Süddeutsche Zeitung

Champions League:VfB Stuttgart - die Angst vor dem Ade

Gegen Barcelona bangt der VfB Stuttgart um den Verbleib auf internationaler Bühne. Bleiben umworbene Profis wie Khedira?

Christof Kneer

Sie sind nicht gleich nach Hause geflogen nach dem Spiel. Mit Rache an Schalke 04 hatte es aber nichts zu tun, dass der VfB Stuttgart am vorigen Samstag, einen Tag nach dem 1:2 in Gelsenkirchen, einen Trainingsplatz im schalkefeindlichen Dortmund buchte.

Dort ließ Trainer Gross Freistöße und Eckbälle trainieren, von rechts, von links, von überall. Allerlei Geheimnisse sollen dabei zur Aufführung gekommen sein, aber Genaues weiß man nicht. Das war ja auch der Grund für die kleine Standardlektion fern der Heimat: Gross wollte dort üben, wo die Späher des FC Barcelona ihn nicht vermuten.

Niemand wird behaupten können, der VfB Stuttgart habe sich nicht erschöpfend vorbereitet auf das Champions-League-Rückspiel in Barcelona (Hinspiel 1:1). Am Montag, einen Tag vor dem Abflug nach Spanien, hat Christian Gross gar einen inoffiziellen Saisonrekord aufgestellt: Handgestoppte 145 Minuten hat er seine Profis trainieren lassen, wobei er die letzten Minuten in ein gründliches Einzelgespräch mit Jens Lehmann investierte.

Akribische Vorbereitung

Er hat mit seinem Torwart alle in dieser Welt bekannten Freistoßvarianten des FC Barcelona durchdiskutiert (außer jenen vermutlich, die Barcelona in Bilbao oder Villarreal einstudieren ließ), sie haben Messis Freistoßinterpretationen ebenso durchgenommen wie die Schusstechnik von Xavi und Iniesta. Ach ja, und ganz am Ende hat Christian Gross natürlich noch Elfmeterschießen üben lassen.

"Wir wollen uns später nicht den Vorwurf machen, nicht an jedes Detail gedacht zu haben", sagt Gross. Beim VfB sind sie inzwischen der Meinung, dass sie diesem besessenen Arbeiter ruhig auch schon früher ihren Klub hätten anvertrauen können. Gross' professionelle Aura lässt die Klubverantwortlichen ernsthaft hoffen. Sie können sich gut vorstellen, dass Gross der Mann ist, der dieser Elf endlich ihre Flatterhaftigkeit austreibt, und dass die Elf dann in der neuen Saison...ja, was eigentlich?

Der VfB hat in Barcelona ein schönes Spiel vor sich, und doch ist es eines, das ein bisschen wehtut. Natürlich, sie könnten auch fürchterlich verhauen werden im Nou Camp, aber die Sorge der Stuttgarter ist eher grundsätzlicherer Art. Sie gehen nicht wirklich davon aus, dass sie den Titelverteidiger aus dem Wettbewerb entfernen (wobei: weiß man's?), aber sie hätten zumindest gerne die Aussicht, Teams dieser Kragenweite künftig regelmäßig zu begegnen. Vor allem deshalb sind die Stuttgarter mit einem eigenartigen Gefühlsgemisch nach Barcelona gereist: Sie fühlen sich inzwischen reif und stabil genug für die etwas größere Bühne - und gerade in dieser Situation droht ihnen die Bühne abhanden zu kommen.

Quo vadis, VfB?

Für die nächste Champions League werden sie sich eher nicht qualifizieren, weil sie dazu entweder die aktuelle Champions League gewinnen oder in der Bundesliga Dritter werden müssten (Problem: Leverkusen ist 18 Punkte entfernt). Bliebe also höchstens noch die barcelonafreie Zone namens Europa League (Problem: Auch die ist derzeit acht Punkte entfernt). Barcelona könnte also das europäische Abschiedsspiel werden - für diese und für die nächste Saison.

"Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um irgendetwas herzuschenken", sagt Sportchef Horst Heldt. Sie wittern ihre "Mini-Mini-Chance" (Heldt) in Barcelona, und in der Liga spekulieren sie immer noch heimlich mit ihren Aufholjägerqualitäten. Dennoch wird die Tabelle von Heldt zurzeit boykottiert. "Am Wochenende konnte ich gar nicht auf die Tabelle schauen", sagt er, "so genervt war ich noch von den letzten zwei Spieltagen. So wie wir aufgetreten sind, hätten wir aus Bremen und Schalke sechs Punkte mitbringen können." Einer ist es geworden.

Heldt weiß, dass diese Elf Europa braucht. Die Elf ist teuer im Unterhalt, die teuren Spieler sind anspruchsvoll. Profis wie Sami Khedira, wie der neue Linksverteidiger Cristian Molinaro oder wie der im Hinspiel herausragende Cacau definieren sich zunehmend über diese Ebene. Sie haben Geschmack daran gefunden, gegen Barcelona das Mittelfeld zu managen (Khedira), ein Tor zu erzielen (Cacau) oder Messi zu nerven (Molinaro). Sie wollen das wieder haben - und wissen nicht, ob der VfB ihnen das nächste Saison bieten kann. Cacaus Kontrakt endet im Sommer ebenso wie Molinaros Leihvertrag, auch Khedira ist nur bis 2011 gebunden, weshalb ihn der Klub im Sommer meistbietend veräußern könnte.

Begehrte VfB-Profis

"Nach wie vor offen" nennt Heldt die Personalie Cacau, dessen jüngstes Torgewitter seinen Marktwert explosionsartig erhöht hat. Statt wie kürzlich noch Frankfurt oder Gladbach, gelten nun ausländische Klubs als interessiert, ebenso wie angeblich Bremen oder Hoffenheim. Und dass sich wegen Khedira die internationale Scoutgemeinde schon seit langem auf der VfB-Tribüne stapelt, ist weit weniger geheim als die Freistoßvarianten vom Dortmunder Trainingsplatz. Auch der FC Bayern wird im Branchenfunk hartnäckig als Bewerber gehandelt.

"Ich will sehen, dass sich beim VfB etwas entwickelt", sagt Khedira. Auch deshalb braucht der VfB dieses Barcelona-Spiel, er braucht - unabhängig vom Weiterkommen - die weichen Faktoren dieser Partie: Der VfB will seinen ambitionierten Profis zeigen, dass sie sich beim VfB gut aufgehoben fühlen dürfen. Dass es sich lohnen könnte, gemeinsam aufs nächste Barcelona-Spiel zu warten.

Aber erstmal gehen sie jetzt ins aktuelle Barcelona-Spiel und hoffen, dass keiner die Freistoßgeheimnisse aus Dortmund verraten hat. Was beim Zweieinhalb-Stunden-Training in Stuttgart geschah, hat sich inzwischen allerdings herumgesprochen: Jens Lehmann hat zwei Elfmeter gehalten.

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SZ vom 17.03.2010
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