Champions League:Wie gut ist der FC Bayern wirklich?

Von Klaus Hoeltzenbein

Wo es Wetterhäuschen zu kaufen gibt? Im Schwarzwald, dort, wo man auch Kuckucksuhren findet. Und vielleicht auch bald im Fan-Shop des FC Bayern.

Zugeben, Wetterhäuschen stehen stets unter Kitsch-Verdacht, sie sind ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber mancher meinte schon, das seien Carlo Ancelotti, 57, und Arsène Wenger, 67, auch. Beide Trainer, so wurde gemutmaßt, kämen womöglich nicht mehr so ganz mit mit dem, was in der Champions League als die Moderne gilt. Der Fußball, den sie anordnen, sei doch ein wenig antiquiert, hieß es, er sei aus einer Zeit, in der man noch vor die Tür ging, um am Hygrometer abzulesen, worauf man sich klimatisch einzustellen hat. Signalisiert wird dies dort durch zwei Figuren. Steht die eine draußen, heißt das: Es kommt ein Hoch. Steht die andere draußen: Es kommt bald knüppeldick.

Warum man sich ausgerechnet bei der Verfolgung eines turbulenten 5:1 (1:1) des FC Bayern gegen den FC Arsenal an ein solches Miniaturhäuschen erinnert fühlte?

Der Zirkus kommt in die Stadt

Ganz einfach: Weil selten einmal zwei dominante Trainerfiguren durch Abstinenz und Präsenz ihre klub-interne Wetterlage derart deutlich signalisierten. Weil Arsène Wenger in der Münchner Arena nahezu nie zu sehen war. Weil der Erfinder des FC Arsenal fast durchgehend unterm Dach seiner Auswechselbank verharrte, ehe am Morgen danach die Londoner Medien Schlagworte wie "Lachnummer!", "Demütigung!", "Kapitulation!" auf ihn niederprasseln ließen. Und weil im Kontrast dazu Carlo Ancelotti diesen wilden Abend komplett unter freiem Himmel konsumierte.

Ancelotti stand dort, wo er in der Bundesliga, im grauen Alltag, fast nie zu finden ist. Im weiß markierten Eck der Coaching-Zone hatte er sich postiert wie sein eigenes Denkmal. Selten, sehr selten zog er eine Hand aus der wattierten Winterjacke. Er stand wie festgefroren, kaute Kaugummi am Meter und sah, dass es gut war und gegen Ende immer besser wurde - bei allen Toren von Robben, Lewandowski, Thiago (2) und Müller war der Zirkus in der Stadt.

Hätte am Ancelotti-Denkmal ein Messingschild geklebt, wären wohl drei Sterne drauf gewesen: für jeden Champions-League-Triumph einen, mit dem AC Mailand (2003, 2007) und mit Real Madrid (2014). Die versteckte Botschaft: Nur die Ruhe, Leute! Ich weiß, wie man solche Spiele gewinnt! Ich weiß, wie man Titel holt!

Gerätselt wurde ja schon länger, ob das einfach so geht, im Schongang durch die Bundesliga und dann einfach Gang auf Gang hoch schalten, sobald es ernst wird, sobald im Frühjahr die Krokusse sprießen. Einen Testlauf hatte es gegeben, Mitte Dezember, als der freche Aufsteiger RB Leipzig in der Liga mit einem 3:0 diszipliniert wurde. Jedoch schien es so, als hätten alle im Verein noch sehnsüchtiger auf ein internationales Funksignal gewartet. Auf die Bestätigung dafür, dass die DNA des FC Bayern noch intakt ist. Er sei jetzt siebeneinhalb Jahre an der Isar, referierte Arjen Robben nach Abpfiff erleichtert, "und immer, wenn es drauf ankam, waren wir da. Ich bin überrascht, dass es so gut war".

