Real Madrid in der Champions League:Schon wieder eine Auferstehung

Champions League: Luka Modric von Real Madrid jubelt nach dem Spiel gegen Chelsea

Zwischenzeitlich sah es sehr schlecht aus, doch Luka Modric und Real Madrid haben es doch noch ins Halbfinale geschafft.

(Foto: Manu Fernandez/dpa)

Real Madrid liegt 0:3 gegen Chelsea zurück, erzwingt aber noch die Verlängerung und zieht ins Halbfinale ein. Chelseas Trainer Thomas Tuchel ist stolz, enttäuscht - und sauer auf den Referee.

Von Javier Cáceres, Madrid

In der Nacht zum Mittwoch, es war kurz nach halb zwei, bat einer der Helden des Abends von Madrid um Audienz bei einem Großmeister der Vergangenheit. Bei dem Mann, den Giovanni Agnelli, einst Präsident von Juventus Turin, "Pinturicchio" getauft hatte, nach einem italienischen Meister der Renaissance: Alessandro Del Piero. Wobei genau genommen der junge Mann, um den es geht - Real Madrids brasilianischer Einwechselstürmer Rodrygo -, den Maître des Gasthauses De María vertraulich gefragt hatte, ob Del Piero nicht zu ihm ins Separee kommen könne, Rodrygo saß dort mit einer stattlichen Entourage.

Das war keine Frage von Arroganz. Sondern die Sorge, dass genau das passieren würde, was dann auch geschah: dass da alle Gäste sich von ihren Plätzen erheben und ihm nachsteigen würden, um ein Foto der beiden zu erheischen. Doch der Maître hielt sich strikt ans Protokoll: "Wer ist hier der Meister, und wer der Lehrling?", fragte er. Und so stand Rodrygo auf und bat um ein Foto mit Del Piero - zur Abrundung des Tages, an dem er mit Real Madrid auf wundersame Weise ins Halbfinale der Champions League einzog.

Wäre Del Piero wirklich ein Maler vom Schlage eines Pinturicchio - und nicht etwa Experte und Handlungsreisender für einen italienischen TV-Sender -, so hätte er ein fantastisches Schlachtengemälde zeichnen können. "Real Madrid 2, FC Chelsea 3", hätte der Titel lauten müssen, und er hätte auf alle Farben und Schattierungen der Palette zurückgreifen können, so spektakulär war die Partie. Auch der Begriff "Renaissance", Wiedergeburt, hätte sich angeboten, in vielerlei Weise.

Das Hinspiel war 3:1 zugunsten von Real Madrid ausgegangen; und der Trainer des amtierenden Champions-League-Siegers, Thomas Tuchel, hatte hernach sinngemäß gesagt, seine Mannschaft sei tot. Von wegen! Und wenn ja, erlebte sie eine Wiedergeburt, schoss eigentlich nicht nur drei Tore durch den überragenden Mason Mount (15. Minute), Antonio Rüdiger (51.) und Timo Werner (74.), sondern vier: Der polnische Schiedsrichter ließ sich nach einem Treffer von Marcos Alonso so lange vom Videoschiedsrichter bequatschen, bis er wegen eines Handspiels eine Entscheidung gegen das Tor und für die Bürokratie traf, die sogar die spanische Zeitung El País als exemplarisch für die "Erbsenzähler-Zeiten" ansah, "in denen wir leben".

"Beim Stand von 0:3 kam die Magie des Bernabéu zum Vorschein", sagt Ancelotti

Aber dann war es eben Real Madrid, das karwochengemäß von den Toten auferstand. Erst traf der eingewechselte Rodrygo (80.) und erzwang die Verlängerung, dann erzielte Karim Benzema den 2:3-Endstand. Was bedeutete, dass der 3:1-Hinspielsieg Reals in der Addition der beiden Duelle Gold wert war. Der spanische Rekordmeister zog zum zehnten Mal in zwölf Jahren ins Halbfinale der Champions League ein.

Real Madrid in der Champions League: Krachender Kopfball: Karim Benzema (Mitte) war mal wieder entscheidend an Real Madrids Aufholjagd beteiligt.

Krachender Kopfball: Karim Benzema (Mitte) war mal wieder entscheidend an Real Madrids Aufholjagd beteiligt.

(Foto: Shaun Botterill/Getty Images)

"Dies war eine süße Niederlage", sagte Reals Mittelfeldspieler Luka Modric, der das vielleicht schönste Werk eines Abends der Renaissance geliefert hatte: mit einem Außenristpass, der feiner war als jeder Pinselstrich des Pinturicchio und dazu führte, dass Rodrygo volley und direkt vollendete. Das Tor stand für die individuelle Qualität, die Chelsea-Trainer Tuchel in aller Fairness als den entscheidenden Faktor für den Sieg der Madrilenen ausgemacht hatte, als die Partie vorüber war.

"Wir haben ein fantastisches Spiel gespielt und mehr verdient, als wir bekommen haben", sagte Tuchel. Doch dass er aus nachvollziehbaren Gründen stolz war, bedeutete nicht, dass er Madrid frei von Groll verlassen hätte.

