Champions League: VfB Stuttgart:Bewerbung auf großer Bühne

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Die komplizierte Geschichte des Aliaksandr Hleb: In den beiden Spielen gegen den FC Barcelona könnte sich seine Zukunft entscheiden.

Christof Kneer

Am Samstag dauerte es 65 Minuten, bis die Nummer "23" am Spielfeldrand aufleuchtete. Die 65. Minute ist ein solider Wert, oberes Mittelfeld sozusagen. In einer Tabelle mit neun Spielen liegt die 65. Minute auf Platz vier, knapp hinter der 74., der 72. und 67. Minute - aber klar vor der 61., der 57. (zweimal), der 56. und der 55. Minute.

Aliaksandr Hleb (Mitte): in seinen dünnen Beinen steckt mehr Fußball als bei manchen Klubs im ganzen Mittelfeld. (Foto: Foto: dpa)

Es ist nicht so, dass Aliaksandr Hleb diese Minuten auswendig kann, er schaut ja nicht auf die Stadionuhr, wenn er nach draußen trabt. Aber er weiß natürlich, dass es wieder mal viel zu früh ist, für seinen Geschmack jedenfalls. "Ich wünsche mir, mal wieder 90 Minuten spielen zu dürfen", sagt Hleb. In den vergangenen neun Spielen durfte er das nie. Seit neun Spielen heißt sein Trainer Christian Gross.

Das klingt nach einer der üblichen Geschichten, nach einem Trainer, der mit Stars nicht kann, und nach einem Star, der Trainer für überschätzt halt. So einfach aber geht die Stuttgarter Geschichte nicht. Von Gross heißt es sogar, dass sogenannte Stars seine distanzierte, aber zuverlässige Art schätzen, dass sie seine professionelle Unnahbarkeit als Charisma werten, dass sie Respekt haben und Vertrauen. Und Hleb kann seinem neuen Coach auch nichts Schlechtes nachsagen, er schätzt dessen Detailverliebtheit und das konkrete Training. Nur das mit dem Auswechseln, das schätzt er nicht.

Die Geschichte von Aliaksandr Hleb ist kompliziert, und sie beginnt lange vor Christian Gross. An diesem Dienstag wird die Geschichte noch etwas komplizierter, weil Hleb seiner Vergangenheit begegnet, die vielleicht auch seine Zukunft ist. Vielleicht aber auch nicht.

Für einen Abend betritt Aliaksandr Hleb wieder die große Bühne der Champions League, aber nach seinem Selbstverständnis betritt er sie auf der falschen Seite. Er spielt im Achtelfinale für den VfB Stuttgart, an den er ausgeliehen ist, nicht für den FC Barcelona, dem er bis 2012 noch gehört. "Für Aleks ist das ein extrem wichtiges Spiel", sagt Hlebs Berater Uli Ferber. Für Hleb, einen Spitzenspieler im besten Alter (28), geht es um nichts weniger als um seine Zukunft.

Im Moment steht Hleb zwischen zwei Klubs, und das Kuriose ist, dass er in der neuen Saison womöglich für einen dritten Klub spielen wird. Beim VfB wird er nicht bleiben, weil die Schwaben keine weitere Saison das spektakuläre Barcelona-Gehalt (ca. sechs Millionen Euro) aufbringen können; ob Barcelona den artistisch veranlagten Profi aber wieder zurücknimmt, ist schon deshalb fraglich, weil sie selbst eine Menge artistisch veranlagter Profis beschäftigen. In der vergangenen Saison, als Hleb sich Barcas hinreißendes Spiel bevorzugt von der Bank besah, hießen seine Konkurrenten Andres Iniesta (linkes Mittelfeld) und Thierry Henry (linker Flügel). Er hat sie nicht verdrängt und er wird sie auch in Zukunft eher nicht verdrängen können. Und Trainer Josep Guardiola, der mit ihm nicht so viel anfangen konnte, hat seinen Vertrag in Barcelona verlängert und wird mit ihm auch in Zukunft eher nicht so viel anfangen können.

So wird Berater Ferber das Champions-League-Spiel nutzen, um mit Barça-Manager Txiki Begiristain und mit Raul Sanllehi, dem obersten Fußballdirektor des Klubs, über Hlebs Zukunft zu beraten. Er wird den Spaniern von einer verzwickten Hinrunde berichten: von Hlebs verspätetem Saisoneinstieg, von der langen Suche nach der Fitness, von der falsch gesetzten Spritze, die Hleb beim weißrussischen Nationalteam empfing und die zur nächsten Folgeblessur führte; von den überhöhten Erwartungen des VfB-Anhangs und einer dramatisch kriselnden Elf, die sich von Hleb ebensowenig helfen ließ wie sie ihm helfen konnte.

Fußball in dünnen Beinen

"Man darf Aleks nicht Unrecht tun", sagt VfB-Sportchef Horst Heldt. "Er hat die Zeichen der Zeit erkannt, er ist jetzt wieder eine absolute Bereicherung für unser Spiel." Hleb ist ein Fußballer von eigener Art, vielleicht ist es sein Schicksal, dass die Öffentlichkeit sein Spiel mitunter missversteht: Er ist kein rasender Rastelli wie Robben oder Ribéry, er ist auch keiner, der ein Spiel breitschultrig an sich reißt und auf seine Seite zwingt. Er ist kein Spieler, der den Punch hat.

Aber in seinen dünnen Beinen steckt mehr Fußball als bei manchen Klubs im ganzen Mittelfeld. Er führt den filigranen Haken ebenso im Repertorie wie den scharfen Gassenpass, und zuletzt hat die Liga ein paarmal erahnen dürfen, welch kostbaren Techniker sie da beherbergt. Beim 5:1 in Köln hat Hleb das Führungstor mit einem vorletzten Pass vorbereitet, auf den auch Barcelona stolz wäre.

Es war nicht leicht für Hleb in der Vorrunde, er kam gleichzeitig von ganz oben und ganz unten. Er kam von Mitspielern wie Messi, Xavi, Iniesta und sollte plötzlich mit Marica, Hilbert, Magnin kombinieren. Er kam aber auch ohne Rhythmus und Matchpraxis, weshalb ihm sein Spiel durcheinandergeriet. Er wusste, so wie in Barcelona oder bei Arsenal kann er hier nicht spielen - aber wie genau er spielen sollte, wusste er nicht. Manchmal überforderte er die Mitspieler mit Ein-Kontakt-Pässen, die zu gut waren für die Kollegen. Manchmal überforderte er sich selbst, weil er es auf eigene Faust probierte, hängenblieb, den Ball verlor. Manchmal überforderte er die Verantwortlichen, weil er nicht mitzog, zumachte.

Hleb ist noch prominent genug, um einen prominenten Klub abzubekommen, auch der FC Bayern gilt als interessiert. Hlebs Vorteil ist, dass er seine Kunstfertigkeit nun in zwei Spielen gegen Barcelona aufführen kann. Sein Nachteil ist, dass Spiele für ihn nicht 90 Minuten dauern. Sondern 65, oder, wenn er Glück hat, vielleicht auch 74.

Im Video: Für die Spieler vom Vfb ist es das Spiel des Jahres. Die Katalanen stapeln tief und "fürchten" die deutschen Tugenden.

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© SZ vom 23.2.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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