Champions League:Vom FC Chelsea bleiben nur Ruinen

Chelsea FC v Paris Saint-Germain - UEFA Champions League

Tiefe Trauer: Gary Cahill und seine Kollegen vom FC Chelsea müssen das Aus gegen Paris verarbeiten

(Foto: Getty Images)

Der Klub war in der Ära Abramowitsch nie weiter von der Spitze entfernt als jetzt. Hoffnung macht nach dem Aus in der Champions League gegen Paris nur noch ein Mann aus vergangenen Zeiten.

Von Sven Haist, London

Machtlos, den Blick starr nach vorne gerichtet, saß John Terry hinter der Ersatzbank des FC Chelsea. Seit 16 Jahren hat er seinen Arbeitsplatz bei dem Londoner Fußballklub. Bestimmt hätte Terry am Mittwochabend während der Partie gegen Paris Saint-Germain (PSG) ein Versteck gewusst unter den 37 591 Zuschauern an der Bridge, um unerkannt zu bleiben. Aber Terry versuchte erst gar nicht, den Kameras auszuweichen. Es dürfte dem am Oberschenkel verletzten Kapitän ganz recht gewesen sein, dass er ins Zentrum einer Partie gerückt wurde, an der er gar nicht aktiv auf dem Platz teilnahm.

Schließlich möchte Terry seinen im Sommer auslaufenden Vertrag gerne verlängert wissen, was ihm der Verein bisher verweigert. Schon vor Wochen hat er die Vorgänge seiner Vertragsgespräche publik gemacht, um Fans und Öffentlichkeit hinter sich zu bekommen.

Selbstverständlich hätten die Fernsehmacher Terry schon gleich zu Beginn des Spiels einblenden können, aber Regisseure sind auch Dramaturgen. Also warteten sie geduldig auf die besten Gelegenheiten und die ergaben sich in der 16. und 67. Spielminute, als Adrien Rabiot und Zlatan Ibrahimovic für PSG die entscheidenden Tore schossen, um die letzten Hoffnungen des FC Chelsea auf das Erreichen des Viertelfinales in der Champions League zu ersticken.

Das 1:2 fühlte sich nach einer Überrundung an für den Meister der Premier League, der zwischenzeitlich durch Diego Costa ausgeglichen hatte (29.). Unmittelbar nach den beiden Gegentreffern schwenkten die Kameras auf Terry um, dessen Gesichtsausdruck einmal um den Globus wanderte und symbolisierte: Mit mir wäre das nicht passiert! Es mag grotesk klingen, aber jede konfuse Abwehrleistung seiner Kollegen hilft ihm derzeit, seine Verweildauer beim FC Chelsea hinauszuzögern.

Das seit drei Spielzeiten jährlich stattfindende Duell zwischen Chelsea und PSG in der Königsklasse taxiert den sportlichen Standpunkt der Vereine. Während sich die Formkurve der Franzosen kontinuierlich näher an Europas führende Elite heranschmiegt, setzte bei Chelsea seit dem Europapokalsieg 2012 ein sportlicher sowie menschlicher Zerfall ein. Spätestens nach der verletzungsbedingten Auswechslung Costas in der zweiten Hälfte war jeglicher Widerstand und Siegeswille gebrochen.

Die finanziell unbegrenzten Ressourcen der Londoner haben zum Verlust ihrer Seele geführt. Eine Dekade lang definierte sich Chelsea über eine Spielerachse um Terry, die die Investitionen des russischen Klubeigentümers Roman Abramowitsch ausbalancierte und eine Verbindung zu den herkömmlichen Werten eines Fußballvereins herstellte. Dieses Gerippe räumte den französischen Branchenprimus im Viertelfinale 2014 aus dem Weg. Übrig geblieben sind davon nur noch "Ruinen", titelt das Massenblatt Sun. Auf den Abgang von Frank Lampard im Mittelfeld folgten Torhüter Petr Cech und Sturmpatron Didier Drogba. Im vergangenen Herbst musste der Beschwörer dieser Profis, José Mourinho, gehen.

Als letzte Hoffnung einer missratenen Saison bleibt die Europa League

Der etwas selbstherrliche Portugiese hinterließ eine auf ihn getrimmte Mannschaft, mit der selbst der international angesehene Schadensverwalter Guus Hiddink nichts anfangen kann. Nur mit Mühe ließ sich Hiddink nach dem Aus überzeugen, die Pressekonferenz nicht umgehend wieder abzubrechen. In der heimischen Liga tapst sein Klub gerade auf Rang zehn umher. Im besten Fall können sie sich noch für die Europa League qualifizieren, was bedeuten würde, dass Chelsea in der kommenden Saison das Hinterland des Fußballs kennen lernt. Nie war der Verein in der Ära Abramowitsch weiter von der Spitze entfernt als jetzt. Neben einem neuen Trainer benötigt der Kader dringend eine Überarbeitung, schreibt die Times. Frische, erfolgsdurstige Spieler sollen das schwerfällige Personal wiederbeleben.

Die sichtbare Unwucht im Team hat bis zuletzt John Terry versucht zu überspielen, indem er einen Abwehrstil verkörpert, der im Fußball der Gegenwart beinahe ausgestorben ist. Terry kennt sich aus im eigenen Strafraum, kann sich rettend für sein Team auf den Boden werfen, seine Mitspieler organisieren, und gegnerische Stürmer mit seiner Resolutheit einschüchtern.

Ibrahimovic stellt Chelsea-Abwehr vor unlösbare Aufgaben

An diesen Fähigkeiten mangelte es im jüngsten Spiel den Vertretern Gary Cahill und Branislav Ivanovic in der Innenverteidigung, die sich abwechselnd von Ibrahimovic ein ganzes Spiel lang tyrannisieren ließen. Der Schwede gefiel mit einer Umtriebigkeit, die den Verdacht nahe legte, PSG-Trainer Laurent Blanc hätte ihn vor der Partie wie eine Spieluhr aufgezogen. Im Vorjahr war sein Arbeitstag bei Chelsea schon in der ersten Hälfte nach einer Roten Karte beendet. Diesmal blieb Ibrahimovic bis zum Schluss und warf den eigenen Fans sein Trikot mit der Nummer 10 als Erinnerungsstück zu. Zuvor hatte er sich schon selbst glücklich gemacht: mit seinem 50. Treffer im 125. Europapokal-Einsatz.

Um den frenetischen Jubel der Gästefans einzudämmen, legten die Stadionbetreiber nach Abpfiff den größten Hit der britischen Popgruppe Atomic Kitten auf. Das Liebeslied Whole Again, das von einem Mädchen handelt, das einer gescheiterten Beziehung hinterhertrauert, war wahrlich kein Zufall. Das Publikum an der Bridge sehnt sich ebenfalls nach der Vergangenheit.

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