Chelseas Trainer Tuchel ist "superenttäuscht" vom Schiedsrichter

Als die Partie abgepfiffen war, war er über den Rasen getigert, um all seinen Spielern Respekt zu zollen. Sie hatten einen Matchplan, den die Zeitung As anerkennend "immens" nannte, perfekt umgesetzt und mit brennender Geduld diesen 3:0-Vorsprung herausgespielt, der den Halbfinaleinzug bedeutet hätte und am Ende doch nicht genug war.

Als er aber den Schiedsrichter Szymon Marciniak auf dem Rasen entdeckte, sah er, wie er mit Real Madrids Trainer Carlo Ancelotti scherzte und lachte. Dieser Ancelotti sei "ein netter Typ, ein Gentleman", mit dem man viel lachen könne, sagte Tuchel. Aber muss das wirklich nach einem 120-minütigen Fight sein, der alle an den Rand der Erschöpfung gebracht hatte? "Ich finde, das ist ein sehr, sehr schlechtes Timing, und das habe ich ihm auch gesagt", erklärte Tuchel. Zumal er dem Referee auch deshalb gram war, weil er das Tor von Alonso auf Zuruf des Videoschiedsrichters aberkannt hatte.

"Ich habe ihm gesagt, dass ich superenttäuscht war, dass er (die Szene) nicht selbst (am Bildschirm) überprüft hat", erklärte Tuchel. Als Feldschiedsrichter sollte man "der Boss bleiben" und solche Entscheidungen nicht jemandem überlassen, der "von der Atmosphäre isoliert irgendwo auf seinem Stuhl sitzt". Ganz abgesehen davon war er überzeugt, dass seine Mannschaft "mehr Nachspielzeit verdient gehabt" hätte. "Aber vielleicht ist das in solchen Spielen gegen diesen Gegner zu viel verlangt ..." Wobei zur Wahrheit gehört, dass die Ecke, die dem 2:0 durch Rüdiger voranging, irrtümlich gegeben wurde. Denn der Schuss eines Chelsea-Spielers war, anders als vom Referee wahrgenommen, ohne Ballberührung durch einen Madrilenen, sprich direkt ins Aus geflogen.

Real Madrid in der Champions League: Stolz, aber auch ziemlich angefressen: Chelseas Trainer Thomas Tuchel.

Stolz, aber auch ziemlich angefressen: Chelseas Trainer Thomas Tuchel.

(Foto: Manu Fernandez/dpa)

Dass Tuchel meinte, Chelsea sei unverdient ausgeschieden, konnte man nachvollziehen. Weil Chelsea die strukturell bessere Mannschaft gewesen war und - beide Spiele zusammengenommen - mehr Ballbesitz (57:43 Prozent), mehr Torschüsse (49:18) und mehr Ecken hatte (15:3). In Madrid bedeuteten "zwei Fehler in entscheidenden Momenten", zwei Ballverluste im Aufbauspiel, den Garaus. Madrids Trainer Ancelotti sah die Dinge ein wenig anders: "Beim Stand von 0:3 kam die Magie des Bernabéu, die Magie dieses Klubs zum Vorschein", sagte der Italiener, der nun zum achten Mal ein Königsklassen-Halbfinale erreicht hat.

Antonio Rüdiger zeigte vor den Augen von Bundestrainer Flick "in allen Belangen eine Weltklasse-Leistung", lobte Tuchel

Genau genommen hatte er selbst dieser Magie den Weg bereitet, indem er den blassen Toni Kroos auswechselte - und mit dem jungen Eduardo Camavinga "mehr Energie" aufs Feld brachte (73.), wie Ancelotti sagte. Kroos schimpfte und fluchte darüber in feinstem Spanisch, er hätte Ancelotti fast den Handschlag verweigert - unter den Augen von Bundestrainer Hansi Flick.

Was Flick auf der Ehrentribüne des Bernabéu noch sah, waren ansprechende Leistungen der WM-Kader-Kandidaten Timo Werner, Kai Havertz (der beim Stand von 3:0 per Kopfball einen Treffer erzielt hätte, wenn Thibaut Courtois nicht überragend pariert hätte) und vor allem: Antonio Rüdiger. Der Verteidiger hatte nicht nur - wie Werner - ein Tor zu bieten. Er war von unglaublicher Präsenz, war öfter auf der Spielmacherposition zu finden als im Abwehrzentrum, wo er seine Aufgaben gleichwohl brillant erledigte. "Toni war überragend, er zeigte in allen Belangen eine Weltklasse-Leistung. Seine Mentalität und sein Fokus, seine Führungsqualität - herausragend", sagte Tuchel.

Aber auch das war nicht genug - weil Modric den jungen Rodrygo entdeckte, und Benzema nach einem Vinicius-Solo an der richtigen Stelle stand. Der Franzose hat nun 38 Tore in der laufenden Saison erzielt, 14 davon in den letzten neun Partien, darunter zwei Hattricks in Madrid gegen Paris Saint-Germain und in London gegen Chelsea. Und er ist der Garant dafür, dass Real Madrid ein Titelkandidat ist. "Niemand wird sagen können, dass wir nicht gewinnen können", sagte Ancelotti.

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