Vier Arsenal-Profis eskortieren Robben

War es wirklich so gut? Oder konnte es nur so gut sein, weil der Gegner so schlecht war? Weil der Besuch aus London spätestens in dem Moment auseinanderfiel, in dem Laurent Koscielny, der Abwehrchef und Kapitän, kurz nach der Halbzeit verletzt ausgewechselt werden musste. Gerade der Franzose war mitverantwortlich dafür gewesen, dass nach einer halben Stunde in nur einer Szene die Münchner Schwächen offengelegt wurden: fehlende Konsequenz bei akuter Bedrohung, mangelnde Gruppendynamik in der Rückwärtsbewegung. In der Folge setzte sich Arsenal ein einziges Mal länger im Strafraum fest. Koscielny erzwang einen Elfmeter, bei dem Alexis Sanchez zunächst an Manuel Neuer scheiterte, ehe der Chilene im zweiten Nachschuss doch noch zum 1:1 traf. "Da musst du dein Leben reinwerfen, um den Nachschuss zu verhindern", krittelte Robben, "das ist aber auch das Einzige gewesen." Dass sich vor der Pause noch die einstigen Bundesliga-Profis Granit Xhaka und Mesut Özil allein mit Neuer messen durften, unterschlug der Kritiker generös.

Verwunderlich war es nicht, dass Robben milde gestimmt war, nachdem ihn gleich vier Arsenal-Profis beim Tor zum 1:0 eskortiert hatten. Jeder, wirklich jeder auf diesem Planeten kennt diese Finte, wenn Robben nach innen zieht, bevor er den Ball neben den Pfosten zirkelt. Gewiss, es war eine besonders schöne Kopie eines weltbekannten Gemäldes. Rätselhaft ist es trotzdem, warum ein Arsenal-Quartett ehrfürchtig verharrt, als bestaune es das Original in der Tate Gallery of Modern Art. Anders als im Museum gilt beim Fußball aber immer noch: Berühren nicht verboten!

Ancelotti pflegt das Erbe einer großen Generation

Überhaupt war es der Abend der bekannten Meister. Es prägte das Gefühl, vieles schon mehrmals gesehen zu haben. Zum Beispiel jenes zweite Tor, das Arsenals zärtlichen Widerstand endgültig brach, als Resultat eines traditionsreichen Münchner Spielzugs: Robben zirkelt nicht, sondern legt ab auf den in seinem Rücken durchlaufenden Philipp Lahm, Flanke, Kopfball Lewandowski, Tor. Der FC Bayern in der Wiederholungsschleife. So, wie ihn Uli Hoeneß, der alte und neue Präsident, kennt und schätzt: "Das hat mich begeistert und entspannt. Ein Abend zum Genießen."

"Fantastic" nannte Ancelotti das, was er vom besten Platz im Stadion aus beobachtet hatte. Dafür gab's auch ein Kompliment von Bayern-Vorstandsboss Rummenigge: "Carlo ist ein fantastischer Trainer, der nachgewiesen hat, aus einzelnen Spielern Mannschaften zu formen." Der zu diesem Zweck die verbliebenen Elemente aus der van Gaal-Heynckes-Guardiola-Ära pflegt wie ein Museumsdirektor. Und zwar einer, der nie öffentlich klagen, ja nicht einmal erwähnen würde, dass ohne den verletzten Franck Ribéry der linke Flügel im Vergleich zu Robbens rechtem Flügel lahmt.

Ancelotti verwaltet das Erbe einer großen Generation, was derzeit gegen einen FC Arsenal schon mal leichter fallen kann, als beim bräsigen 2:0 in Ingolstadt oder jetzt am Samstag im zugigen Olympiastadion bei der Hertha. In Berlin wird sich Ancelotti wohl wieder unters Dach verziehen. Keiner weiß besser, wann es wichtig wird, wann man sich zeigen muss. Das liegt tief in der Coaching-DNA des Italieners. Keiner weiß besser, wie man in München auf einen Schlag sehr schönes Wetter macht.

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