Manchester United in der Champions League:Rangnick weckt den Kampfgeist

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Ein offenbar erstaunlich vertrauensvolles Verhältnis: Ralf Rangnick (links) und der momentan eifrige Mittelfeldspieler Paul Pogba. (Foto: Peter Powell/Reuters)

Manchester United gilt in England als verwöhnte Truppe. Der deutsche Trainer lässt die Schlaumeier im Umfeld allmählich verstummen - nun folgt der Charaktertest gegen die größte Spaßverderber-Mannschaft Europas.

Von Sven Haist, London

Zumindest an Schwarzmalern mangelt es bei Manchester United nicht. Auf der Insel hat der Volksmund für die Miesepeter sogar einen eigenen Begriff etabliert: "Debbie Downer", benannt nach einer fiktiven Figur aus der Sketchkomödie Saturday Night Live, deren Rolle offenkundig nur darin besteht, die Stimmung der Gruppe andauernd zu trüben. Unter dem Debbie-Downer-Syndrom leidet Manchester United in gewisser Weise seit dem 2013 vollzogenen Rücktritt des titelerprobten Ewigkeitstrainers Alex Ferguson.

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Der Titelverteidiger Chelsea gewinnt das Achtelfinal-Hinspiel 2:0 gegen Lille. Im zweiten Spiel trifft Juventus-Stürmer Dusan Vlahovic nach nur 31 Sekunden - doch Villarreal schafft noch den Ausgleich.

Selbst in den seltenen Erfolgsphasen fand sich im nervösen Vereinsumfeld stets ein Schlaumeier, der sich bewusst gegen den eingeschlagenen Weg auflehnte. An dem fast krankhaften Zustand arbeiteten sich alle Ferguson-Nachfolger ab, auch der aktuelle, zumindest bis zum Sommer als Trainer fungierende Ralf Rangnick. Anders als seine prominenten Vorgänger (Ole Gunnar Solskjaer, José Mourinho, Louis van Gaal) scheint Rangnick den Komplex aber langsam lösen zu können.

Maguire gelingt ein Tor nach einem Eckball - das erste nach 138 Versuchen

Gleich mehrere gern bemühte Argumentationsketten der Kritiker widerlegte Manchester United am Sonntag beim 4:2 in Leeds. Erstmals seit April 2021 gelang dem Rekordmeister durch den Kopfballtreffer von Harry Maguire in der Premier League wieder ein Tor nach einem Eckball - nach 138 (!) Versuchen. Damit beantwortete sich für die Inselpresse gleichfalls die kürzlich selbst entworfene Frage, ob Maguire nach einigen fehlerhaften Leistungen überhaupt der richtige Teamkapitän sei. Dazu schossen Fred und Anthony Elanga nach ihren Einwechslungen jeweils einen Treffer, wodurch United in der Liga nun auf den Höchstwert von zehn Jokertoren kommt, fünf davon fallen in Rangnicks dreimonatige Amtszeit. Diese Statistik entkräftet den Vorwurf, Rangnick sei mehr Klubentwickler denn Trainer.

Tatsächlich mit dem Kopf nach einem Eckball erfolgreich: Kapitän Harry Maguire (Mitte). (Foto: Paul Ellis/AFP)

Erst recht alle Vorbehalte verbieten sich angesichts der Zwischenbilanz von sieben Siegen und nur einer Niederlage in zwölf United-Ligaspielen: In diesem Zeitraum holten einzig Spitzenreiter Manchester City (28) und Verfolger FC Liverpool (26) mehr Punkte als das mittlerweile auf Rang vier klassifizierte United (25). Bei diesem Lauf kam der Rangnick-Elf allerdings kein Titelfavorit in die Quere ("Debbie Downer!").

Einen renommierten Kontrahenten bekommt United erst an diesem Mittwoch (21 Uhr) zu Gesicht, im Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League bei Atlético Madrid. Der spanische Meister mit dem notorischen Spielverderber-Trainer Diego Simeone an der Spitze gilt trotz zäher Saison (fünfter Platz) als eine der unangenehmsten Herausforderungen im europäischen Klubfußball. Zur Einstimmung auf die Partie in Madrid mussten sich die zur Selbstüberschätzung neigenden United-Kicker nun also dem Charaktertest in Leeds unterziehen.

Im sintflutartigen Regen berappelte sich das Team nach verspielter 2:0-Führung in der Schlussphase - und siehe da: Erkennbar waren erste Anzeichen jenes Powerfußballs, mit dem United unter Ferguson zur Weltmarke aufstieg. Nah am Gegenspieler, immer im Vorwärtsgang, fast drückend dominant: Diese mannschaftliche Geschlossenheit sei die "bestmögliche Antwort", die das Team auf die Spekulationen "einiger Medien" hätte geben können, die das innerbetriebliche Verhältnis als "zerrüttet" ansehen, sagte Rangnick.

Sogar Weltmeister Paul Pogba profitiert von Rangnicks Vorgaben

Derzeit wirkt es, als würde es Rangnick mit seinen Analysen und unnachgiebigen Forderungen gelingen, den Kampfgeist der verwöhnten Truppe zu wecken. Während sich Solskjaer eher den Launen seiner Stars unterordnete (um es sich mit ihnen nicht zu verscherzen), beharrt Rangnick darauf, dass sich Erfolg nur mit einer veränderten Berufsauffassung einstellen wird. Dieser durchaus schmerzhafte Prozess zeigt jetzt erste Wirkung: Solange die Kräfte des nicht austrainierten Teams reichen, ruft United in immer mehr Spielphasen die Primärtugenden ab - zuletzt hielt man sogar Leeds stand, einem der lauf- und kampfstärksten Teams der Liga.

Die Entwicklung befeuert Rangnick durch seine Personalauswahl. Kürzlich strich der Deutsche den zuletzt etwas selbstgefällig auftretenden Jungstar Marcus Rashford aus der Startelf. Stattdessen belohnt er das Engagement des fast in Vergessenheit geratenen Sommerzugangs Jadon Sancho, der sich als Außenstürmer bewährt. Als größten Erfolg kann Rangnick aber für sich verbuchen, dass er auch Paul Pogba wieder auf die Beine verholfen hat. Der französische Weltmeister hat seine im Herbst erlittene hartnäckige Oberschenkelverletzung auskuriert und taugt mit seinem Arbeitseifer momentan als Vorbild für seine Kollegen. Im Sommer läuft sein Vertrag aus, und offensichtlich ist sich Pogba, 28, dessen bewusst. Ohne signifikante Leistungssteigerung dürfte die Chance dahin sein, nochmal einen ähnlich üppig dotierten Vertrag auszuhandeln. Zwischen ihm und Rangnick herrscht offenbar ein erstaunlich vertrauensvolles Verhältnis.

Seit seiner Verpflichtung 2016 für 105 Millionen Euro ist Pogba im Mittelfeld als Bindeglied zwischen Abwehr und Angriff eingeplant, allerdings litt er stets unter den kaum vorhanden Spielprinzipien in der Offensive. Rangnicks klare Vorgaben an Pogba fördern nun seine Spielstärke zutage. Selbst die früher oft zum Affront hochstilisierten Auswechslungen kauft Pogba seinem Chef ab - weil er merkt, dass sie guten Gründen unterliegen.

Mehr als die reine Fußball-Lehre ist es zurzeit aber Rangnicks erstaunliche Transparenz in allen Entscheidungen, die ihm offenkundig den Rückhalt im Team verschafft. Und die Schwarzmaler, Debbie Downer, weniger werden lässt.

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