadet. "Das tut weh", brummte Gustavo, ganz tief und ganz traurig.

Trotzdem gab es versöhnliche Stimmen an diesem Abend. Noch nie hatte die Mannschaft zuvor das Viertelfinale der Champions League erreicht. "Wir können erhobenen Hauptes hier wegfliegen" erklärte Hecking trotzig. Das Ausmaß des Jubels der Spieler von Real Madrid - Cristiano Ronaldo lief ganz beseelt durch die Katakomben - zeige doch nur, wie schwer man es Real in diesen zwei Spielen gemacht habe. Ja, dass das kleine Wolfsburg tatsächlich ein ebenbürtiger Gegner gewesen sei.

Und nun? Am liebsten würde der VfL im kommenden Jahr zurückkehren, um es gegen Real besser zu machen, erklärte Allofs. Doch daraus wird nichts werden, da Wolfsburg die Qualifikation für die Königsklasse diesmal wohl verpassen wird. So endete der traurige Abend tatsächlich mit einem Scherz. Allofs schmunzelte, als er sagte: "Vielleicht bekommen wir ja eine Wildcard."

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