Champions League:Real und City servieren Delikatessen

Champions League: Da kommt niemand mehr hinterher: Madrids Stürmer Vinicius Jr. (re.) sprintet und schießt in Höchstgeschwindigkeit gegen Manchester City.

Da kommt niemand mehr hinterher: Madrids Stürmer Vinicius Jr. (re.) sprintet und schießt in Höchstgeschwindigkeit gegen Manchester City.

(Foto: Kieran McManus/Shutterstock/Imago)

Im Halbfinal-Hinspiel in Madrid duellieren sich die europäischen Schwergewichte auf höchstem Niveau. Das 1:1 bietet paradoxe Szenen - und lässt fürs Rückspiel alles offen.

Von Javier Cáceres, Madrid

Es gibt Halbfinalduelle, bei denen schon nach dem Hinspiel der Schlusspunkt gesetzt zu sein scheint; im Fall des Duells zwischen Real Madrid und Manchester City gab's am Dienstag allenfalls ein Semikolon. Die beiden Kolosse des europäischen Fußballs trennten sich in Madrid 1:1-Unentschieden und vertagten die Entscheidung auf den kommenden Mittwoch, nach Manchester. Die Tore von Madrids Vinícius Jr. und Kevin De Bruyne waren Delikatessen, die aromatischer waren als spanischer Pata-Negra-Schinken. Bestens abgehangene ferngelenkte Raketen, die in vielerlei Hinsicht Lust auf mehr machten. Wenn es eines Ausweises bedurfte, wie hoch das Niveau war, so konnte man das an einem recht außergewöhnlichen Umstand festmachen: Es gab erst zur 80. Minute die erste Auswechslung.

Dass es sich um ein besonderes Spiel handelte, konnte man an der außergewöhnlichen Lautstärke der Fans im Estadio Santiago Bernabéu merken. Und auch daran, dass Madrids Präsident Florentino Pérez vor Spielbeginn im Tunnel zwischen Kabine und Spielfeld auftauchte. Während die Madrider Ultras ein Riesen-Tifo aufspannten - ein stilisierter Wikinger, der den Henkelpott hielt -, war auf den Fernsehbildern zu sehen, wie Pérez die Truppenmitglieder abklatschte. Wie ein General vor der Schlacht. Vor der Abwehrschlacht, wie sich erweisen sollte.

Man hatte es ahnen können. Zwischen den Zeilen hatte Madrids Trainer Carlo Ancelotti am Vorabend erkennen lassen, dass er das Hinspiel zuvorderst überleben wollte. Nicht, dass Real Madrid komplexbeladen wäre. Schon gar nicht in der Königsklasse, die Real im vergangenen Jahr zum 14. Mal gewonnen hatte. Sondern weil Spaniens und Europas Rekordmeister keine 72 Stunden vor dem Spielbeginn vom Dienstag das Pokalfinale bestritten und gewonnen hatte. Daher die Verteidigungshaltung, die fast schon Züge vom "rope-a-dope" trug. Madrid verbuddelte sich tief im eigenen Strafraum. Mit Toni Kroos in der nominellen Rolle des "Sechsers", doch oft genug als Libero zwischen den beiden Innenverteidigern David Alaba und Antonio Rüdiger aushelfend. Und das taktische Kalkül des Ancelotti ging auf.

Man kann das Spiel chronologisch erzählen. Ausgehend also von den Chancen, die sich City erspielte: Von den Fernschüssen von Kevin De Bruyne (8. Minute) und Rodri (14.), die Thibaut Courtois früh warmschossen, oder den beiden vergleichsweise harmlosen Versuchen des früheren Dortmunders Erling Haaland (15./16.). Oder eben auch ab dem ersten "Uuuuuyyy", das durchs Bernabéu hallte und, als Echo des Vorjahres, alle Geister der Vergangenheit wachrief.

Das "Uuuuuyyy" provozierte der brasilianische Linksaußen Vinicius Jr., als er bis zur Grundlinie durchstieß und auf Karim Benzema querzulegen versuchte; Ruben Dias rettete in letzter Sekunde. Da waren sie wieder, die Gedanken an das Halbfinalrückspiel aus dem Mai 2022, als Real Madrid zur 90. Minute gegen City 0:1 hinten lag und scheinbar ausgeschieden war - und in der Nachspielzeit eine der abenteuerlichsten Aufholjagden der Geschichte der Champions League hinlegte. Als der Schiedsrichter abpfiff, stand es 3:1 für Madrid, war City auf weitgehend unerklärliche Weise ausgeschieden.

In Madrid gibt es Raum für eine Paradoxie

Und diesmal? War es in gewisser Hinsicht ein Déjà-Vu. City hatte 75 Prozent Ballbesitz, und lieferte eine rhetorische Meisterleistung ab. Aber dann spielten Eduardo Camavinga und Modric in der eigenen Hälfte an der linken Kalklinie Doppelpass, galoppierte Camavinga wie ein Fohlen übers halbe Feld, legte ab auf Vinícius, der sich den Ball selbst vorlegte und dann unter die Querlatte schoss. 1:0 (36.)!

Das "Uuuuuyyy" kehrte ins Bernabéu-Stadion zurück - kaum, dass die zweite Halbzeit angepfiffen war: Karim Benzema jagte von links in den Strafraum und verfehlte den linken Winkel des City-Tores nur knapp (50.). Vor allem gab es wenig später eine Szene, die Madrids Unverwundbarkeit zu belegen schien: De Bruyne wurde freigespielt und stürmte mit dem Ball am Fuß aufs Tor von Madrid zu. Er zielte mit aller Wucht auf die linke Torwartecke - doch sein Landsmann Courtois fuhr den rechten Arm aus und parierte den Schuss mit einer Parade, die seinen Status als derzeit bester Torwart der Welt zementierte. Dass die Szene wegen Abseits annulliert wurde, spielte für die psychologische Komponente keine Rolle.

Doch siehe, es gab Raum für eine Paradoxie: Madrid erlangte größere Kontrolle über das Spiel - und City traf. Nach einem Fehlpass von Camavinga ins Zentrum des Spielfelds legte City-Kapitän Ilkay Gündogan ab auf De Bruyne, und der zog aus 19 Metern mit dem rechten Vollspann ab. Courtois streckte seine 2,00 Meter Körpergröße vergeblich. Ancelotti sah die gelbe Karte - Madrids Trainer protestierte, weil der Ball ein paar Sekunden vor dem Fehlpass von Camavinga im Aus gewesen sein soll. Madrid drängte weiter - und wäre in der 90. Minute fast zur Führung gekommen: Aurelien Tchouameni, der für Kroos gekommen war, zog aus 19 Metern ab - und zwang Éderson dazu, zu zeigen, dass auch er auf der Höhe eines gigantischen Spiels war. Der brasilianische Keeper fischte den Ball aus dem Winkel - und sorgte so dafür, dass sich die Chancen Citys auf den Finaleinzug gegen Inter Mailand oder AC Milan nicht noch in letzter Sekunde verschlechterten.

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