Thomas Tuchel bei PSG:Coaching nahe der Perfektion

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Thomas Tuchel (r.) freut sich mit Torwart Gianluigi Buffon (l.) und Thiago Silva. (Foto: AFP)
  • Paris Saint-Germain gewinnt in der Champions League 2:1 gegen den FC Liverpool und vermeidet das frühe Aus.
  • Vor allem Thomas Tuchels taktische Maßnahmen prägen das Spiel.
  • Liverpool-Trainer Jürgen Klopp beklagt sich über "unsportliches Verhalten" des Gegners.

Von Sven Haist, Paris

Die Spieler von Paris Saint-Germain konnten sich kaum mehr auf den eigenen Beinen halten. Mit Krämpfen plagten sich Thiago Silva und Marquinhos über den Platz, der an den Adduktoren angeschlagene Neymar nutzte jede Unterbrechung, um sich zu erholen. Zuvor wurden schon Angel di Maria, Edinson Cavani und Kylian Mbappe entkräftet ausgewechselt, und in der Defensive schufteten Presnel Kimpembe, Juan Bernat und Thilo Kehrer bis zur Erschöpfung.

Falls doch mal ein Spieler kurz nachlassen wollte, eilte Gianluigi Buffon aus dem Tor herbei, um auf die Dringlichkeit hinzuweisen, sich weiter zu quälen. Selten erfahren die PSG-Profis, wie es ist, an der Schmerzgrenze zu spielen, die heimische Ligue 1 lässt sich für Paris mit halber Kraft kicken, in 14 Spielen gab es 14 Erfolge. Nun also, bei diesem 2:1 am Mittwochabend in der Champions League gegen den FC Liverpool: Krämpfe, Schmerzen, Arbeit. Erstmals seit den Rekordverpflichtungen von Neymar und Mbappe vor anderthalb Jahren vermittelten die Pariser Spieler den Eindruck, dass das Kollektiv im Fußball auch für sie mehr sein könnte als die Summe individueller Fähigkeiten.

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Um allerdings die Reds zu besiegen, reicht selbst die Kampfkraft der mitunter besten Spieler der Welt nicht aus. Es bedarf mindestens noch einer Einzelleistung, die in Erinnerung bleibt, und auf eine solche Einzelleistung konnte Paris gegen Liverpool tatsächlich zurückgreifen. Allerdings kam sie nicht von Neymar und auch nicht von Mbappe oder di Maria - sondern von Thomas Tuchel. Mit einem Coaching, das an Perfektion heranreichte, bewahrte Tuchel seine Mannschaft vor dem Aus in der Champions League.

Thomas Tuchel lässt pendeln

Durch den Erfolg schob Paris in der so kniffligen Gruppe mit dem SSC Neapel und Roter Stern Belgrad den Schwarzen Peter erst mal an Liverpool weiter. Acht Punkte aus fünf Spielen: In zwei Wochen kann PSG sich fürs Achtelfinale qualifizieren, beim vermeintlich schwächsten Gruppenmitglied in Belgrad. Das von Jürgen Klopp trainierte Liverpool muss dagegen das Heimspiel gegen Tabellenführer Neapel an der Anfield Road in zwei Wochen gewinnen, um überhaupt eine Möglichkeit zu haben auf die nächste Runde. "Das ist ein großer Schritt nach vorne für uns", sagte Tuchel, "es war unsere letzte Chance, zu zeigen, dass wir mit einem Team wie Liverpool mithalten können."

In einer Manier, die sonst eigentlich nur Klopp bei Liverpool anwendet, ließ Tuchel seine Spieler in der Anfangsphase losstürmen. Jede sich bietende Chance nutzte er in der Trainerzone aus zur Animierung des Publikums. Die Energie, mit der Paris seine hochriskante Spielanlage mit Leben füllte und die wohl nur möglich ist, wenn man mit dem Rücken zur Wand steht, erschwerte es den Reds, die Intensität der Partie anzunehmen.

Zwischen zwei Formationen ließ Tuchel sein Team hin und her pendeln. Im Spielaufbau gab Marquinhos seine Rolle im defensiven Mittelfeld auf und bildete mit den beiden Innenverteidigern hinten eine Dreierreihe. Damit schaffte Tuchel in der Spielfeldmitte Platz für Zuspiele nach vorne und riss Liverpool mit einer geschickten Positionierung der Seitenspieler auseinander. Die Tore von Bernat (13.) und Neymar (37.) halfen Paris, später das Risiko stückweise zu reduzieren. In der Schlussphase stellte Tuchel dann auf fünf Spieler in der Abwehr um.

Der Zeitpunkt seiner taktischen und personellen Anpassungen hätte nicht besser gewählt sein können. Selbst der Drahtseilakt, seinen Angriffsflitzer Mbappe gegen dessen Unverständnis auszuwechseln, erwies sich als richtig. Was für Paris auf dem Spiel stand, offenbarte sich bei Abpfiff: Eine Entourage an Spielern und Mitarbeitern fiel Tuchel um den Hals. Auf ein Gemeinschaftserlebnis, bei dem die Mannschaft einmal dem Nervenflattern standhalten konnte, hat Paris jahrelang gewartet. Bis hierhin galt der einem katarischen Staatsfond gehörende Klub als Inbegriff des Scheiterns, wenn es in der Königsklasse drauf ankommt.

Auf der Gegenseite hat Liverpool mit der Niederlage erstmals in der Vereinsgeschichte alle drei Auswärtsspiele in einer Gruppenphase der Champions League verloren. Der Unmut richtete sich an das Schiedsrichtergespann. "Zweimal nacheinander haben wir in England den Fairplay-Preis gewonnen und hier sehen wir wie Schlachter aus", schimpfte Klopp.

In seiner Tirade über die ungleiche Verteilung von Foulspielen (20:12) und Verwarnungen (6:2) zum Leidwesen seines Teams suggerierte er, die Pariser, speziell Neymar, hätten die Unterbrechungen provoziert: "Da gibt es einiges, was man dagegen tun kann. Wenn man so tut, als ob man stirbt und im nächsten Moment wieder aufsteht: gelbe Karte. Das ist möglich. Das ist unsportliches Verhalten." Speziell echauffierte sich Klopp über ein Foul von Verratti: "Für mich ist das Rot, aber was ändert das? Nichts. Außer dass ich wie ein schlechter Verlierer aussehe. Ich könnte 500 000 Dinge sagen, aber nichts davon möchte ich morgen in der Zeitung lesen."

Durch einen verwandelten Elfmeter von James Millner (45.) bot sich Liverpool stets die Chance, zum Ausgleich zu kommen. Zu mehr als einem Schuss aufs Tor kam es jedoch nicht. Das bevorstehende Alles-oder-Nichts-Spiel gegen Neapel in Anfield ist nun eigentlich so, wie es der FC Liverpool gerne hat - aber halt nicht so, wie er das vor dem Spiel in Paris geplant hat.

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