Sieg in Tottenham:Ein Krönchen für Nagelsmann und Rangnick

Lesezeit: 3 min

Im Zentrum des Erfolgs: Leipzig-Trainer Julian Nagelsmann. (Foto: REUTERS)
  • Leipzig kombiniert in Tottenham Ralf Rangnicks Ansatz mit mehr als einer Prise Julian Nagelsmann.
  • Der erste Sieg in der K.-o.-Runde der Champions League ist für beide ein wichtiger Schritt.
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Von Sven Haist, London

Beim bisherigen Höhepunkt der erst knapp elfjährigen Vereinshistorie von RB Leipzig fehlte vom Erfinder dieses Erfolgs jede klare Spur. Trotz Rundumüberwachung durch die Fernsehkameras gelang es nicht, Ralf Rangnick unter den 60 095 Zuschauern im Stadion zu entdecken und ins Bild zu setzen. Allerdings gab es einen verlässlichen Zeugen, der behauptete, der langjährige Inspirator des Leipziger Projekts habe die Reise nach London nicht verpasst: Oliver Mintzlaff, Leipzigs Fußballboss, erklärte, Rangnick habe definitiv zwei Sitze neben ihm gesessen. Er sei also live dabei gewesen, als Leipzig mit dem 1:0 (0:0) bei Tottenham Hotspur erstmals überhaupt ein Spiel in der K.-o.-Runde der Champions League gewann.

Rangnick ist ein erklärter Liebhaber des englischen Fußballs, er hat in seiner Trainerrolle jedoch nur einmal ein Königsklassen-Pflichtspiel auf der Insel bestritten: 2011 gab es mit Schalke 04 ein 1:4 bei Manchester United. Im Sommer nun hat er in Leipzig das Zepter weitergereicht - Julian Nagelsmann, immer noch erst 32 Jahre alt, übernahm, und er setzte Rangnicks Hinterlassenschaft mit dem Auswärtssieg in London gleich mal ein Krönchen auf. Für beide war es also ein Erfolg: Nagelsmann stellte sich mit dem Sieg gegen den berühmten Trainer José Mourinho selbstbewusst auf Europas großer Bühne vor; für Rangnick war es indirekt die Bestätigung seiner insgesamt siebenjährigen Aufbauarbeit bei den Sachsen. Aus der Regionalliga heraus hat er maßgeblich einen international konkurrenzfähigen Klub geformt. Das bleibt, auch wenn Rangnick den Premierensieg in England nun weder als Trainer noch als Sportdirektor von RB miterlebte, sondern in seiner neu definierten Rolle als angestellter Head of Sport and Development Soccer bei Red Bull.

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Zehn der 14 Spieler, die gegen Tottenham zum Einsatz kamen, hatte Rangnick noch in seiner Amtszeit gecastet. Dazu erinnerten gegen Tottenham mutiges Attackieren und zielgerichtetes Nachsetzen an seine Fußballanschauung, wonach der Gegner kaum eine Sekunde zur Ruhe kommen darf. Um den Vorjahresfinalisten der Champions League aber wirklich aus den Angeln zu heben, musste Rangnicks Ansatz um mehr als nur eine Prise Nagelsmann erweitert werden: Spielwitz und Überzeugung fügte der Neue erkennbar hinzu. Mit einer Verknüpfung aus variantenreichen Angriffen und geschickter Konterabsicherung legte RB ein ebenso überzeugendes wie souveränes Spiel hin. "Wenn der Trainer schon keinen Bart hat", witzelte der junge Nagelsmann, "müssen wir wenigstens ein bisschen seniorenhaft spielen, dass die Jungs erwachsen rüberkommen." Im Alter von 32 Jahren und 211 Tagen wurde Nagelsmann am Mittwochabend zum jüngsten Coach, der je in der K.-o.-Runde der Champions League in der Coachingzone angetroffen wurde.

Nagelsmanns Plan sah vor, im Spielaufbau die Außenbahnen mit nur einem Profi zu besetzen und die antrittsschnellen Offensivkräfte Timo Werner und Christopher Nkunku aus den Halbpositionen hinter der zentralen Sturmspitze Patrik Schick agieren zu lassen. Unter Tottenhams Mourinho-Jüngern stiftete das Verwirrung, niemand schien zu wissen, wer in welcher Situation für welchen Gegenspieler verantwortlich war. Die Orientierungslosigkeit verkörperte Ben Davies mit seinem ungelenken Foul im Strafraum am Mittelfeldstrategen Konrad Laimer. Den Elfmeter verwandelte der heftig vom FC Liverpool umworbene deutsche Nationalstürmer Timo Werner (58.), der alle seine sieben bisherigen Champions-League-Treffer auswärts erzielt hat. "Wenn ich über Timo nachdenke, habe ich jedes Mal ein Strahlen im Gesicht", sagt Mintzlaff: "Seit er bei uns ist, hat er extrem viel zu dem beigetragen, was wir erreicht haben."

Leipzigs starke Teamleistung rundete in den ersten vier Achtelfinalspielen den Aufstand der Außenseiter ab, geprägt durch die ebenso überraschenden Siege von Borussia Dortmund, Atalanta Bergamo und Atlético Madrid. Die Ergebnisse erinnern ein wenig an 2004, als mit dem FC Porto und AS Monaco letztmals zwei Klubs das Finale erreichten, mit denen nicht zu rechnen war. Damals trat José Mourinho auf die Bühne, er siegte mit Porto und mit Spielern, die kaum einer kannte. Anderthalb Jahrzehnte später wurde er nun von Leipzig kalt erwischt.

Im Rückspiel in drei Wochen muss Tottenham für den Einzug ins Viertelfinale mindestens zwei Tore schießen, dabei waren die Spurs mit ihrem Rückstand noch gut bedient. "Es ist kein 0:10. Daher ist das Endergebnis offen", bilanzierte Mourinho: "Wir wären nicht das erste Team, das zu Hause verliert und auswärts weiterkommt." In seiner Analyse beklagte er sich mal wieder über die fehlende Alternative im Angriff nach den Ausfällen von Kapitän Harry Kane (Muskelfaserriss) und Heung-min Son (Armbruch). Das sei, wie in einen Kampf zu ziehen mit einer Pistole ohne Patrone, fand Mourinho - und entschuldigte so einen lauen Tottenham-Abend fast ohne jede Torgefahr.

© SZ vom 21.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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