Süddeutsche Zeitung

Europäischer Fußball:Die dunkle wird zur hellen Seite

Gerade noch galt die reformierte Königsklasse als Verkörperung des Bösen. Nun, im Lichte der wahnsinnigen Super-League-Pläne, dreht sich die Stimmung auf dramatische Weise.

Kommentar von Claudio Catuogno

Wie schnell das manchmal geht: dass derjenige, den man gerade noch für den Bösewicht hielt, plötzlich dazu auserkoren ist, das Gute zu verkörpern. Man muss sich nur noch mal ein paar Wortmeldungen aus den vergangenen Wochen ansehen, die von den Nachrichtenagenturen verbreitet wurden. "Fan-Initiative Unser Fußball übt deutliche Kritik an Europacup-Reform." - "Initiative ProFans gegen Reform der europäischen Clubwettbewerbe." - "Völler kritisiert CL-Reform: ,Eine unglaubliche Ungerechtigkeit'" - "Letztes Aufbäumen der Kritiker: Widerstand gegen Königsklassen-Reform ungebrochen." - "FanQ-Umfrage: Drei Viertel der Fans lehnen Champions-League-Reform ab."

Auf der dunklen Seite verorteten viele damals noch die Repräsentanten des europäischen Fußballs im Dachverband Uefa und bei der Klubvereinigung ECA, die daran arbeiteten, für die Zeit ab 2024 die Champions League umzumodeln - und zwar so, dass zwei Dutzend Großklubs in Zukunft mit noch volleren Taschen belohnt werden, während daheim, in den nationalen Ligen, die Schere zwischen Hochadel und Fußvolk weiter auseinandergeht. Am Montag wurde das genauso beschlossen.

Aber die Stimmung hat sich dramatisch gedreht. Das Böse verkörpern jetzt die abtrünnigen Gründungsmitglieder des Superliga-Zirkels. Und die vermeintlich verstümmelte, verratene Champions League wird zur schützenswerten Art deklariert und verklärt.

Dass sich die zwölf Abtrünnigen verzockt haben, deutet sich mehr und mehr an

Man kann daraus Verschiedenes lernen. Nicht zuletzt, dass viele der handelnden Personen im deutschen Fußball kaum noch verstehen, was international vor sich geht. Wie etwa der Zweitligist (!) FC St. Pauli noch vor Tagen den deutschen Vertreter in der Uefa, Rainer Koch, per offenem Brief dazu bringen wollte, gegen die Europapokal-Pläne zu stimmen: rührend. Und rührend naiv.

Andererseits scheinen die Vertreter der deutschen Branchenführer, namentlich von Bayern München und Borussia Dortmund, auch im europäischen Vergleich noch den klarsten Blick zu haben auf die Abgründe, die sich in ihrer Branche auftun. Da hilft womöglich, dass in beiden Klubs nicht ausschließlich Rohstoffmagnaten, Finanzinvestoren oder Baulöwen das Sagen haben - sondern ehemalige Fußballer. Während anderswo zwischen Madrid und Manchester entweder die blanke Not einen klaren Blick auf das Machbare verstellt oder die blanke Gier oder die totale Entkoppelung von Eigentümern und Fanbasis.

Dass sich die zwölf Abtrünnigen verzockt haben, dass der Imageschaden gewaltig sein wird - das deutet sich mehr und mehr an. Der Fahrplan für die neue Champions League hingegen steht: mit 36 statt 32 Teams, mit einem Ligen-System statt Vorrundengruppen, mit hundert Spielen mehr pro Saison und mit einem wenigstens vorübergehenden Sicherungsnetz für Traditionsklubs, die mal straucheln. De facto sei das doch eine Superliga, hat man viele Kritiker noch vor wenigen Tagen sagen hören. Es waren auch diejenigen, die nun rufen: Rettet die Champions League!

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