Champions League: Viertelfinale:Déjà-vu der anderen Art

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Durch einen Treffer von Ivica Olic am Ende der Nachspielzeit besiegt der FC Bayern den großen Rivalen Manchester United 2:1. Dabei hatte es wegen eines frühen Gegentors lange nach einer Pleite ausgesehen.

Am Ende standen sie alle auf dem Platz, die noch aktiven Helden von damals: Ryan Giggs, Paul Scholes und Gary Neville waren bereits dabei, als Manchester United im Jahr 1999 das Champions-League-Finale gegen den FC Bayern 2:1 durch Tore in der Nachspielzeit gewann. Diesmal, im Viertelfinal-Hinspiel in München, erlebten die drei Männer von ManU ein Déjà-vu der anderen Art; die Partie war im Grunde vorbei, 1:1 stand es in der Arena, als in der zweiten Minute der Nachspielzeit Ivica Olic der Abwehr der Engländer den Ball stiebitzte und ihn aus zehn Metern zum 2:1 (0:1) überlegt ins Netz schob.

Es war der spektakuläre Schlusspunkt eines Abends, der durch ein frühes Tor von Manchester ebenso spektakulär begonnen hatte. "Am Ende war dieser Sieg verdient", befand Olic, "wir haben sehr gut gespielt. Das ist für meinen Verein mein größtes Spiel." Daniel van Buyten ergänzte knapp: "Ein geiles Spiel."

Um ein Haar hätte auch die zweite Halbzeit spektakulär begonnen: Die Bayern spielten mit Tempo, Franck Ribéry setzte Ivica Olic im Strafraum in Szene, doch der scheiterte aus spitzem Winkel an Torwart Edwin van der Sar. Das wäre was gewesen, so ein frühes Tor nach einer guten Minute. Das wäre die passende Antwort gewesen auf die erste Halbzeit, in der den Münchnern recht wenig eingefallen war gegen den dichten Verbund aus Manchester, und in der sie vor allen Dingen den Schock des frühen Gegentreffers verdauen musste.

Aus allen Gedanken gerissen

Da grübelte Trainer Louis van Gaal tagelang darüber, wie man gegen diese furchterregende Mannschaft aus England spielen könnte, da ging das Team entschlossen auf den Platz, willens, den Ausfall des verletzten Arjen Robben und des gesperrten Bastian Schweinsteiger zu kompensieren, und da war dieses allgemeine Kokettieren: Wenn wir hier ein 0:0 holen, dann könnte doch in Manchester etwas drin sein, vielleicht ein schönes 1:1, das würde ja reichen fürs Halbfinale, und dann ... Aus all diesen Gedanken wurde der FC Bayern nach 64 Sekunden gerissen, als Wayne Rooney zum 0:1 traf. Rooney, natürlich, wer sonst?

Sofort stellte sich die Frage, ob es eine gute Idee war, den Argentinier Martin Demichelis ins Abwehrzentrum zu stellen; Demichelis spielte wegen eines heilenden Jochbeinbruchs mit Gesichtsmaske. Erst foulte er an der Außenlinie unnötigerweise den Brasilianer Nani. Der trat den fälligen Freistoß, Mark van Bommel fälschte ab, Demichelis rutschte aus, Rooney stand frei, allein vor dem Tor, aus kurzer Distanz drosch er den Ball ins Netz. Ein Seufzer hallte durch die Arena. So früh. So einfach. Einfach so. "Wir haben in den ersten Minuten ein Tor bekommen, das so nicht passieren darf. Das war ein Schock", sagte van Gaal.

Das Publikum erholte sich schneller von diesem Schock als die Spieler, bald schon erklangen die Anfeuerungsrufe im Rund, doch unten auf dem Platz regierte bei den Münchnern der Zweifel. Langsam spielten sie, beinahe behäbig, als brauchten sie Zeit, um das alles zu verarbeiten und erst einmal gründlich zu analysieren. Wie war das noch: der Demichelis und dann der Nani und dann Rooney, verflucht, es war alles so schnell gegangen, und was bedeutete das jetzt?

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis die Bayern sich fingen; sie kamen etwas besser ins Spiel, aber die Chancen hatte Manchester. In der 39. Minute hätte Rooney das 0:2 erzielen müssen, in der 45. Minute vergab Michael Carrick freistehend aus 16 Metern. Die Führung der Engländer war da noch verdient. Erst nach der Pause übernahmen die Münchner die Initiative, besagte Chance von Olic kurz nach Wiederanpfiff war wie ein Weckruf. Hamit Altintop, Daniel van Buyten und Thomas Müller kamen zu Chancen, Edwin van der Sar hatte nun immerhin ein bisschen was zu tun. Das Spieltempo wurde höher, es gelang den Bayern jetzt, Geschwindigkeit aufzunehmen, was vor allen Dingen daran lag, dass Ribéry immer besser in die Partie fand.

Vidic trifft die Latte

Mit viel Eifer rackerte der Franzose auf den linken Seite, er dribbelte, er schlug seine Haken, er setzte die Mitspieler ein; vor allen Dingen war sein beherzter Auftritt ein Signal, weil er den Kollegen zeigte: Na kommt schon, wir brauchen keine Angst zu haben. Die konnte man als Spieler nämlich durchaus bekommen, wenn man sah, dass Teammanager Alex Ferguson Dimitar Berbatov und Antonio Valencia einwechselte, zwei offensive Leute, und damit signalisierte: Wir spielen jetzt aufs 2:0.

Es kam ganz anders, und es erscheint folgerichtig, dass es Ribéry war, der für den Ausgleich sorgte. Freilich gelang es den Münchnern nicht, die Engländer auszuspielen, es war ein Freistoß, der zum 1:1 führte, und was für einer. Ribéry zielte aus gut 20 Metern ins rechte Eck, doch Rooney, der in der Mauer stand, fälschte den Ball ab, der daraufhin unhaltbar ins linke Eck flog (77. Minute). Es war ein glücklicher Treffer, aber das war den Bayern egal, sie jubelten eifrig und ausgelassen; jetzt waren sie wieder im Rennen. Dachten sie vielleicht: Jetzt noch so ein 2:2 in Manchester, und dann - nein, niemand wird das gedacht haben, und falls doch, dann ist er von Vidic' Kopfball an die Latte geweckt worden (84.). Hellwach und konzentriert waren die Bayern in der Schlussphase, und am wachsten war Olic, der Schütze des 2:1.

Zwei sehr verschiedene Halbzeiten waren das an diesem Abend, an dessen Ende die Münchner sehr glücklich waren, sich aber keinesfalls als glückliche Sieger wähnten: "Wir haben hochverdient gewonnen", sagte van Gaal gewohnt unbescheiden. United sei der Favorit im Rückspiel, sagte er noch, Hoffnung gebe es aber durchaus, denn: "Wir haben auch in Manchester eine Chance, weil wir auswärts immer ein Tor machen können."

© SZ vom 31.03.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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