Champions League:"Was für eine Nacht! Ich habe keine Worte dafür"

Champions League: Leicesters Wilfred Ndidi (M.), Wes Morgan (r.) und Torwart Kasper Schmeichel feiern den Einzug ins Viertelfinale.

Leicesters Wilfred Ndidi (M.), Wes Morgan (r.) und Torwart Kasper Schmeichel feiern den Einzug ins Viertelfinale.

(Foto: AFP)
  • In der Champions League erreicht Leicester City das Viertelfinale - nach einer spektakulären Aufholjagd im Rückspiel gegen den FC Sevilla.
  • Für den Klub ist es eine der größten Stunden seiner 133-jährigen Geschichte - die Fans feiern den neuen Trainer Craig Shakespeare.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Champions League.

Von Sven Haist, Leicester

Ins Nichts rannte Marc Albrighton mit dem Ball, einfach ins Nichts. Schiedsrichter Daniele Orsato hatte gerade das Spiel beendet - und der Mittelfeldspieler von Leicester City schoss den Ball unters Stadiondach. Erst jetzt konnte er sicher sein, dass das Spiel keine Wendung mehr nehmen würde und Leicester bei seiner ersten Teilnahme an der Champions League das Viertelfinale erreicht hat. Der Klub gehört bei der Auslosung am Freitag in Nyon zu den besten acht Vereinen in Europa.

Vielen Menschen in Leicester kamen die Tränen. Die Kraft der Ereignisse in den 94 Minuten des Achtelfinal-Rückspiels hatte sie überwältigt, auf diesen Moment der Glückseligkeit waren sie nicht vorbereitet, weil niemand auf die Magie dieses Dienstabends vorbereitet sein konnte. An der Mittellinie streckte der sonst so coole Robert Huth seine Arme dem Himmel entgegen. Einige Mitspieler ließen sich entkräftet auf den Boden fallen, über Kapitän Wes Morgan und Torhüter Kasper Schmeichel türmte sich ein Jubelberg.

Vor Erleichterung grölten die Fans nach Abpfiff so laut, dass einige von ihnen den Lärmpegel auf dem Mobiltelefon aufnahmen und ihn später abspielten. Die meisten der 31 520 Zuschauer riefen: "Englischer Meister! Wir wissen, was wir sind." Und draußen, an der Seitenlinie stand der Dramaturgie angemessen: Shakespeare.

"Entfesselt die Kriegshunde": Die Fans zitieren Shakespeare

In einer der größten Stunden der 133-jährigen Vereinsgeschichte Leicesters fiel es einem schwer, die Übersicht zu bewahren. Der Premier-League-Meister zerfiel in seine Bestandteile. Die Spieler, verstreut über den Rasen, mussten erst wieder zusammengefügt werden, ehe sie gemeinsam um die Mittellinie tanzten - und sich zur Ehrenrunde aufmachten.

Die Ovationen prasselten auf die sportlichen Wunderarbeiter nieder, die es nach ihrem märchenhaften Titelgewinn in der vergangenen Saison erneut geschafft hatten, die Gesetzmäßigkeiten des Fußballs außer Kraft zu setzen. "Unfassbar! Ich kann es nicht glauben", jubelte Morgan. Als Andenken an das 2:0 durch Tore von Morgan (27.) und Albrighton (54.) nahmen die Zuschauer Klatschpappen und Plastikfahnen mit nach Hause. Der Verein hatte sie auf jedem Sitzplatz ausgelegt und damit für eine einschüchternde Kulisse gesorgt. Schließlich galt es im Duell mit dem favorisierten Tabellendritten aus der spanischen Liga ein 1:2 aus dem Hinspiel aufzuholen.

Beim Einlaufen der Teams verwandelte sich das Stadion in ein blau-weißes Farbenmeer. Die Leute auf dem South Stand entrollten ein überdimensionales Kunstwerk. Auf dem Gemälde waren die Wahrzeichen der Stadt und Leicesters Trainer Craig Shakespeare zu sehen. In der Hand hielt er eine Eisenkette, die um den Hals eines Tieres gebunden war. Darunter stand: "Entfesselt die Kriegshunde."

Das Zitat stammt aus William Shakespeares Drama "Julius Caesar". Ein Drama war auch das Spiel, in vielerlei Hinsicht.

Wie Leicester die Branchengiganten tyrannisiert

Vor drei Wochen war in Leicester nach eineinhalb Jahren die Amtszeit des entlassenen Trainers Claudio Ranieri zu Ende gegangen. Mit der Choreografie erinnerten die Fans an den Römer, bei dessen Demission auch sein Nachfolger, Craig Shakespeare, nicht unbeteiligt gewesen soll. Shakespeare sei ein Trainer "from nowhere", schrieb der Telegraph. Bis zum Saisonende wird der nun das Team anführen.

In seinem erst dritten Spiel als Cheftrainer reihte sich Shakespeare gleich mal in die Annalen ein. "Die Spieler und der Klub können extrem stolz sein. Aufgrund der Qualität des Gegners steht der Sieg auf derselben Stufe wie unsere anderen Erfolge", sagte Shakespeare.

Der ehemalige Assistent Ranieris gehört nun mit Sir Bobby Robson, Ray Harford, Phil Thompson, Harry Redknapp und Gary Neville zu den sechs englischen Trainern, die in der Champions League gecoacht haben. Das Viertelfinale des bedeutendsten europäischen Klubwettbewerbs erreichte zuletzt Redknapp vor sechs Jahren mit den Tottenham Hotspur.

Sevilla vergibt schon wieder einen Elfmeter

Möglich machte das eine Aufholjagd, die veranschaulichte, warum Leicester City die Branchengiganten der Fußballwelt seit einiger Zeit tyrannisiert. Beim Anstoß befanden sich fünf Spieler in vorderster Position. Sturmführer Jamie Vardy jagte direkt einem unmöglich zu erlaufendem Zuspiel nach, und Huth rammte seinem Gegenspieler den Ellbogen ins Gesicht. Jetzt war auch Sevilla klar, welche Wandlung bei den Foxes nach dem Trainerwechsel eingesetzt hatte. Und spätestens nach dem verschossenen Elfmeter von Steven N'Zonzi (83.) zum möglichen Gesamt-Gleichstand war klar, dass die Andalusier dieses Spiel wohl nicht für sich entscheiden werden. Schon im Hinspiel hatte Sevilla einen Strafstoß vergeben, obwohl Torhüter Schmeichel seit drei Jahren keinen mehr gehalten hatte.

Die Enttäuschung über das drohende Aus ließ Sevillas Trainer Jorge Sampaoli an den Schiedsrichtern aus, die ihn ebenso des Platzes verwiesen wie seinen Spielmacher Samir Nasri (75.). Der hatte sich von Vardy trotz Verwarnung zu einer Nickligkeit hinreißen lassen. Sevilla wirkte aufgrund des Spielverlaufs angeschlagen, Sergio Escudero traf nur Sekunden vor dem zweiten Gegentreffer die Unterkante der Latte. Ein Unentschieden hätte dem Europa-League-Sieger zum Weiterkommen gereicht.

Doch so gab es in Leicester die größte Party seit der Meisterfeier im Mai 2016. "Was für eine Nacht! Ich habe keine Worte dafür", sagte Albrighton. Worte musste er auch nicht finden. Marc Albrighton ist ja Fußballprofi - und nicht William Shakespeare.

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