Champions League:Wie Triumph und Trauer Madrid spalten

Real Madrid victory parade after winning the UEFA Champions League Final

Madrid feiert - zumindest der Teil der Stadt, der es mit Real hält.

(Foto: Getty Images)

Spaniens Hauptstadt erlebt rund um das Finale der Champions League eine Nacht der Extreme: Während die Fans von Real Madrid die "Décima" ausgelassen feiern, herrscht bei den Anhängern von Atlético tiefe Enttäuschung - die Medien bejubeln ein großes Fußballspiel.

Von Katarina Lukač, Madrid

Es ist eine lange Nacht für Madrids Fußballfans, in der - abhängig vom weißen oder weiß-roten Trikot - die Freude oder Trauer gar nicht mehr enden will. Der offizielle Empfang der Siegermannschaft Real Madrid am Cibeles-Brunnen im Zentrum der Stadt verspätet sich um selbst für spanische Verhältnisse stattliche drei Stunden. So bekommen auch Atléticos Anhänger, die sich längst traurig nach Hause verzogen haben, bis zum Morgengrauen "Hala Madrid"-Gesänge euphorischer blancos auf die Ohren.

Erst gegen sechs Uhr morgens streckt Trainer Carlo Ancelotti, mit gelockertem Krawattenknoten nach dem eiligen Rückflug aus Lissabon, den Fans die erbeutete Orejona - den Segelohrpokal - Nummer zehn entgegen. Eine Zahl, die sich laut Vereinspräsident Florentino Pérez, für Fans und Spieler "zur Obsession zu entwickeln begann".

Dabei zeichnete sich bis zur 90. Spielminute ab, dass die Party am Neptun-Brunnen steigen und die Atlético-Afición ihrerseits ihr Trauma von der ewigen Nummer Zwei in der Stadt überwinden würde. Dort, nur ein paar hundert Meter vom Cibeles-Brunnen entfernt am anderen Ende der Flaniermeile Paseo del Prado, lassen an Siegesabenden die Anhänger von Atlético Madrid ihre Mannschaft mit "Aúpa Atléti"-Rufen hochleben.

Im Vicente-Calderón-Stadion im Süden der Stadt, in dem 50.000 Atlético-Anhänger das Spiel verfolgten, herrschte bereits Aufbruchstimmtung. "Ich hatte mich mit meinen Freunden gerade per Whatsapp zum Feiern verabredet", erzählt die 17-jährige Schülerin Laura Fernández später ungläubig, die mit ihrem Vater Karten für das Public Viewing in Atléticos Heimstadion ergattert hatte.

Doch Sergio Ramos' später Kopfball und die anschließende Verlängerung machen den Rojiblancos bekanntlich einen Strich durch die Rechnung. Nach dem Abpfiff setzen sich die Real-Fans der Stadt, von denen allein 80.000 das Spiel im Bernabéu-Stadion im Norden der Stadt angesehen haben, jubelnd in Richtung Paseo del Prado in Bewegung. Die anderen kommen vom heimischen Sofa oder aus einer der unzähligen Bars in Madrid, von denen viele mit den Clubfahnen beider Stadtmannschaften über dem Eingang um Kundschaft werben.

Der ein oder andere einsame Colchonero ist auch dabei, wie der 23-jährige Sergio Gutiérrez, der seine Freundin und einen gemeinsamen Freund - allesamt Madridistas - zum Cibeles-Brunnen begleitet, allerdings incognito: "Mein Atlético-Shirt habe ich ausgezogen", so der Student zähneknirschend, der Reals Verlängerungssieg "einen handfesten Betrug" nennt - allerdings halb im Scherz. Seinen Kumpel Jorge konnte auch ein Paar Krücken und ein verstauchter Fuß nicht davon abbringen, sich wie unzählige andere mit zwei ausgestreckten Händen als Symbol der begehrten Décima vor der Menschenmenge fotografieren zu lassen.

"Wegen zwei Minuten"

Weit nach Mitternacht schlendern immer noch Menschen vom Stadttor Puerta de Alcalá, Madrids Wahrzeichen, die abgesperrte neunspurige Straße Calle de Alcalá in Richtung Kybele hinunter, die herausfordernd in Richtung Westen - und damit Lissabon - blickt. Unter den Fahnen schwenkenden, zum Teil Wikinger-Helme tragenden oder im Gesicht weiß angemalten Fans: Schwangere, Kleinkinder in Kinderwagen und Senioren mit Gehstock. Wie die Großtante von Maricarmen Paz, 39, die zudem mit Mann, zwei Kindern, Großonkel und Haushund aus dem Vorort Sanchinarro in die Stadt gefahren ist. "Wir haben heute ganz schön gezittert", schreit Paz gegen die Partymusik an. "Es ist Ehrensache, die Décima hier zu feiern."

"¡La Décima!" wird am nächsten Morgen dem Fußballblatt Marca als Schlagzeile gereichen. Die Gazette As erteilt Real auf seiner Titelseite eine matrícula de honor, ein summa cum laudem, und die Tageszeitung El País freut sich, dass "Madrid seine Legende vergrößert". Die beiden in Barcelona erscheinenden Sportblätter Mundo deportivo und Sport solidarisieren sich dagegen mit Atlético, und bringen sinngemäß die Schlagzeilen "Verhext" und "La Décima, wegen zwei Minuten."

Bis die "Helden aus Lissabon" (El Mundo) am Cibeles-Platz auftauchen und Sergio Ramos der Fruchtbarkeitsgöttin unter dem Jubel der Zuschauer einen Club-Schal umlegt, bleibt Zeit für einen Spaziergang zum Neptun-Brunnen. Der steht, von einem Sicherheitszaun umgeben und zwei Polizeiwagen bewacht, im Dunkeln. Den ursprünglichen Vorschlag der Stadtverwaltung, eine gemeinsame Feier auf dem zentralen Platz Puerta del Sol auszutragen, hatte man aus Sicherheitsgrunden verworfen. Auch der Aufruf einer Brauerei, sich auf dem Apollo-Brunnen auf halber Strecke zwischen Neptun- und Kybele-Brunnen zu treffen, fiel durch. Manchmal sind zwei Götter in einer Stadt schon einer zu viel.

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