Champions League:Tuchels Einschätzung spaltet den BVB

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Stimmungen sind immer relativ. Und gleich volle Gläser sind für den einen halb voll, für den anderen halb leer. Die allermeisten Klubs würden mit Borussia Dortmund gerne tauschen: Viertelfinale in der Champions League gegen AS Monaco, in der Liga erneut auf Kurs für den Elite-Wettbewerb, Ende April Pokal-Halbfinale gegen Bayern - was will man mehr?

Eigentlich müssten sie in Dortmund glücklich sein. Aber spätestens seit BVB-Trainer Thomas Tuchel am Samstag die deftige 1:4-Pleite der Dortmunder beim FC Bayern als so selbstverständlich wie das Naturgesetz der Schwerkraft darstellte, hängt der Haussegen wieder schief.

Vor dem ersten Viertelfinal-Duell gegen Frankreichs Tabellenführer Monaco könnte man eigentlich gedämpft optimistisch sein. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke fasste die Vorfreude am Sonntag auf Sport1 so zusammen: "Monaco ist nicht Bayern. Eine starke Mannschaft, aber nicht unschlagbar." Von den vielen Verletzten, die Tuchel nach dem gefühlten Debakel in München beklagt hatte, dürften sich Shinji Kagawa, Julian Weigl und Lukasz Piszczek wieder gesund melden, selbst Marco Reus absolvierte die erste komplette Trainingseinheit seit seiner Oberschenkel-Verletzung ohne Komplikationen. Komplett fallen vermutlich nur André Schürrle und Mario Götze aus. Und Monaco hat ebenfalls mit Verletzungsproblemen zu kämpfen.

Tuchel mahnt wegen Saisonzielen

Wäre da nicht der Mentalitäts-Unterschied, wie man die Dinge bewertet. Tuchel hatte im Laufe der Saison nach Niederlagen oder nach enttäuschenden Punktverlusten immer wieder formuliert, dass die ihm vorgegebenen Saisonziele (mindestens Platz drei in der Bundesliga) schwer zu erfüllen seien; schließlich seien in Mats Hummels, Ilkay Gündogan und Henrikh Mkhitaryan drei Schlüsselspieler gegangen, Letzterer unerwartet. Und nach dem Spiel in München am Samstag sagte Tuchel: "Wenn wir mit A-Jugendlichen spielen müssen, ist es gegen diese Bayern einfach zu schwer." Dieses Mal hatte Tuchel noch - sinngemäß - ergänzt, dass man gegen diesen FC Bayern selbst in Bestbesetzung wohl nicht viele Chancen habe.

Kann sein, dass das die schwarzen Wolken sind, die bei bitteren Niederlagen in Tuchels Weltsicht aufziehen und sie vorübergehend verdunkeln. Vielleicht sieht Dortmunds Trainer die Dinge aber auch klarer und realistischer als andere. Andererseits: Was sollen die "A-Jugendlichen" sagen, auf die Tuchel zum Teil ja ganz bewusst setzt? Und was erst die Etablierten, denen der Trainer die Konkurrenzfähigkeit zu den Bayern im Nebensatz abspricht?

Christian Pulisic dürfte zwar weiter bei den A-Junioren des BVB spielen, aus denen er ja stammt - aber er ist auch US-Nationalspieler, und im Winter soll der FC Liverpool für ihn 35 Millionen Euro geboten haben. Ousmane Dembélé ist gerade 19, spielt aber auch schon für Frankreichs A-Nationalelf, und nach allem, was man hört, würde so ziemlich jeder Spitzenklub in Europa ihn gerne holen. Selbst Emre Mor oder Felix Passlack, beide noch im A-Jugend-Jahrgang, kann man mit ihren bisherigen Einsätzen in Bundesliga und Champions League kaum als normale A-Jugendliche qualifizieren. Allesamt sind begehrte Talente, wenn auch nicht ganz so begehrt wie Kylian Mbappé auf der Gegenseite bei Monaco. Und außerdem: In München ließ Tuchel in Sven Bender und Nuri Sahin zwei 28-jährige Nationalspieler draußen. Im Kader des BVB sind fast 600 Champions-League-Einsätze versammelt.

Watzke lobt Klopp und Simeone

Vor dem Monaco-Spiel und nach der München-Pleite geht es deshalb wieder mal um das ewige Thema: wie die generelle Selbsteinschätzung beim BVB zu sein hat. Geschäftsführer Watzke hatte im Laufe der Saison schon mehrmals Tuchels Kritik an der Zusammensetzung der Mannschaft zu korrigieren versucht. Am Sonntag versuchte Watzke das vor Fernsehkameras, bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist der Chef auch für den äußeren Betriebsfrieden zuständig. "Es ist ein Privileg, diesen Verein und diese Mannschaft zu trainieren. Und ich habe das Gefühl, dass er es genauso sieht", raunte Watzke also. Man werde nach der Saison mit dem Trainer darüber sprechen, wie es in Zukunft weitergehe, man gehe aber nicht mit der Grundhaltung in solche Gespräche, "das irgendwie zu beenden". Zugleich nannte Watzke aber Jürgen Klopp und interessanterweise Diego Simeone von Atlético Madrid als Trainer, die berühmt dafür seien, wie sie ihre Teams stets motivieren und starkreden würden. Wen er damit ansprechen wollte, sagte Watzke nicht. Man konnte es sich aber denken.

Dass der Klub und sein Trainer unterschiedliche Mentalitäten haben, muss kein Hindernis für Erfolg sein: Pep Guardiola und die ebenfalls sehr spezielle Vereinskultur des FC Bayern passten wohl auch nicht ideal zueinander. Trotzdem funktionierte es. Guardiola allerdings hatte vorher schon gefühlte 50 Titel geholt, Tuchels Ausbeute ist bisher vergleichsweise bescheiden, mit dem Gewinn einer A-Jugend-Meisterschaft mit Mainz 05. Sein Sportchef Michael Zorc hat als Spieler mit Dortmund zwei Meistertitel, den Weltpokal und die Champions League gewonnen, als Manager sieht seine Bilanz kaum schlechter aus. Da lässt man sich von einem immer noch jungen, relativ unerfahrenen Trainer vermutlich nicht gern den Fußball und die Schwäche des eigenen Kaders erklären.

Andererseits stehen im Fußball Ergebnisse an oberster Stelle: In München ging es eher ums Prestige, gegen Monaco geht es nun um etwas Zählbares. Vielleicht wird man das Thomas Tuchel zugute halten, wenn er den Einzug ins Halbfinale schafft. Hoch begabte A-Jugendspieler hat er ja jedenfalls.

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