Champions League:PSG zeigt zum ersten Mal Herz

Atalanta Bergamo - Paris Saint-Germain

Küsschen von TT: Thomas Tuchel herzte nach dem irren Finish gegen Atalanta seine Spieler.

(Foto: dpa)

Tuchel weg? Sportdirektor weg? Bis kurz vor Ende des Krimis gegen Bergamo deutet alles auf ein erneutes kolossales Scheitern der Pariser hin - doch dann folgt ein umwerfender Wendemoment.

Von Oliver Meiler

In einem Palast in Doha hatten sie wohl schon die Liste bereit, mit allen Namen drauf, die dann gestrichen würden. Trainer Thomas Tuchel? Sportdirektor Leonardo? Vielleicht wäre diesmal sogar der Schützling und Emissär des Emirs, der smart-geschmeidige Klubpräsident Nasser al-Khelaïfi, aus der unendlichen Gnade gefallen, die ihm bisher angediehen war.

Doch dann passierte im fernen Lissabon, um zwei Stunden zeitverschoben, was noch nie passiert ist, seitdem die Katarer sich den Fußballverein Paris Saint-Germain als Spielzeug und Soft-Power-Instrument in ihr immenses Portfolio einverleibt haben - in neun Jahren nicht: Es geschah "Umwerfendes", wie es Le Parisien nennt, noch ganz ungläubig. Keine fußballerische Eroberung der Welt oder wenigstens Europas, keine sportliche Erleuchtung.

Aber eine wundersame Premiere: Die teuer zusammengekaufte Startruppe, immer und zurecht als Retortenwesen belächelt, zeigte zum ersten Mal Herz - und das ausgerechnet gegen das kleine Team der Herzen aus dem traumatisierten Norditalien, gegen Atalanta Bergamo im Viertelfinale der Champions League. Zwei Tore in der Nachspielzeit, als es in Doha schon Mitternacht war, buchstäblich und sinnbildlich, erstochert und erstürmt, als gebe es kein Morgen, mit Eric Maxim Choupo-Moting als unwahrscheinlichem Helden - das war das Echteste, was das katarische PSG je gezeigt hat.

Ein Wendemoment, insgesamt?

Man brauchte nur die Szenen auf der Tribüne des leeren Estádio da Luz und auf dem Rasen kurz nach Abpfiff zu studieren, die Gesichter der Spieler und des Trainers mit dem lädierten Knöchel, um sich gewahr zu werden, dass dieser späte, irgendwie schmutzig erkämpfte Triumph auch für sie überraschend kam. Für die Schönspieler. PSG hat sich am Tag seines 50. Geburtstags mit etwas Verrücktheit beschenkt, mit Irrationalität, wie sie das Leben manchmal braucht. War ja auch Zeit. Und nun träumen sie ganz groß, vom Titel.

Als der katarische Staatsfonds QSI 2011 den relativ jungen und ungeliebten Verein kaufte, ging es dem Emir um Paris als Schaufenster seiner Ambitionen, um eine Diversifizierung seiner Geschäfte, weg vom alleinigen Verlass auf die endlichen Quellen von Gas und Öl. Dafür aber brauchte es Abende wie diesen, in der Königsklasse, denn, nun ja, die französische Ligue 1 nimmt außerhalb von Frankreich kaum jemand wahr. Binnen fünf Jahren, hieß es damals, würde PSG auf dem Dach Europas sitzen, mit Henkelpokal.

Neun Jahre sind also schon verstrichen, der Emir hat mehr als eineinhalb Milliarden Euro ausgegeben für immer neue Prominenz, vor allem natürlich für den Brasilianer Neymar Junior und das französische Großtalent Kylian Mbappé, vorbei am Financial Fairplay, ohne zu begeistern. Nun steht man zum ersten Mal im Halbfinale. Zu mehr hat es PSG in diesem Wettbewerb in einem halben Jahrhundert noch nie gebracht. "Neymar und Mbappé werden für immer bei uns bleiben", sagte al-Khelaïfi nach dem Spiel und lachte dazu. Er glaubt das selbst zuletzt, die Verträge laufen bald aus. Und die Granden dieses Sports spielen nun mal nicht so gern das ganze Jahr über Ligue 1.

Neymar macht alles allein

Das Spiel, das die gläserne Decke sprengen soll, an der man bisher immer angestanden war, spiegelte nämlich mal wieder alle Unzulänglichkeiten des Teams. Tuchel ist es nicht gelungen, aus den vielen Einzelfiguren ein Kollektiv mit einem klaren, erkennbaren Spielplan zu formen. Neymar machte mal wieder alles allein, holte sich den Ball zuweilen ganz hinten, um ihn nach ganz vorne zu tragen. Die Leichtigkeit seiner Kavalkaden war schön anzuschauen, aber moderner Fußball geht anders. "Ney" war dann auch noch erstaunlich ineffizient vor dem Tor, fast tollpatschig. Natürlich fehlte PSG die Schaltfigur im Zentrum, der verletzte Marco Verratti glättet sonst die Übergänge. Aber darf eine Elf auf diesem Niveau so zusammenhanglos spielen?

Erst die Auswechslungen brachten Luft. Mbappé, noch immer nicht voll genesen von seiner Knöchelverletzung, riss mit seinen Tempoläufen dennoch Krater in die Abwehr Atalantas, das sich immer mehr zurückfallen ließ. Zehn Minuten vor Schluss kam dann noch jener Mann zum Einsatz, von dem es in Paris bisher immer hieß, er sei zwar ein netter Kerl, beliebt bei den Fans und beim Trainer wegen seines großen Einsatzes, immer, auch im Training, aber eben nicht so der Knipser: Choupo-Moting, Stürmer, 31, geboren in Hamburg, seit 2018 in Paris unter Vertrag, hatte bis dahin in dieser Saison erst fünf Tore erzielt, alle Wettbewerbe gerechnet. In 17 Spielen. Sein Vertrag läuft in diesen Tagen aus, im Januar stand er noch nicht einmal auf der Liste für die Champions League - ein Marktposten. "Als ich eingewechselt wurde", wird Choupo-Moting später sagen, "habe ich mir gesagt, wir können das doch nicht einfach so hinnehmen."

Der Rest ist bekannt, eine "folie": vom 0:1 zum 2:1 in 149 Sekunden. Und bei beiden Toren stand der nette Kerl ohne neuen Vertrag mittendrin im Gemenge der Schlussminuten, in diesem Strudel des Unwägbaren, den zweiten Treffer erzielte er selbst. Wie ein Knipser. Wenn nun auch alle überrascht sind in Paris: Aus dem Kreis von Tuchels Vertrauten hört man, der Trainer habe erst neulich gesagt, der Choupo, der werde noch ein wichtiges Tor machen. Ganz sicher.

Die Sportzeitung L'Équipe widmet ihm einen schönen Titel mit lautmalerischem Wortspiel: "Chapeau Moting", Hut ab Moting. Und vielleicht ist auch diese Geschichte ein Fanal für die Wende. In Doha haben sie die Streichliste wieder weggeräumt, so nah war das Dach Europas noch nie, die Rampe. In zwei Jahren soll ja dann die Weltmeisterschaft in Katar stattfinden, die Vollendung des Masterplans.

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